Seit 1968 hat der Regisseur Rudolf Thome 28 Langfilme realisiert. Die Dokumentaristin Serpil Turhan, einst selbst Darstellerin und Regieassistentin bei Thome, besucht ihn auf seinem brandenburgischen Hof, wo er gerade am Drehbuch seines 29. Spielfilms "Überall Blumen" schreibt. Das Projekt wird jedoch mangels einer Finanzierung aufgegeben. Das eher beiläufige Porträt fängt vor allem Alltagsbeobachtungen ein, in die am Rand Rückblicke auf Thomes Biografie und seine filmische Arbeit einfließen. Dabei begeistert besonders der spielerische Umgang mit den "Rollen" von Filmemacherin und Protagonist.
- Ab 14.
Rudolf Thome - Überall Blumen
Dokumentarfilm | Deutschland 2016 | 84 Minuten
Regie: Serpil Turhan
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2016
- Produktionsfirma
- Luzid Film/3sat
- Regie
- Serpil Turhan
- Buch
- Serpil Turhan · Eva Hartmann
- Kamera
- Serpil Turhan
- Schnitt
- Eva Hartmann
- Länge
- 84 Minuten
- Kinostart
- 15.09.2016
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm | Künstlerporträt
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Annäherung an den deutschen Filmemacher Rudolf Thome von Serpil Turhan
Diskussion
„Sag mal, spiele ich, als seist du nicht da? Oder weiß ich, dass du da bist? Was soll ich spielen?“ Die Filmemacherin Serpil Turhan möchte den Filmemacher Rudolf Thome unter anderem beim Drehbuchschreiben filmen. Turhan war mehrfach Darstellerin bei Thome – etwa in „Rot und Blau“ (2003, fd 36 268) oder „Rauchzeichen“ (2006, fd 37 889); später hat Turhan ihm bei vier weiteren Arbeiten hinter der Kamera assistiert. Eine große Vertrautheit und eine gelegentliche Verschmitztheit im Umgang miteinander durchdringt „Rudolf Thome – Überall Blumen“. Thome gefällt es offensichtlich, vor der Kamera zu agieren, manchmal schauspielert er ein wenig oder mimt den Ahnungslosen, der von der Filmemacherin Regieanweisungen einfordert. Einmal macht er sie darauf aufmerksam, dass bei einem „richtigen Film“ der Badezimmerspiegel vorher geputzt gehöre. „Aber Rudolf, es ist kein Spielfilm“, sagt dann Turhan aus dem Off. Auch das gehört zum Spiel.
Seit „Ins Blaue“ (2012, fd 41 250) hat Thome keinen Film mehr gemacht – obwohl er, wie er einmal bekennt, fast jede Nacht vom Filmemachen träumt. Als Turhan anfängt, den Regisseur an seinem Wohnort, einem ehemaligen Bauernhof im Brandenburgischen zu filmen, beginnt er gerade die Arbeit an einem neuen Drehbuch. Es heißt „Überall Blumen“; es soll sein 29. Langfilm werden, eine auf den Arbeits- und Finanzierungsprozess fokussierte Dokumentation, was sich mühsam gestaltet, da die Degeto eine Absage erteilte.
Turhan schaut Thome aufmerksam zu bei dem, was er so macht: Schreiben, fotografieren, mit seiner Tochter Joya skypen, die gerade in New York studiert, Fahrradfahren, den Rasen mähen, Laub zusammenkehren, ein Glockenblumengewächs ausgraben und es im eigenen Garten einpflanzen, tanzende Schmetterlinge filmen, mit seinem Sohn Nikolai den Gartenteich reinigen – eine situationskomische Szene, die Thome als einen Menschen zeigt, der zappelig wird, wenn etwas zu lange dauert.
Manchmal liest Turhan aus dem Off aus Thomes Tagebuch-Blog vor, was die Ich-Perspektive noch mal auf eine schöne Weise verschiebt und die Figur Thome in eine Distanz setzt. Thome erinnert sich an seine Kindheit, er erzählt von den großen Dingen (die Liebe) und dem Alltäglichen (etwa, dass sich ein Marder über dem Badezimmer eingenistet hat). Turhan fragt nach, ohne zu insistieren, die Gespräche bleiben grundsätzlich richtungsoffen, eher im Vorbeigehen wird über die Filmarbeit gesprochen, etwa die Nähe zu Marquard Bohm, eine Szene in „Supergirl“, die aufgrund einer falschen Lichtbestimmung nun einen absurden Zug trägt und die seriellen Zahnputzszenen. Thome zählt auf, wer alles bei ihm schon vor der Kamera Zähne geputzt hat: Hanns Zischler, Bruno Ganz, Hannelore Elsner, Hannah Herzsprung... Überhaupt zählt Thome gerne (aber auch das eher verspielt als zwanghaft): die mit dem Fahrrad zurückgelegten Kilometer (die er auf ein 80-jähriges Leben hochrechnet), die Dauer seiner durchschnittlichen Morgentoilette und die Besucherfrequenz auf seinem Blog. Thomes Webaktivitäten sind kein Widerspruch zum Schreiben mit Füller und Papier, er macht einfach beides. Und er macht beides mit derselben Aufmerksamkeit und Hingabe.
Auch wenn Turhans sensitives, nie gefühliges Porträt von einem überwiegend leichten, humorvollen Tonfall getragen wird, macht manches daran auch traurig. Etwa, dass Thomes kompletter Bestand – von Filmrollen über Plakate und Fotos bis hin zu Pappkartons voll Kostümen – in einer Scheune vor sich hinrottet. Thomes Hoffnung, dass sich ein Archiv dieser filmhistorischen Schätze annimmt, hat sich bisher nicht erfüllt. Deprimierend auch, dass eine fürs deutsche Kino so wichtige Figur immer wieder aufs Neue wie ein x-beliebiger Debütant um Fördermittel betteln muss – und sie nicht bekommt. Und dann ist da noch Thomes Gefühl, allmählich aus dem Gedächtnis der Filmwelt zu verschwinden.
Als Turhan im Winter mit der Kamera wiederkommt, hat Thome die Entscheidung getroffen, das Projekt „Überall Blumen“ aufzugeben. Für die Filmerei mit einem Mikro-Budget und ohne jede Produktionslogistik fehlt ihm inzwischen die Energie. Ins Resignative wendet sich der Film aber auch dann nicht. „Rudolf Thome – Überall Blumen“ ist trotz aller Rückblicke und Reflexionen ein reiner Gegenwartsfilm. Thome hat nun andere Dinge vor: Er will eine Autobiografie schreiben. Und 90 Jahre alt werden.
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