Dokumentarfilm | Deutschland 2016 | 94 Minuten

Regie: Philip Scheffner

Eine Roma-Familie verlässt ihre rumänische Heimat und siedelt nach Deutschland über. Aus dem Kontakt zu dem Dokumentaristen Philip Scheffner entsteht die Idee, das neue Leben filmen zu lassen und selbst mitzufilmen. Der gemeinsame Film dokumentiert die Geschichte einer schwierigen Ankunft, zeigt aber auch, wie die Immigranten Berlin erleben. Zugleich reflektiert die ungewöhnliche Co-Produktion immer wieder über das Filmemachen. Die kollektiven Dreharbeiten und die Verwendung mehrerer Kameras, die unter den Familienmitgliedern zirkulieren, heben herkömmliche Perspektivierungen aus den Angeln. Irgendwann glänzt auf diese Weise sogar Berlin in den bunten Farben des Bollywood-Kinos. (Teils O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Pong Film/rbb
Regie
Philip Scheffner · Colorado Velcu
Buch
Colorado Velcu · Merle Kröger · Philip Scheffner
Kamera
Colorado Velcu · Philip Scheffner · Parizan Nistor () · Casino Nistor · Mario Ilie
Musik
Colorado Velcu
Schnitt
Philip Scheffner
Länge
94 Minuten
Kinostart
22.09.2016
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Doku-Features von Philip Scheffner und Colorado Velcu über ide Versuche einer Roma-Sippe, in Berlin heimisch zu werden

Diskussion
Eine Roma-Großfamilie aus Faţa Luncii in Rumänien zieht in der Hoffnung auf bessere Lebensumstände nach Deutschland. Die erste Station ist Essen. Ein befreundeter Filmemacher kommt zu Besuch, er hat eine Kamera dabei und filmt. Eine mitgebrachte Pocketkamera schenkt er einer der Töchter, sie hat Geburtstag. Das Mädchen fängt damit zu filmen an. So einfach, so konkret beginnt „And-Ek Ghes…“ – das kollaborative Filmprojekt des Berliner Regisseurs Philip Scheffner mit Colorado Velcu, dem Protagonist von Scheffners Film „Revision“ (fd 41 271, und Sohn von einem der beiden getöteten Roma, deren Geschichte Scheffner darin nachgeht). Im Laufe von „And-Ek Ghes…“ kommen weitere Kameras und weitere Blicke hinzu. Velcus Familie lebt inzwischen in Berlin, andere Familienmitglieder sind weitergezogen, nach Spanien, es soll dort Arbeit auf den Feldern geben, auch sie nehmen eine Kamera mit. Die Kamera zirkuliert, auch mit Mobiltelefonen wird gefilmt, die Blicke werden multiperspektivisch und sind nicht mehr wirklich zuzuordnen. Am Ende zählt der Abspann 13 Personen unter der Funktion „Kamera“. Die Dokumentarfilme von Philip Scheffner haben schon immer Blick- und Sprecherpositionen geteilt und die Bedingungen von Autorschaft und auktorialer Erzählmacht mit ausgestellt. All das ist auch in „And-Ek Ghes…“ vorhanden. In der Zusammenarbeit mit Velcu, deren Fundament ein großes Vertrauen ist und eine Verständigung über das gemeinsame Vorhaben, ist die Form jedoch weitaus poröser und unübersichtlicher. Zugleich aber hat der Film mit Colorado Velcu, der aus dem Off mit ebenso ernster wie milder Stimme aus seinem Tagebuch lesend durch den Film führt, ein sehr starkes, auch emotionales Zentrum, der die in viele Richtungen sich bewegenden Kräfte des Films zusammenhält. „And-Ek Ghes…“ ist die Geschichte einer schwierigen Ankunft. Colorado Velcu, alleinerziehender Vater von sieben Kindern, erzählt von den bürokratischen Mühen, dem Warten auf Bescheide über Kindergeld, Schulbewilligungen und Zahlungseingänge. Man sieht ihn auf einer Baustelle und wie er abends in der blauen Arbeitslatzhose nach Hause kommt. Dabei inszenieren sich die Velcus nicht als Protagonisten eines Migrationsdramas. Im Gegenteil. Die meisten Bilder erzählen von familiärer Gemeinschaft: Picknick im Park, das Zusammenleben in der karg eingerichteten Wohnung, ein Baby wird geboren, die Familie wartet im Krankenhaus. Aber es gibt auch Ausbrüche in bunte, hochglänzende Traum- und Postkartenwelten. „And-Ek Ghes…“ heißt „eines Tages“ und ist der Titel eines Songs. Colorado Velcu hat ihn komponiert, einer seiner Söhne hat ihn eingesungen. Es geht darin um ein Liebespaar, das vor dem Widerstand der Familien gemeinsam flieht, nach Berlin. Im Film gibt es dazu einen Videoclip im Bollywood-Stil mit Kerzenschein, Tanz und kreisenden Kamerabewegungen. Nach einem Bootsausflug und einer Kutschfahrt durchs Brandenburger Tor landet das Paar schließlich in einem Aufzug, der direkt ins Arsenal Kino führt, in eine Vorführung von „Om Shanti Om“ (fd 38 617). Nicht nur an dieser Stelle ist „And-Ek Ghes…“ auch ein Film über das Filmemachen und die Produktion von Bildern. Das Projekt, zusammen mit Scheffner einen Film zu machen, ist von Anfang an Teil des Films. Schon in den ersten Minuten sieht man die Velcu-Familie, wie sie sich vor einem Laptop-Bildschirm versammelt und das von Scheffner montierte Material betrachtet und kommentiert. Oftmals lösen sich scheinbar dokumentarische Szenen als inszenierte auf, die Beteiligten brechen in Lachen aus oder werden von Colorado Velcu angewiesen, die Szene noch einmal zu wiederholen. Das „Making of“ ist schon bildtechnisch in den Film integriert. Sowohl in den statischen langen Einstellungen, in denen die Kamera in irgendeiner Raumecke aufgestellt oder auch einfach abgestellt wurde, während Leute den Raum betreten und wieder verlassen, am Tisch sitzen und reden. Aber auch die bewegungsintensiven Handkamera-Szenen, die gekippten Perspektiven, plötzlichen Schwenks und Zoom-Ins sind weniger Dokumente von Authentizität als einer Form des Filmemachens, die die Instanz eines Blickzentrums und einfache Subjekt-Objekt-Zuordnungen aus den Angeln hebt. Die Frage der Repräsentation und der Darstellbarkeit ist in „And-Ek Ghes…“ immer präsent. Einmal sitzt Colorado Velcu in der Küche und liest einem Freund lange aus seinem Tagebuch vor. Es ist eine detaillierte Beschreibung der Museumsinsel mit ihren Gebäuden und Denkmälern. Der Freund lobt den Eintrag, aber er vermisst dabei etwas Entscheidendes: die Emotion. Colorado Velcu widerspricht. Nach einem langen Arbeitstag sei er schließlich sehr müde gewesen. Und außerdem stehe da doch am Ende: „Schöne Zeit. Wirklich unvergesslich.“
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