Es ist erstaunlich, dass Deutschland so lange gebraucht hat, um sich an diesen vom Fernsehen bis zu Hollywood mehrfach verfilmten Stoff im Kinoformat zu wagen. An der Scheu, sich an der Unantastbarkeit authentischer Überlieferung zu vergreifen, dürfte es kaum gelegen haben, Holocaust-Filme gibt es auch im deutschen Kino en masse: von „Aimée & Jaguar“
(fd 33 548) bis zu „Ende der Schonzeit“
(fd 41 540). Dass Fred Breinersdorfer nach „Sophie Scholl – die letzten Tage“
(fd 36 917) und „Elser – Er hätte die Welt verändert“
(fd 42 998) erneut als Vertreter der Nachkriegsgeneration das Drehbuch beisteuert, signalisiert bereits den Willen, bloß keinen peinlichen Ausrutscher zu riskieren. Selbst Hans Steinbichler, der mit Filmen wie „Hierankl“
(fd 36 218) und „Autistic Disco“
(fd 38 927) durchaus Ecken und Kanten vorzeigen konnte, aber für dieses historische Drama nicht zwingend prädestiniert war, begnügt sich damit, sein junges Zielpublikum möglichst breit zu halten. Immerhin ist die Hauptrolle mit der noch unverbrauchten Lea van Acken perfekt besetzt. Dass Martina Gedeck und Ulrich Noethen ihre Eltern spielen, gehorcht freilich vorhersehbar dem unverwüstlichen Sicherheitsdenken in den Redaktionsstuben, verursacht aber auch keinen wirklichen Schaden.
In warmen Sepia-Tönen beschwört die anschmiegsame Kamera die Zeitenwende des neuen Regimes. Die Franks ziehen 1934 aus Frankfurt nach Amsterdam. Anne und ihre Schwester Margot versuchen, in der neuen Umgebung heimisch zu werden. Die Ruhepause hält nicht lange an. Die deutschen Truppen besetzen sechs Jahre später das Land, die Situation der Familie verschlechtert sich zunehmend. Als Margot deportiert werden soll, greift Otto Frank auf einen von langer Hand organisierten Plan zurück. Er nutzt das Hinterhaus seines Firmensitzes als Versteck. Der Alltag muss von nun an auf 50 Quadratmetern stattfinden. Nach und nach ziehen weitere Untergetauchte ein und teilen miteinander die ständige Angst, entdeckt zu werden. Kontakt zur Außenwelt halten sie über das Radio und die Besuche ihrer Helfer. Eine Zeit lang scheint die unfreiwillige Kommune einen Halt zu bieten: Man lacht und weint gemeinsam, lebt Konflikte aus und begleitet die Jugendlichen durch die ohnehin schwierige Pubertät.
Zu ihrem 13. Geburtstag bekommt Anne ein Tagebuch, in das sie von nun an ihre Beobachtungen einträgt. Es gibt in diesem Mikrokosmos kein noch so banales Ereignis, das zu kommentieren sie sich verkneifen würde, egal ob den Streit mit der Mutter oder den Wunsch nach einem Hund, dessen Besitz sich ohnehin verbietet. Und doch fließen auch jede Menge Gefühle in das Buch, die den Ernst ihrer Situation widerspiegeln.
Steinbichler zeigt einen Teenager, der auch ohne die Rassenverfolgung mit Stimmungsschwankungen zu kämpfen gehabt hätte. Er dringt in Anne Franks Intimsphäre ein, ohne je wie ein Eindringling zu wirken. In der Blase des auch von Bombenabwürfen der Alliierten bedrohten Verstecks geht sie auf Konfrontation mit sich selbst und den anderen, ist lebenshungrig und neugierig auf das Versprechen der Liebe, was sie nicht daran hindert, hinter ihrer wachen Schlagfertigkeit die Lage, in der sich ihre Nächsten befinden, realistisch einzuschätzen. Die schlimmstmögliche Wendung bleibt ihr auch in dieser erfreulich zurückhaltenden, weder düsteren noch verharmlosenden Verfilmung nicht erspart. Man lässt die Zuschauer zwar früh in die Karten schauen, aber die Empathie stellt sich bei dieser universellen Überlebenslektion auch ohne Tricks und Effekte ein. Kein großer Wurf und doch eine Feier des Zusammenhalts, die ihr schweres Gepäck respektabel zu tragen weiß.