Beziehungsweisen

- | Deutschland 2011 | 86 Minuten

Regie: Calle Overweg

"Gespielte" Dokumentation über drei Paare in der Therapie. Der Regisseur improvisiert mit authentischen Therapeuten sowie mit Schauspielern, die Paare spielen, die Behandlung von Beziehungsproblemen, die über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Schwierigkeiten des Zusammenseins als Paar präsentieren. Dabei geht es um das "Verhandeln von Liebe", um Umgangsweisen und Lebensformen entfremdeter Partner mittels der vom Therapeuten moderierten Kommunikation. Ein kluger Film, der trotz distanzierender Erzählstrategien fesselt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Calle Overweg Filmprod.
Regie
Calle Overweg
Buch
Calle Overweg
Kamera
Susanna Salonen
Musik
Stefan Lienenkämper
Schnitt
Calle Overweg
Darsteller
Leopold Altenberg (Hermann) · Abak Safaei-Rad (Dorothea) · Axel Hartwig (Heiko) · Anja Haverland (Amelie) · Gerhold Selle (Siegfried)
Länge
86 Minuten
Kinostart
11.10.2012
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
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Diskussion
Nach dem Ende des Berufslebens sucht der ältere Herr ein neues Betätigungsfeld im Sozialen, wo er seine vielfältigen Erfahrungen fruchtbar machen kann. Seine Ehefrau hatte gehofft, dass er jetzt etwas mehr Zeit für ihre Beziehung hätte. Sie unternimmt einen Selbstmordversuch. Die Tochter meldet ihre Eltern daraufhin zur Paartherapie an. Die Psychologin entdeckt rasch, dass da noch einige sehr diffizile Leichen mehr im Beziehungskeller liegen. Ein junges Paar bekommt ein Kind, die Frau will abtreiben, der Mann ist dagegen. Das Problem: Die Beziehung war eigentlich schon an seiner Untreue gescheitert, doch eine eher verzweifelt trauernde als hoffnungsvolle Versöhnung führte zur Schwangerschaft. Noch etwas komplizierter stellen sich die Probleme von Hermann und Dorothea dar: Hier erweist sich Dorotheas Wiedereinstieg ins Berufsleben als Impuls einer Krise, die von eingefahrenem Rollenverhalten, Selbstgefälligkeit und mangelndem Respekt zeugt. Der Filmemacher Calle Overweg hat sich für seine gespielte Dokumentation auf drei durchaus verallgemeinerbare Paar-Konstellationen und -Dynamiken beschränkt, um die Arbeit von Paartherapeuten zu dokumentieren. Um einen bestimmten Grad an Privatheit zu wahren und auch, um den geschilderten Einzelfall ins Verallgemeinerbare zu heben, hat er sich für eine eigenwillige Verfahrensweise vor der Kamera entschieden: Während die Paartherapeuten „echt“ sind, werden die drei Paare von Schauspielern gespielt, die zuvor ihre Rollen geprobt haben, um nun gemeinsam mit den Paartherapeuten improvisieren zu können. Dazu kommen einige gespielte Szenen aus dem Beziehungsalltag, die nach Maßgaben des brechtschen Theaters – und an Lars von Triers „Dogville“ (fd 36 175) erinnernd – mit einem Minimum an Requisiten (und Geräuschen) auskommen. Als zusätzliche Ebene der epischen Distanzierung tritt dann auch der Filmemacher selbst auf, kommuniziert mit den Paartherapeuten im Beisein der Schauspieler. Trotz solcher Strategien der Episierung und Distanzierung gelingt es dem Film, drei fesselnde Beziehungsgeschichten zu entwerfen. Was zu sehen ist, bringt der englische Verleihtitel des Films besser auf den Punkt als der deutsche: „Negotiating Love“. Hier wird „Liebe“ ausgehandelt. Üblicherweise, so eine Therapeutin, werden Beziehungen langfristig durch Kinder und Schulden stabilisiert – und nicht durch flüchtige Emotionen wie „Liebe“. Eine Paartherapie aufzusuchen, ist in festgefahrenen Konfliktsituationen oft der letzte Ausweg, um die jeweils eigenen Ansprüche an eine Beziehung in einer Art Schutzraum noch einmal zu artikulieren. „Therapien bieten unseren Träumen eine Bühne“, sagt Overweg – und genau diese Bühne führt sein Film vor Augen. Wobei zu bedenken ist, dass die Therapie in der Regel (und auch hier in drei konkreten Fällen) als Reparaturwerkstatt fungiert: Man wird in die Lage versetzt, als Paar in einer Beziehung weiterzumachen. Insofern geht es nicht so sehr um „Liebe“, sondern eher um Beziehungstopografien, bei denen der Alltag die Tektonik verschoben hat, die nun dringend einer Re-Vision bedarf. „Beziehungsweisen“ dokumentiert fesselnd (und dank hervorragender Darsteller auch mit Humor) diese kommunikativen Prozesse der Re-Vision. Dass die drei Männer eher unsensibel, selbstgefällig oder larmoyant erscheinen und die drei Frauen einen ungleich klareren Blick auf die Krisenkonstellationen haben, ist dabei nur ein (allerdings bemerkenswerter) Nebeneffekt. Der Film leistet es sich sogar, einer der Beziehungen einen Epilog „nach der Therapie“ zu gönnen, der unmissverständlich zeigt, dass „Beziehungsarbeit“ auch nach der Therapie weitergeht und das mangelnde Eingeständnis der eigenen Bedürfnisse auf Dauer keine Lösung, sondern eher ziemlich unreif ist. Was eigentlich ja auch nicht weiter schlimm ist, sofern man diese Unreife nicht in einer Beziehung auszuleben gedenkt.
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