Drama | USA 2012 | 173 Minuten

Regie: Paul Thomas Anderson

Ein Veteran, der nach dem Zweiten Weltkrieg in die Alkohlsucht abdriftet, findet Halt bei einem Guru, der mit einer sektenähnlichen Gruppe von Familienmitgliedern und "Gläubigen" durch die USA zieht, um neue Anhänger zu gewinnen. Doch die neue geistige Heimat wird auf Dauer zum Gefängnis. In betörenden Bildern nähert sich der Film dem geistigen Klima der 1950er-Jahre und durchleuchtet eine an Scientology angelehnte Sekte. Dabei liefert er Impulse zum Nachdenken über Erlösung und Sehnsüchte und deren Ausnutzung, findet allerdings keine klare Haltung zu seinem Sujet. (Kinotipp der katholischen Fimkritik) - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
THE MASTER
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Ghoulardi Film Company/Annapurna Pic.
Regie
Paul Thomas Anderson
Buch
Paul Thomas Anderson
Kamera
Mihai Malaimare jr.
Musik
Jonny Greenwood
Schnitt
Leslie Jones · Peter McNulty
Darsteller
Joaquin Phoenix (Freddie Quell) · Philip Seymour Hoffman (Lancaster Dodd) · Amy Adams (Peggy Dodd) · Laura Dern (Helen Sullivan) · Barlow Jacobs (James Sullivan)
Länge
173 Minuten
Kinostart
21.02.2013
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. die nicht nur zeitgeschichtlich interessante Dokumentation "Let there be Light" (USA 1945/46, Regie: John Huston, 58 Min.) über die Wiedereingliederung von Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg schwere psychische Schäden davongetragen haben. Diese Dokumentation diente Regisseur Paul Thomas Anderson als Inspirationsquelle für seinen Film "The Master".

Verleih DVD
Senator (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Senator (16:9, 1.85:1, dts-HDMA engl./dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Der Veteran Freddie Quell ist ein hoffnungsloser Fall. Nach dem Zweiten Weltkrieg findet er nicht richtig ins Zivilleben zurück – ob durch Kriegstraumata oder tiefere Persönlichkeitsstörungen bleibt offen. In der ersten halben Stunde seines Films konzentriert sich Paul Thomas Anderson ganz auf diese Figur. Quells Alkoholismus und offenkundige Kontaktprobleme führen aber nicht etwa zu Anteilnahme, eher teilt man Andersons kalt-diagnostische Perspektive: Freddie erscheint als missgelaunter Einzelgänger, der starke nervöse Störungen hat, hysterisch und sexuell frustriert ist, stiehlt, betrügt, seine Mitmenschen grundlos beleidigt, nahezu jede Chance, die sich ihm bietet, selbstzerstörerisch ausschlägt und gelegentlich einfach ausrastet. Eine Rolle wie gemacht für Joaquin Phoenix, der hier augenrollend und mit zuckenden Lippen, unterstützt von künstlichem Gebiss und anderer Maskenkunst sein Gesicht in immer neue Grimassen legt und auf den Spuren selbsterklärter Großschauspieler wie Marlon Brando und Daniel Day-Lewis wandelt – was man dann wahlweise als geniale Schauspielkunst preisen oder als chargierendes Overacting verdammen kann. So oder so ist Phoenix das Zentrum dieses Films. Bis zu dem Augenblick, als er seinen Meister findet und Philip Seymour Hoffman als Lancaster Dodd die Szene betritt. Dodd ist ein Mann „in den besten Jahren“, dessen Leben im Kreis von Frau, Kindern und zwei Dutzend Freunden offenbar eine einzige Party ist. Doch da ist noch mehr: Lancaster bezeichnet sich als „Philosoph“, er schreibt Bücher, in denen er die Welt erklärt; zugleich behauptet er den Besitz von geheimnisvollem, spirituellem Wissen. Im persönlichen Kontakt entfaltet er großes Charisma, er „behandelt“ Freddie, stärkt sein Selbstbewusstsein, macht ihn aber auch von sich abhängig. Aus dem Totalversager wird Lancasters unterwürfiger Diener, kritikloser Gefolgsmann, Spielzeug und Schoßhündchen. Hoffman spielt all dies mit sichtbarem Vergnügen, aber dezent, voll subtiler Ironie auch der Figur selbst gegenüber: ein radikaler Gegenentwurf zu Phoenix' Auftritt. So verfolgt man eine freudianisch grundierte Vater-Sohn-Parabel über einen unreinen Tor auf der Suche und einen Retter, der ihn aufnimmt und ein männerbündisches Reich formt, in dem Frauen entweder reines Beiwerk sind – oder heimliches Zentrum. So sticht Amy Adams als Dodds Gattin hervor. Hinter der Maske freundlicher Güte verbergen sich Machtwille und Geschäftssinn. „The Master“ bleibt, dem spirituellen Budenzauber Dodds zum Trotz, klar ein Film von dieser Welt. Anderson erzählt von den Vernetzungen von Kriegstraumata mit dem erwachenden Interesse an Drogenexperimenten und Bewusstseinserweiterung, mit der Angstlust an Manipulation, Hypnose und Gehirnwäsche im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg. In dieser Geschichte der Unterwerfung scheint der „Kybernetik-Komplex“ durch, die Vorstellung, dass Menschen zu Automaten werden könnten, was in die Kalte-Kriegs-Paranoia der 1950er-Jahre überging. Dieses fesselnde Ideennetz ist noch interessanter als die Frage, wie viel die Geschichte dieses egomanischen Menschenfängers und seiner Gruppe mit Scientology und dem Leben ihres mysteriösen Gründers L. Ron Hubbard zu tun hat. Anderson nennt keine Namen. Aber die Ähnlichkeiten sind frappierend. Es geht um die Geburt von religiösem Fanatismus aus dem Geist des Wahnsinns. Andersons kritischer Film atmet Zorn und Pessimismus, der mitunter in Zynismus mündet. Handwerklich in vielem hervorragend, ist „The Master“ unterhaltsam, trotz einiger Längen. Zudem vollkommen geschlossen: ein Film, der schon alles weiß und vor allem nicht überrascht werden möchte. Erkennbar hat Anderson seinen Stil verändert: Schon seinem letzten Film „There Will Be Blood" (fd 38 585) fehlte im Vergleich zu früheren Werken Humor und Lässigkeit: ein ferner Monolith, der vom eigenen Perfektionsdrang derart erfüllt ist, dass er mit seiner Umwelt kaum kommuniziert. So wird „The Master“ auch darin seinem Sujet gerecht, dass dies ein Film bleibt, der den Zuschauer auf Distanz hält, der Respekt evoziert, aber keine Liebe oder Begeisterung.
Kommentar verfassen

Kommentieren