Sinn und Zweck von Kino-Co-Produktionen bestehen heute oft darin, Fördergelder zusammenzutragen, die in einem Land allein nur schwerlich aufzutreiben wären. Inhaltliche Aspekte sind meist zweitrangig. Michal Rogalskis deutsch-polnische Gemeinschaftsproduktion macht da eine erfreuliche Ausnahme. Hier war das Zusammenspiel von Produzenten, künstlerischen Mitarbeitern und Darstellern aus zwei Ländern tatsächlich zwingend: Der Film hat gleichermaßen mit deutscher und polnischer Geschichte zu tun.
„Unser letzter Sommer“ führt ins deutsch besetzte Ostpolen im Kriegsjahr 1943. Noch ist die Front weit entfernt, aber die Bilder malerischer Landschaften, die sonnendurchfluteten Aufnahmen einer scheinbar unberührten Natur täuschen: Auch im Hinterland sind Tod und Vernichtung präsent. Die Güterzüge, die hier durchkommen, fahren von und nach Auschwitz. Jeder weiß, was mit den Tausenden in die Waggons eingepferchten Menschen geschieht, und niemand verliert darüber ein Wort. Das betrifft gleichermaßen die deutschen Gendarmerie-Soldaten, die zur Sicherung der Strecke abkommandiert sind, wie die polnische Zivilbevölkerung, die nach jeder Zugdurchfahrt heimlich an den Böschungen nach Dingen sucht, die aus den Wagen geworfen wurden: Kleider, Koffer, ein Grammofon. Vor diesem Hintergrund entfalten sich die Geschichten zweier junger Männer: die des knapp 18-jährigen Soldaten Guido, der wegen seiner Vorliebe für Jazz-Musik hierher strafversetzt wurde, und die des gleichaltrigen Rangierlok-Heizers Romek. Beide werden in jenem Kriegssommer ihre Unschuld verlieren, im direkten wie im übertragenen Sinne. Beide überleben, indem sie einen anderen Menschen verraten. Die Schuld, die sie auf sich laden, wird sie ein Leben lang begleiten – auch wenn sie, was der Film als offene Frage stehen lässt, darüber nie oder erst nach langem Verdrängen und Verschweigen reden werden.
Rogalski, der vom Dokumentarfilm kommt, mehrere Fernsehserien gestaltete und mit „Unser letzter Sommer“ ein dichtes, atmosphärisches und historisch präzises Spielfilmdebüt vorlegt, lässt seine Figuren auf dem schmalen Grat zwischen Naivität und Gleichgültigkeit, Lebenslust und Todesangst balancieren. Für das entsetzliche Verbrechen, das im Umfeld der beiden Jungen geschieht und in das sie letztlich selbst verwoben sind, findet er starke Metaphern: Wenn Romek mit einem Koffer nach Hause kommt, den er am Rand der Strecke fand, verbrennt seine Mutter erst einmal die Familienfotos, die darin enthalten sind; nicht nur die Menschen selbst werden zu Asche, sondern auch die visuellen Erinnerungen an sie. Später wird Guido von seinem Oberleutnant gezwungen, einen Heuhaufen anzuzünden, in dem sich, vermutlich, geflohene Juden verbergen. Unter den um ihr Leben schreienden Menschen ist auch die Stimme eines Babys auszumachen – ein Schock für den Soldaten, der sich plötzlich nicht mehr als bloßer Befehlsempfänger, sondern als Mittäter begreift.
„Unser letzter Sommer“ ist auch als Parabel darüber zu verstehen, dass Schuld selbst in grausamen Zeiten nie abstrakt sein kann, sondern immer mit persönlicher Verantwortung und persönlichem Versagen verbunden ist. Dabei verzichtet der Film auf jede einseitige, schematische Darstellung von Polen und Deutschen. Selbst die Befehlshaber in der Hierarchie der Gendarmerie sind widersprüchlich gezeichnet, keine Bestien, wohl aber Männer, die wissen, was ihnen bevorsteht, wenn sie als Rädchen im Getriebe der Kriegsmaschinerie nicht funktionieren. André Hennicke als väterlicher Feldwebel, der sich so lange vor seine Soldaten stellt, bis es ihm selbst an den Kragen gehen könnte, war in letzter Zeit selten so gut wie hier. Herausragend allerdings sind die beiden Hauptdarsteller: Jonas Nay als Guido spielt jugendlich ungestüm, mit beginnenden Zweifeln und zunehmender Verzweiflung. Filip Piotrowicz als Romek zeigt, wie die Anpassung der Erwachsenen an die Umstände, das Wegsehen, der Egoismus auf die nächste Generation abfärben – bis zur Katastrophe und auch noch danach. Beide Jungen erleben, schuldbeladen, am Ende einen Karrieresprung; der eine wird befördert, der andere zum Lokführer ernannt. Das letzte Bild weist darauf hin, unter welchen Umständen diese „Karrieren“ erfolgten: Zu sehen ist ein leerer Güterzug mit weit geöffneten Türen, der durch die Sommerlandschaft fährt – ein Motiv, das nicht nur ganz direkt auf die in die Gaskammern deportierten Menschen verweist, sondern auch auf den Verlust von Humanität bei allen Beteiligten.
Dagegen sind die beiden Mädchen, denen Guido und Romek begegnen, die Polin Franka und die Jüdin Bunia, eher holzschnitthaft gezeichnet. Sie wirken wie Stichwortgeberinnen, dramaturgische Mittel zum Zweck. Auch der kurze Auftritt russischer Partisanen mit der obligatorischen Vergewaltigungsszene trägt klischeehafte Züge. Das schmälert den insgesamt starken Eindruck des Films allerdings kaum.