Ein Angestellter bekommt zum Geburtstag ein Lotto-Abonnement geschenkt, knackt den „Jackpot“ und hat mit den Folgen des Millionengewinns zu kämpfen. Der mit einem ausgeprägten Gefühl für alltagsnahe Dialoge erzählte Debütfilm beschreibt die Erosion eines kleinbürgerlichen Lebenszusammenhangs, wobei das spannende, fein ausbalancierte Drama dem Stoff ebenso existenzielle Tiefe wie auch heitere Momente abgewinnt. Eine tragikomische Lektion über die Falltüren des Glücks sowie die Untiefen wunschlosen Unglücks.
- Sehenswert ab 14.
Millionen
Tragikomödie | Deutschland 2013 | 85 Minuten
Regie: Fabian Möhrke
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2013
- Produktionsfirma
- Buntfilm/ZDF/Das kleine Fernsehspiel
- Regie
- Fabian Möhrke
- Buch
- Fabian Möhrke
- Kamera
- Marco Armborst
- Musik
- Johannes Malfatti
- Schnitt
- Thomas Krause
- Darsteller
- Andreas Döhler (Torsten) · Carola Sigg (Susanne) · Levin Henning (Lutz) · Annika Ernst (Doreen) · Wiebke Frost (Undine)
- Länge
- 85 Minuten
- Kinostart
- 03.07.2014
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Tragikomödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Am Ende klettert der bemitleidenswerte Lottogewinner auf Bäume, um nicht die Übersicht zu verlieren. Statt des luxuriösen Lebens, das ihm der 22-Millionen-Jackpot hätte bescheren sollen, bricht ihm der Boden unter den Füßen weg. Ans Weiterarbeiten ist nicht zu denken. Die Kollegen begegnen ihm mit Neid und Wut. Sie trauen ihm jede Übeltat zu. Selbst, dass er die Firma aufkaufen könnte, halten sie für ein realistisches Szenario. Die Ehefrau mobilisiert plötzlich alle Kräfte in ihr Wunschprojekt einer Kinderbekleidungs-Boutique für Gutbetuchte, die sie nicht etwa in ihrer Provinzstadt, sondern am Prenzlauer Berg in Berlin aufziehen möchte. Als ihr Gatte, der mit seinem bisherigen Dasein zufrieden war und den Lotto-Schein nur unter dem Gruppenzwang seiner Bürokollegen ausgefüllt hatte, ihr überambitioniertes Vorhaben kritisiert, gibt sie ihm zu verstehen, dass sie seinen engen Horizont schon immer verachtet habe.
Wo gerade noch bedingungslose Harmonie herrschte, tun sich ungeahnte Gräben und Dissonanzen auf. Der pubertierende Sohn genießt den unerwarteten Aufstieg, indem er die Autos in der Nachbarschaft mit Spraydosen traktiert und als Visitenkarte Geldscheine hinter den Scheibenwischern hinterlässt. Nur die Freundschaft mit einem gleichaltrigen Pärchen scheint der demoralisierenden Geldlawine zunächst standzuhalten. Bis sich die frischen Millionäre dazu entschließen, ihnen etwas von dem zugefallenen Reichtum abzugeben. Das Paar nutzt daraufhin seine Chance zum Ausstieg und wandert nach Südfrankreich aus.
Regisseur Fabian Möhrke (Jahrgang 1980) erzählt bestechend realistisch und mit ausgeprägtem Gefühl für alltagsnahe Dialoge von der Erosion eines kleinbürgerlichen Lebenszusammenhangs. Die unbekannten Darsteller entwickeln eine beachtliche Intensität, treiben ihre Figuren durch ein Auf und Ab der Gefühle, das ambivalente Seiten ihres Charakters an die Oberfläche kommen lässt, mit denen sie zuvor nie konfrontiert wurden. Einzig der Verursacher des Durcheinanders leidet sichtlich an der Ausnahmesituation. Er kreist so lange in seinem neuen Porsche, bis er sich übergeben muss. Geplagt von berechtigter Verlustangst, entdeckt er seine Vatergefühle und sucht bei dem überforderten Filius Halt. Als sich ihm seine Frau im Rausch ihrer vielversprechenden Karriere als selbstständige Chefin sexuell verweigert, betrügt er sie mit der Partnerin seines besten Freundes; ein Verrat, den er sich früher nie zugetraut hätte.
Seine Stimmungslage wechselt ohnehin beängstigend zwischen tiefer Verunsicherung und inhaltsleerem Größenwahn, Identitätsverschiebungen und hilflosem Festhalten an alter Routine, bis ein unfreiwilliger Selbstmordversuch, der an Komik nicht zu überbieten ist, ihm die Augen fürs Wesentliche öffnet.
Ein spannendes, psychologisch fein ausbalanciertes Debüt in der Tradition von Andreas Dresen, das sich einem auf den ersten Blick banalen Stoff widmet, der aber angesichts des neoliberalen Zeitgeistes mit seiner Anbetung irrsinniger Vermögensakkumulationen eine seltene existentielle Tiefe entwickelt, ohne die heiteren Aspekte eines von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellten Lebensverlaufs zu vernachlässigen. Ellipsen und eingestreute Ruhemomente in der Natur verraten inszenatorisches Können. „Millionen“ ist eine tragikomische Lektion über die Falltüren des Glücks und die Untiefen wunschlosen Unglücks.
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