Während der Dreharbeiten zu seinem Film „Leben auf 1 qm“ (2005) über das Hochsicherheitsgefängnis Rahovan in Bukarest lernte der Regisseur Andrei Schwartz den Doppelmörder Gavriel Hrieb kennen und begleitete ihn nach dessen Begnadigung 2012 zwei Jahre lang mit der Kamera. Die Doppelbödigkeit der Aufnahmen macht den Film zu weit mehr als einer klassischen Dokumentation: Unter der Oberfläche einer Resozialisierungsgeschichte verbirgt sich eine wechselseitige Bezogenheit des Filmemachers und seines Protagonisten, die an die Grenzen des Genres führt. (Teils O.m.d.U.)
- Ab 14.
Himmelverbot
Dokumentarfilm | Deutschland/Rumänien 2014 | 90 Minuten
Regie: Andrei Schwartz
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Filmdaten
- Originaltitel
- OUTSIDE
- Produktionsland
- Deutschland/Rumänien
- Produktionsjahr
- 2014
- Produktionsfirma
- TAG/TRAUM Filmprod.
- Regie
- Andrei Schwartz
- Buch
- Andrei Schwartz
- Kamera
- Susanne Schüle · Andrei Schwartz · Bernd Meiners
- Schnitt
- Heidrun Schweitzer
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- 13.08.2015
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Ein begnadigter Mörder sucht Anschluss
Diskussion
Eine Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt Gavriel Hrieb mit seiner Frau an einem Tisch, beide schauen direkt in die Kamera, ihr Blick ist offen, seiner ein wenig hintergründig. Kurz nach der Aufnahme beging Gavriel einen Doppelmord. Er bekam dafür lebenslänglich und trat im rumänischen Hochsicherheitsgefängnis Rahova seine Haftstrafe an. Mehr als 20 Jahre danach, Gavriel wurde inzwischen als einer der ersten Lebenslänglichen in Rumänien begnadigt, eine direkte Folge der Aufnahme des Landes in die EU, betrachtet er etwas melancholisch die Fotografie, als ließe sich darin irgendeine Erklärung für seine Tat finden.
„Ich leiste keinen Schwur“, erklärt der sympathische schmächtige Mann mit dem Hinweis auf seine an die Brust gehaltene Hand, „ich verdecke meine Knarre“. Das Bild, das man von Gavriel bis dahin als Zuschauer gewonnen hat, gerät plötzlich in eine Schieflage. Der „Ganovenquatsch“, wie er seine jugendliche Unbeherrschtheit einmal nennt, mag nicht so recht zu seiner Version der Geschichte passen: diese hat nämlich einen leicht system- und obrigkeitskritischen Einschlag und handelt von einem Rachemord an einer Oberstaatsanwältin, die einen jungen Mann wegen Lappalien sechs Jahre hinter Gitter brachte und ihn als „lausigen Juden“ beschimpft hatte.
Auf den ersten Blick ist „Himmelverbot“ ein klassischer Film über die Mühen einer Resozialisierung. Zwei Jahre begleitet der Filmemacher Andrei Schwartz den Protagonisten, den er zehn Jahre zuvor bei den Dreharbeiten zu „Jailbirds – Geschlossene Gesellschaft“ (2005) kennenlernte, einen Dokumentarfilm über das Bukarester Gefängnis Rahova. Schwartz dokumentiert den letzten Zellenappell, die herzliche Verabschiedung von den Mitinsassen und die tränenreiche Heimkehr in die Wohnung der Mutter. Bei seinen nächsten Besuchen findet Schwartz einen grauen, eingefallenen Mann vor, der von wachsenden Spannungen in der Familie erzählt, von feindseligen Nachbarn, der erfolglosen Arbeitssuche, aber auch von Hoffnungen auf einen Neuanfang mit seiner Ex-Frau. Durch Schwartz’ Vermittlung findet Gavriel schließlich einen Job in einer Großküche in Bayern. Gavriel ackert und nennt sich einmal bissig „Kaiser of Müll“. „Für eine Emigranten-Familie haben wir einiges geschafft“, sagt seine Frau.
Das eigentlich interessantere thematische Feld von „Himmelverbot“ findet sich indes unter der Erzähloberfläche. Es handelt von dem Bild, das sich ein Filmemacher von seinem Protagonisten macht – oder machen möchte. Weil er ihn mag. Entscheidender aber ist, was Schwartz, der als Teenager Rumänien verließ, eingangs schon einräumt: Gavriels Geschichte „voll Schatten und bitterem Humor“ habe bestens zu seinem Bild des Heimatlandes gepasst. So wie Gavriel an seiner Version festhält, nicht mehr zurückrudern kann, wie er erklärt, sucht auch Andrei Schwartz sein Bild immer wieder zu bestätigen, in das sich offensichtlich aber immer stärkere Zweifel einschleichen. Man spürt seine Enttäuschung, wenn er Gavriel wiederholt zu einem Gespräch über die Schuldfrage lotst und nicht zu hören bekommt, was er sich heimlich erhofft. Die Einsicht in die Gerichtsakten bestätigt seinen Verdacht, der große Knall bleibt jedoch aus. Schwartz weiß nur zu gut, dass Gavriels Erzählung nicht zuletzt durch seinen Film zu einer kollaborativen Geschichte geworden ist.
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