Rockmusik, Geschrei und Gelächter hallen mitten in der Nacht bis ins Kinderzimmer, wo Maisie und ihre Freundin zu schlafen versuchen. Die kleine Besucherin beginnt zu weinen und will nach Hause. Maisie hingegen bleibt cool. Der Anblick von Bierdosen, Koks-Linien auf dem Tisch sowie der aufgedrehten Mutter mit den Tattoos auf den Armen und ein paar Rockmusikern an der Hand ist ihr nicht unbekannt. Ein solches Umfeld ist nicht gerade kindgerecht, auch wenn viel Geld in dem schicken New Yorker Apartment steckt, aus dem die Mutter, eine erfolgreiche Rocksängerin Susanne (Julianne Moore), soeben Maisies Vater Beale, einen Kunsthändler (Steve Coogan), hinausgeworfen hat. Ihre Ehe ist zerbrochen.
„Das Glück der großen Dinge“ erzählt vom Glück der vermeintlich kleinen Dinge: nicht vom vielen Geld, das Beale als Kunsthändler verdient, nicht von der Bewunderung, die Susanna als verblassende Rock-Ikone in den Konzertsälen immer noch entgegen schlägt. Der Originaltitel des Films und der der literarischen Vorlage von Henry James lautet „What Maisie Knew“. Dementsprechend ist die Scheidungsgeschichte auch aus der Sicht des Kindes erzählt, wenngleich sich die Handlung weniger um die Dinge dreht, die Maisie mitbekommt, sondern um das, was das Mädchen braucht. Und das sind eben kleine Dinge wie Liebe, Verständnis, Aufmerksamkeit oder eine Person, die einen von der Vorschule abholt.
Gerade das funktioniert aber in letzter Zeit immer seltener, obwohl Maisies Eltern zuvor noch um die Besuchstage beim gemeinsamen Sorgerecht schacherten und sich alsbald mit anderen Partnern verheirateten, um Maisie jeweils für sich zugesprochen zu bekommen – Beale hat Maisies Kindermädchen Margo geehelicht, Susanna den Barkeeper Lincoln (Alexander Skarsgard). Das arme Mädchen hat künftig also vier statt zwei Eltern, wobei die angeheirateten Ersatzeltern mit den weniger renommierten Jobs dem Mädchen mit viel mehr Verantwortungsgefühl als ihre Erzeuger begegnen, die sich schnell wieder in ihren Alltag stürzen, als wäre mit der Scheidung nicht nur ihre Liebe, sondern auch deren Ergebnis, Maisie, ausgelöscht worden.
Henry James veröffentlichte seine in London spielende Novelle im Jahr 1897, als der „Matrimonial Causes Act“ in England gerade auch weniger begüterten Bürgern die Scheidung ermöglichte. Film und Buch beinhalten unfassbare Egoismen der Erwachsenen, die Maisie einen ihrem Alter völlig unangemessenen Pragmatismus aufzwingen, mit dem sie sich im Reigen ihrer oft viel kindischeren Vormünder arrangieren muss. Befürchtungen, dass sich in Buch und Film konservative Ängste vor Scheidungswellen und deren Auswirkungen auf eine ganze Kindergeneration widerspiegeln, sind nicht ganz unbegründet. James’ Zeitgenossen haben das gewiß so gesehen.
Die Verfilmung dekliniert die Lebenswirklichkeit eines Scheidungskinds als „Worst Case Scenario“ bis zum Exzess, aber ohne Variationen durch, wodurch sich die Erzählung so gähnend langweilig anfühlt wie jene Phase in Maisies Kindheit, die größtenteils nur aus Herumsitzen zu bestehen scheint. Wenn man eine Geschichte ausschließlich aus der Sicht eines Kindes erzählen möchte, wie das James für seine Zeit avantgardistisch in Angriff nahm, dann reicht es nicht aus, dieses für jede Filmszene in irgendeine Ecke zu setzen. Inszenatorisch müssen kindliche Blickwinkel und Eindrücke gefunden werden, um Maisies Leid über das aufgeschlossene, aber auch etwas traurig dreinblickende Gesicht der talentierten Kinderdarstellerin Onata Aprile hinaus eine Stimme zu geben.
„Das Glück der großen Dinge“ ist ein gewissenhaft durchkomponierter und gespielter Film. Seine Geschichte aber ist viel zu sehr der zunehmend künstlicheren Konstellation seiner Stars verhaftet, als dass sie an den Gefühlen und Einstellungen des Publikums rütteln könnte, was die Scheidung und ihr größtes Opfer, die kleine Maisie, anbelangt.