„Umrika“, sagen sie in Indien zu Amerika, oder zumindest in Prashant Nairs Film, der genauso heißt: „Umrika“. Es ist darin tatsächlich viel von Amerika die Rede, und gemeint ist damit implizit meist dasselbe wie bei uns: Das Land jenseits des Ozeans, der Sehnsuchtsort, an dem die Träume wahr werden.
Es sind Träume vom besseren Leben, die in einem weltabgelegenen südindischen Bergdorf umhergehen; den einen oder anderen Bewohner zieht es denn auch von hier fort. Der Erste, der Ende der 1970-Jahre über den großen Teich will, ist Udai, der von Geld, einem besseren Leben und glänzenden Autos träumt. In Umrika, weiß man, ist die Zukunft immer rosig.
Bunt sind denn auch die Schilderungen, die in den nach einer Weile und fortan regelmäßig eintreffenden Briefen vom märchenhaft-abenteuerlichen, abwechslungsreichen Leben anderswo berichten. Von riesig hohen Häusern in New York, von eisig kaltem Schnee und von einem seltsamen großen Vogel, den man zu Thanksgiving überall isst und der doch nicht so wunderschön bunt und besonders ist wie die Pfauen zuhause. Dass es sich bei den in die Briefe eingeklebten Bildern nicht um selber gemachte Fotos, sondern um Ausschnitte aus Zeitungen und Zeitschriften handelt, fällt vorerst nicht auf.
Erzählt wird aus Sicht von Udais um etliche Jahre jüngerem Bruder Ramakant. Die Berichte aus Amerika begleiten den Jungen beim Heranwachsen und festigen seine Position in der Dorfgesellschaft. Groß ist die Aufregung, wenn die Briefe kommen, vor allem bei Udais Mutter, die sich mit der Abwesenheit ihres Sohnes schwertut. Noch größer aber ist die Beunruhigung, als die Briefe nach Jahren plötzlich ausbleiben. Obwohl sein bester Freund Lula gar nicht begeistert ist, beschließt Ramakant, seinem Bruder nachzureisen und ihn zu suchen.
Nun verlagert sich das Geschehen in die Millionenstadt Mumbai, von wo aus Udai übers Meer fahren wollte. Ramakant findet ein Auskommen als Fahrradkurier; doch damit schleicht sich auch ein düster-bedrohlicher Unterton in den bis dahin heiter-verschmitzten Film.
Amerika bleibt in „Umrika“ bis zuletzt ein fern-fiktiver Sehnsuchtsort, eine Illusion made in India. Prashant Nair erzählt stimmungsvoll, aber auch verschachtelt und sprunghaft fragmentarisch. Da und dort verorten Fernsehbilder, etwa von der Ermordung Indira Gandhis 1984 oder dem Absturz der Raumfähre Challenger 1986, die Handlung historisch. Im Tonfall erinnert der Film oft ziemlich unmittelbar an ein italienisches Sozialdrama und bezeugt damit die Vertrautheit des zwar in Indien geborenen, aber in Europa und den USA aufgewachsenen Regisseurs mit der westlichen Kinematografie.
Abgesehen davon gehört „Umrika“ wie „Lunchbox“
(fd 42 059) und „Bombay Diaries“
(fd 40 667) zu einer Reihe jüngerer Filme aus Indien, die von einem rege wachsenden Filmschaffen jenseits von Bollywood zeugen.