Nach der Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl führten der Student Hans Conrad Leipelt und einige Kommilitonen deren Kampf gegen den Faschismus fort, indem sie die Flugblätter der Weißen Rose vervielfältigten und verteilten. 14 Zeitzeugen, Mitstreiter und Angehörige erinnern sich in langen Interviews an die damalige Zeit, wobei ihre Ausführungen nur durch Texttafeln und den aus dem Off verlesenen Flugblättern unterbrochen werden. Der inszenatorisch extrem reduzierte Film, der erst posthum nach dem Tod von Kathrin Seybold (1943-2012) von einer Freundin montiert wurde, leiht Menschen aus dem Umfeld der Weißen Rose eine Stimme, die im Schatten der Geschwister Scholl vergessen zu werden drohen.
- Ab 14.
Die Widerständigen "also machen wir das weiter..."
Dokumentarfilm | Deutschland 2014 | 87 Minuten
Regie: Katrin Seybold
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2014
- Produktionsfirma
- Katrin Seybold Film
- Regie
- Katrin Seybold · Ula Stöckl
- Buch
- Katrin Seybold · Ula Stöckl
- Kamera
- Alfred Tichawsky · Gerardo Milsztein · Sorin Dragoni
- Schnitt
- Frank Müller
- Länge
- 87 Minuten
- Kinostart
- 07.05.2015
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Dokumentarfilm über Menschen aus dem Umfeld der Weißen Rose
Diskussion
Die Bürde, die auf Hans Conrad Leipelt nach der Hinrichtung der Geschwister Scholl und von Christoph Probst lastete, wird von all den Päckchen Flugblättern, die er noch verbreiten konnte, kaum aufgewogen worden sein. Leipelts Mut und Glaube, die Herzen der indoktrinierten Nation doch noch bewegen zu können, müssen am Chemischen Staatslaboratorium der Münchner LMU schwer Eindruck gemacht haben. 1943 halfen ihm ein paar Kommilitonen bei der Vervielfältigung und Verbreitung des sechsten Flugblatts der Weißen Rose bis nach Hamburg, wo der Widerstand neue Blüten trieb. Und das in Zeiten, in denen eine Schreibmaschine höchstens drei Durchschläge hergab, Kontrollen alltäglich waren und im Hinblick auf Millionen toter Soldaten das Leben einer Handvoll Dissidenten nicht viel galt.
Angesichts der aufwühlenden Fakten, die von Menschen berichtet werden, deren faltige Gesichter und brüchige Stimmen erahnen lassen, dass ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt, kann das „Wie etwas erzählt wird“ gegenüber dem „Was“ schon einmal in den Hintergrund treten. In bewusst schlichten Interview-Sequenzen, die nur von knappen Texttafeln und einer über das Flugblatt fahrenden Kamera unterbrochen werden, während die sichtbar werdenden Sätze aus dem Off zu hören sind, entfaltet sich die Fortführung eines Widerstands, der bislang kaum erzählt wurde. Geschichte bekommt Gesichter, an die sich die unbewegte Kamera nur ab und an leicht heranzuzoomen traut: an Hans Leipelts Freundin Marie-Luise Schultze-Jahn, an seine Kommilitonen Valentin und Gerda Freise, an Lieselotte Dreyfeldt-Hein, Jürgen Wittenstein sowie an Ilse Ledien, eine Freundin der Leipelt-Geschwister. Mit ihnen hat Katrin Seybold zwischen 2000 bis 2004 zahlreiche Interviews geführt, ebenso wie mit der im Schmorell-Prozess verurteilten Medizinstudentin Traute Lafrenz-Page, der Berliner Widerständlerin Karin Friedrich und mit Birgit Huber, der Tochter des hingerichteten Professors Kurt Huber.
2012 ist die engagierte Dokumentaristin aber plötzlich verstorben, ohne die Zeugnisse zu einer Fortsetzung ihres Films „Die Widerständigen – Zeugen der Weißen Rose“ (fd 39 104) montieren zu können. Dem neuen Film, der im Gegensatz zum Ersten auf Fotografien und einen Off-Kommentare verzichtet, hat die Regisseurin Ula Stöckl nur eingangs das Porträtfoto ihrer langjährigen Freundin und Kollegin vorangestellt. Gleichzeitig erklärt Seybolds Stimme, warum das „Wer“ und „Wann“ beim Dokumentieren so wichtig sind: damit die Opfer noch eine Stimme bekommen, bevor irgendwann nur noch die Dokumente der Täter, der Gestapo, übrig sind.
Abseits der NS-Akten erzählen Seybolds Zeitzeugen vom verbotenen Konsum, von Musik, Literatur, BBC und Leipelts Intelligenz, an den sie sich wie einen Rettungsring in der so leichtfertig auf sich genommenen Gefahr festkrallten. Dabei wird weniger der eigene Mut unterstrichen, als vielmehr der von Menschen, die ihre eigene Form des Widerstands entwickelten, wie etwa Professor Heinrich Wieland, der es als Nobelpreisträger wagte, Studenten mit jüdischen Wurzeln an seinem Lehrstuhl ein Refugium zu schaffen und der angegriffen wurde, als er sich beim Prozess für Leipelt einsetzte. Leipelt wiederum setzte alles dran, seine Freundin Marie-Luise Jahn zu schützen. Mit nicht enden wollendem Schmerz erzählt Jahn, wie Leipelts Pflichtverteidiger weder dessen Militärzeit noch seine Orden zur Verteidigung anführte, während sich der Gerichtshof an den sexuellen Details ihrer Beziehung „ergötzte“.
Kurz vor Kriegsende, Ende Januar 1945, wurde Leipelt, der „Motor“ mit dem „zersetzenden Verstand“, hingerichtet. Viele Widerstandskämpfer kamen nach Denunziation, Haft, Verhören und Todesangst um, manche, wie die Interviewten, kamen frei oder wurden nach Kriegsende befreit – auch wenn das nicht bedeutete, dass sie gewusst hätten, wohin mit sich und ihren schrecklichen Erfahrungen. Ob nach Amerika wie Lafrenz-Page oder in die DDR, wo Dreyfeldt-Hein gerne auf ihren aberkannten Status als NS-Verfolgte verzichtete, waren dort doch nur Kommunisten geachtet.
Es sind diese mit historisch wertvollen Beobachtungen versetzten Berichte, die Seybolds und Stöckls dokumentarische Arbeit vor allem hörenswert machen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sich ihr Projekt – wie die Flugblätter – ganz auf die Aussagekraft der Worte reduziert und auf die Kraft eines Zusatzes verlässt, mit dem Jahn und Leipelt ihre Flugblatt-Kopien im Hinblick auf die Stalingrad-Opfer versahen: „Und ihr Geist lebt trotzdem weiter!"
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