Vorsicht, in diesem Film schwäbelt der Hauptsponsor. Am Anfang, so Filmemacher Chris Kraus, stand die Hoffnung auf Heilung der Wunden, die die Geschichte geschlagen hat, in Gestalt eines flüchtigen Moments der Liebe. Da aber in Wahrheit nicht „die Historie“ Wunden zufügt, sondern es die Menschen selbst sind, erzählt „Die Blumen von gestern“ eine Liebesgeschichte zwischen Täter- und Opfer-Enkeln. Und zwar als klassische Screwball-Komödie, wie sie in den 1930er- und 1940er-Jahren, als die Wunden so nachhaltig geschlagen wurden, besonders populär war.
Damit steht unversehens die Frage im Raum: Taugt der Holocaust zur Komödie? Kraus beantwortet das recht clever durch eine Umleitung. Es geht nämlich nicht um den Holocaust, sondern eher um das Fortschwären der Wunde im Privaten, wohin die offizielle Erinnerungs- und Gedenkkultur nicht reicht.
Fragen wir also zunächst: Wie geht’s eigentlich der Holocaust-Forschung? Die geht mit der Zeit und muss Drittmittel einwerben, um den nächsten Auschwitz-Kongress abhalten zu können. Ab sofort steht die Holocaust-Forschungsstelle in Ludwigsburg also für Firmen-Events zur Verfügung. Und der Hauptsponsor Daimler-Benz würde stark schwäbelnd sogar noch 5000 Euro drauflegen, wenn die Schirmherrin, eine Überlebende, sich bei ihrer Eröffnungsrede einen Mercedes-Stern ansteckte. Die Schirmherrin reagiert aufs Angebot überrascht: „Das hätte ich jetzt nicht gedacht, dass ein von Steuergeldern finanziertes Institut zur Erforschung des deutschen Völkermords bereit und fähig ist, an meinen jüdischen Geschäftssinn zu appellieren! Noch dazu mit solchen Summen!“ Allerdings sträubt sich die Überlebende. Sie will kein Opfergejammer, sondern lieber davon erzählen, was ihr im Leben gelungen ist: Liebesgeschichten, erfolgreich verlaufende Schönheitsoperationen. Totila Blumen, Holocaustforscher alter Schule und als solcher ohne jeden Humor, regiert empört und beschimpft die Überlebende: „Sie haben ja wirklich keine Ahnung, was den Juden angetan wurde!“
Totila, ein Täter-Enkel, hat sich und seine Biografie nach anfänglichem Zögern ganz und gar der Holocaust-Forschung verschrieben. Der erfolgreiche Wissenschaftler, von der eigenen (Täter-)Familie verstoßen, mit einer konfliktscheuen Ärztin verheiratet und Adoptivvater eines afrikanischen Kindes namens Sarah, ist zum hypermoralischen Misanthropen geworden: „Ich bin Holocaust-Forscher. Ich verdiene mein Geld damit, negativ zu sein.“ Auf Totila trifft zu, dass er seine Neurosen mit „allen Toten des Reiches“ verknüpft hat.
Gleiches gilt auch für Zazie, allerdings aus Opferperspektive; die französische Praktikantin mit der Deutschen-Phobie wird Totila zur Seite gestellt. Ihre beiden Biografien haben viel mehr gemeinsam, als man zunächst erahnt; die Spur führt, bei Chris Kraus wenig überraschend, ein weiteres Mal ins Baltikum, wo viele Fäden nicht nur der Familiengeschichte zusammenlaufen.
Eine tempo- und pointenreiche und für deutsche Verhältnisse auch erstaunlich treffsichere Screwball-Komödie vor dem Hintergrund des Holocaust ist ein riskantes Unterfangen, weil dem Publikum zugemutet und zugetraut wird, über das forciert politisch Unkorrekte, den Tabubruch, reflektiert lachen zu können, wenn darüber gestritten wird, in welchen Autos welcher Marken Menschen mobil vergast wurden und welche Autofirmen Zwangsarbeiter nur „fertig gemacht“ haben.
Dem Filmemacher ist es nach eigener Aussage um eine „Ode an die Gestörten und ihre Störungen“ zu tun, nicht um eine „Klage über die Verbrecher und ihre Verbrechen.“ Die muss man aber mitdenken, um im Dunkel des Kinosaals nicht das falsche Lachen zu lachen.
Das Unterfangen funktioniert nicht zuletzt dank der beiden herausragenden Hauptdarsteller mehr als 80 Minuten blendend. Es ist von höchstem Unterhaltungswert, wie Zazie Totilas Schuldpanzer knackt und ihm klarmacht, dass man auch als Holocaust-Forscher zur Unterhaltung nicht nur das „Tagebuch der Anne Frank“, sondern auch „deutsche Gedichte“ lesen darf. Adèle Haenel kombiniert die Körperlichkeit von „Liebe auf den ersten Schlag“
(fd 43 171) mit einem erstaunlichen Gespür für das Komische. Und auch Lars Eidinger spielt den aggressiven, selbstmitleidigen Neurotiker ohne den Hauch von Eitelkeit mit vollem Körpereinsatz.
Das trägt den Film über eine lange Strecke. Doch wenn die Versöhnung gewissermaßen vollzogen ist, verliert „Die Blumen von gestern“ schlagartig den roten Faden und seinen Punch. Vielleicht, weil die Inszenierung Angst bekam, doch nur noch eine Liebesgeschichte zu sein? Weil eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der Holocaust-Verarbeitung letztlich keine Lösung, sondern nur eine clevere Konstruktion ist? Weil die Figuren für ein „Danach“ dann doch zu wenig Substanz haben, um das bloß Konstruierte zu verdecken? Oder weil dem Film wie dem Publikum ein Mehr an Perfektion nicht zumutbar gewesen wäre? Noch eine Umleitung: in ein anderes Genre und auf andere Schlachtfelder.