Der französische Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler René Descartes ist zu Gast am schwedischen Hof. Er ist der Einladung von Königin Kristina, der Tochter des im Dreißigjährigen Krieg gefallenen Königs Gustav II. Adolf, gefolgt. Seine Anwesenheit ist ein Skandal. Kristinas Vater gilt als protestantischer Held, Descartes ist Katholik. In Anwesenheit des Klerus seziert der Wissenschaftler feierlich ein Gehirn. Die Augen der Königin, der einzigen Frau in der Runde, leuchten fiebrig. Als Descartes den Schädel aufsägt, schwächeln die ersten, es kommt zu mehrfachen Ohnmachtsanfällen. Descartes entfernt die Zirbeldrüse und erklärt sie zum „Sitz der Seele“. Für die versammelten Lutheraner ist diese These pure Ketzerei; ein Theologiestudent versucht, die Königin zu erschießen.
Das Aufsägen des Schädels, die übertriebene Schwäche der Männer, das die pure Neugierde übersteigende „guilty pleasure“ der Königin: all das lässt die Szene ins Groteske kippen. Der finnische Regisseur Mika Kaurismäki versucht sich in „The Girl King“ immer wieder mal am Überkandidelten, Exaltierten: Kristina im Pelzmantel in der Sauna, ein irrer Auftritt ihrer irren Mutter mit orangefarbenen Haaren (als hätte die „Queen of Punk“ Vivienne Westwood Modell gestanden). Eine lesbische Liebesszene über der aufgeschlagenen Teufelsbibel, der Codex Gigas, gerät sogar zum reinen Camp.
Manchmal mischt sich die unschuldig-naive Atmosphäre eines Märchenfilms ins Geschehen. Allerdings lässt sich oft nicht sagen, was an den Übertreibungen und Plumpheiten Absicht und was Folge eines unausgegorenen Projekts ist, an dem offensichtlich zu viele Leute mitgemischt haben. „The Girl King“ ist ein typischer Europudding: die Besetzung ist international, gedreht wurde in englischer Sprache, das Drehbuch stammt von dem Frankokanadier Michel Marc Bouchard und wurde aus dem Französischen übersetzt. Das hört man. Die Dialoge klingen ungelenk, manchmal sogar lächerlich. Und visuell sieht der Film wie eine durchschnittliche Geschichtsserie im Fernsehen aus.
Königin Kristina ist eine mythenumwobene Figur. Sie gilt als ein „role model“ für weibliche Selbstbestimmung und Freidenkertum. „The Girl King“, der „Mädchen-König“, ist ein Tomboy. Als die schwedische Thronfolgerin nach dem Tod ihres Vaters im Alter von sechs Jahren als Oberhaupt ihres Landes nachrückt, wird sie zum Regenten erzogen. Sie lernt Jagen, Fechten, Mathematik, Geografie und verschiedene Sprachen. Bald rennt sie in Männerkleidung durch die Gegend und empfängt ihre Berater mit den Füßen auf dem Tisch. Den Heiratsplänen des Hofs steht sie ablehnend gegenüber. Ihre erste Amtshandlung ist die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges, außerdem wirbt sie für die Einrichtung von Schulen und Bibliotheken; Stockholm soll das „neue Athen“ werden. Durch ihre intellektuelle Neugier und religiöse Offenheit wird die Königin allerdings auch zum Objekt unterschiedlicher Machtinteressen: der konservative Königshof will sie als mächtigsten lutherischen Souverän stärken, der französische Botschafter versucht sie zum Katholizismus „umzudrehen“. Tatsächlich dankte Kristina 1654 ab, installierte ihren Cousin als neuen Herrscher und trat zum Katholizismus über.
Während die religiösen und intellektuellen Debatten schnell und oberflächlich abgehandelt werden, stellt Kaurismäki die sexuelle Identitätssuche der Königin ins Zentrum der Erzählung. Kristina verliebt sich nämlich rasend in ihre Kammerzofe, die Gräfin Ebba Spare, die sie zur „königlichen Bettgefährtin“ ernennt. Mit ihrem Begehren völlig überfordert, fragt die Königin Descartes um Rat. In der Theorie kann er ihr weiterhelfen, in der Praxis aber nicht. Kristina leidet, die Geliebte wird durch eine Intrige weggeheiratet. Dem Film hilft diese Dramatik allerdings nicht weiter. „The Girl King“ ist auch auf der Ebene des psychologischen Dramas ziemlich dünn. Und die Exzentrik der Zirbeldrüsenszene kann das laue Biopic auch nicht retten.