„Nach einer wahren Begebenheit“ zu erzählen, eröffnet einen gewaltigen Möglichkeitsraum und streut gleichzeitig Hindernisse ein. Die Geschichten des Kinos liegen häufig tatsächlich auf der Straße – oder hier besser: im Meer. Manchmal sind sie, wie bei „Pearl Harbor“
(fd 34 886), geradezu mythologische Stoffe, die jeder kennt, dann wieder heben Filme, etwa „12 Years a Slave“
(fd 42 151) die realen Vorbilder überhaupt erst ins öffentliche Bewusstsein.
Die Autoren Matthew Michael Carnahan und Matthew Sand haben die Katastrophe auf der Bohrinsel Deepwater Horizon für Peter Berg in ein Drehbuch verwandelt, der manche seiner Arbeiten als Regisseur so aussehen ließ, als wolle er Michael Bay nacheifern. Hier aber verkneift er sich das Bay-typische Ausstellen der Opulenz, die Verwandlung des Bildraumes in eine Fläche für irrsinnig beschleunigte Attraktionen oder die Erhabenheit der Zerstörung. Man kann das pietätvoll nennen.
In jedem Fall wirft sich der Kameramann Enrique Chediak mitten hinein in das erstickende Durcheinander, in die Kaskaden von Bohrschlamm und in die Feuersbrünste, die aus der Förderplattform im Golf von Mexiko ein Grab für elf Mitarbeiter machten. Am vorläufigen Ende, als die verschwitzt-verschmierten Überlebenden sich auf einem Rettungsschiff versammeln, liest der „Offshore Installation Manager“ Jimmy Harrell (gespielt von Kurt Russell), die Namen derjenigen vor, die er um sich herum erhofft. Die meisten melden sich. Die Stille nach den anderen trifft tiefer ins Herz als all das Chaos und die Desorientierung, in denen die Leinwand zuvor ebenso versank wie die elf Unglücklichen.
Natürlich hat das Geschehen mit einem schicksalhaften Unglück nur wenig zu tun, eher mit dem Wunsch der Betreiberfirma, einen neuen Förderrekord aufzustellen. Die scheinkompetente Schmierigkeit, mit der John Malkovich als Konzernvertreter Donald Vidrine alle Warnungen vor einem Überdruck in den tiefliegenden Leitungen ignoriert, gehört zu den schillernden Facetten des ersten Teils. Den haben die Drehbuchautoren mit erstaunlich viel Jargon angefüllt, mit Erwägungen zu Zementtesten, Dichtungsvarianten und dem sogenannten „Blowout“, bei dem Öl und Gas unkontrolliert durch die Leitungen nach oben schießen: eine Art Super-GAU auf einer Bohrinsel, der schließlich tatsächlich eintritt. Und natürlich mit „buddy talk“, mit dem Skizzieren harter und gleichzeitig bodenständiger Familienmänner, unter denen der Cheftechniker Mike Williams für die Handlung der wichigste ist. Mark Wahlberg gibt ihm seine vielfach erprobte proletarische Jedermannhaftigkeit mit.
Aus den Jedermännern, den Namen auf Todesliste oder den Zeitungsnachrichten sicht- und spürbare Individuen zu machen, ist die eindeutige Motivation dieses filmischen Unternehmens. Daher wäre es falsch, dem Film und seinen Machern anzulasten, dass die Erzählung die enorme Umweltkatastrophe, die das Geschehen nach sich zog, auf eine Einblendung vor dem Abspann marginalisiert. Die Opfer der Deepwater Horizon haben in der Öffentlichkeit einen anderen Status als etwa die Toten von Pearl Harbor oder die der Sklaverei: Sie sind eindeutig benennbar und dennoch kaum bekannt.
Am Ende des Films sind Aussagen aus dem Prozess zu hören und Fotos der Mitarbeiter zu sehen, was stets eine problematische Vorgehensweise ist. Statt Realität und Fiktionalisierung miteinander zu konfrontieren, sollen die realen Menschen die Wahrheit in der Fiktion beglaubigen. Auch deshalb wird Peter Bergs „Deepwater Horizon“ für viele die definitive Version der Katastrophe sein – ein riskantes und schweres Erbe, das sich Regisseur und Autoren da selbst auf ihre schmalen Schultern legen.