Eine unglückliche Liebe und ein MacGuffin zum Hinterherjagen. Es braucht nicht viel, um einen Film in Gang zu bringen, auch oder gerade wenn eine so schillernde Person der Zeitgeschichte wie Miles Davis im Zentrum der Handlung steht. Da reicht es, wenn die Leute auf der Straße sagen: „Mein Gott, ist das nicht Miles Davis? Wow, was für eine Ehre.“ Wenn dann noch ein Journalist (vom „Rolling Stone“-Magazin) selbst um den Preis körperlicher Unversehrtheit ein Interview mit dem grantigen, zartgliedrigen, ausgemergelten, drahtigen, hyperaktiven schwarzen Musiker machen will, dann sind das genügend Indizien dafür, dass es sich um einen Großen der Branche handeln muss.
Das Letzte, was Don Cheadle in seiner Inszenierung interessiert, ist eine biografische Nacherzählung des Lebens eines der größten Jazz-Musiker aller Zeiten. Cheadle will als Produzent, Autor, Regisseur und Hauptdarsteller vielmehr das hervorheben, was im Kopf des Künstlers zu jenem Funkenflug führt, aus dem dessen unerhörte (Trompeten-)Musik resultiert.
Als der Reporter Dave Braden an die Studiotür von Miles Davis klopft, ist dessen Karriere eigentlich längst vorbei. Es sind die späten 1970er-Jahre, der Erfolg seines Albums „Sketches of Spain“ liegt fast zwei Jahrzehnte zurück. Doch es gibt Gerüchte, dass Davis an neuen Aufnahmen arbeitet. Plant der Trompeter ein Comeback? Während der Film fast atemlos den immer wieder verloren gehenden Bändern nachjagt, und in Rückblenden die zum Scheitern verdammte Liebe zwischen Davis und der Tänzerin Frances Taylor anklingt, blickt der Regisseur in den Kopf des Meisters und komponiert dazu atemberaubende Bilder.
Es ist nicht nur der Darsteller Cheadle, der sein Verständnis von Miles Davis erstaunlich authentisch zum Leben erweckt, sondern es ist der Regisseur Cheadle, der in waghalsig montierten Rückblenden, Parallelmontagen und Traumsequenzen die Musik von Miles Davis deutet. Aus diesem wirren Konglomerat aus Krimi, Melodram, Biopic und absurder Komödie, in der kompletten Dekonstruktion einer linearen Lebensgeschichte, kommt der Film dem Jazz auf die Spur, der den giftigen, lebenshungrigen und selbstzerstörerischen Menschen Miles Davis ausmacht.
„Miles Ahead“ ist ein audiovisuelles Gesamtkunstwerk und der Kraftakt eines Filmemachers, der in allen Belangen die beste Leistung seiner Karriere abliefert. Kaum 400.000 Dollar hat dieser abenteuerlich finanzierte Film gekostet, der keine Lobby fand. Es ist eine Schande, dass einer der besten Filme des Jahres 2016 nicht in die deutschen Kinos kommt.