In den letzten Jahren konnte man den Eindruck gewinnen, dass sich François Ozons exzentrische Referenzspiele mit der Filmgeschichte trotz ihrer zweifellos vergnüglichen Effekte ein wenig im Formalismus erschöpften. Während Komödien wie „Ricky“
(fd 39 278) sich auf selbstzufriedene Experimente mit Zitaten beschränkten, schienen allein die Melodramen für gewichtige Themen vorgesehen zu sein. In „Das Schmuckstück“ kommen nun beide Richtungen wieder überzeugend zusammen: Ozons Begeisterung für Genre-Aneignungen und seine gesellschaftspolitischen Interessen, die er in zwar in der Vergangenheit der späten 1970er-Jahre ansiedelt, aber gleichzeitig clever ins Zeitdiagnostische wendet.
46 Jahre nach Jacques Demys „Die Regenschirme von Cherbourg“
(fd 30 511) – seinerzeit schon eine charmante Hommage an Stanley Donens Musical „Du sollst mein Glücksstern sein“ (fd 1944) – hat sich Catherine Deneuve von der melancholisch-verträumten Regenschirmverkäuferin zur machtvollen Chefin einer Regenschirmfabrik gewandelt. Dabei ist Suzanne zu Beginn des Films nichts weiter als das dekorative Schmuckstück („potiche“ bedeutet Porzellanvase) ihres Ehemanns Robert Pujol, eines cholerischen Fabrikanten, der seine Arbeiter hemmungslos ausbeutet und seiner Frau nur eine Meinung zugesteht, wenn sie seine teilt. Ozon breitet in der Exposition ein heillos überspanntes Unterdrückungsszenario aus, in dem sich Suzanne noch ganz in ihrer häuslichen Rolle glücklich glaubt. Die Anfangsszene zeigt sie im roten Trainingsanzug und mit Lockenwicklern beim Joggen im Grünen. Lächelnd grüßt sie Eichhörnchen und Rehe und schreibt dabei romantische Gedichte in ihr kleines Notizbuch; später räumt sie fröhlich singend die Spülmaschine aus. So kommt Suzanne auf eher passive Weise mit ihren verdeckten Emanzipationsbedürfnissen in Kontakt. Nachdem ihr Mann bei einem Arbeiterstreik vor Wut und Aufregung einen Herzanfall erleidet, übernimmt sie zunächst aus Mangel an Alternativen die Fabrikleitung. Schon bald findet sie Gefallen an ihrer neuen Freiheit und Macht. Sie setzt Reformen durch, räumt ihren beiden Kindern verantwortungsvolle Posten in der Firma ein und kooperiert außerdem mit dem örtlichen Abgeordneten der kommunistischen Partei, mit dem sie außerdem ein lange zurückliegendes romantisches Abenteuer verbindet. Als Robert wieder genesen in die Firma zurückkehrt, kommt es zum Machtkampf, bei dem Suzanne nicht zuletzt aufgrund der mangelnden Solidarität ihrer konservativen Tochter den Kürzeren zieht. Doch die Frustration über die Niederlage stachelt ihren Kampfeswillen erst recht an: Erfolgreich beginnt sie eine politische Karriere.
Als literarische Vorlage für „Potiche“ diente das gleichnamige Boulevard-Theaterstück von Pierre Barillet und Jean-Pierre Grédy aus dem Jahr 1980, das Ozon mit dem irrwitzigen Tempo und der exzessiven Energie US-amerikanischer Screwball-Comedies angereichert hat. Die 1970er-Jahre mit ihren schrillen Farben und psychedelischen Mustern werden mit großer ausstattungstechnischer Liebe wiederbelebt, doch die filmischen Vorlagen stammen vor allem aus den 1950er-Jahren: Mit den Chanson-Einlagen zitiert Ozon die Musicals von Vincent Minnelli und Jacques Demy, die Darstellung der Familienbeziehungen ist lose an die Melodramen von Douglas Sirk angelehnt. Der agile Fabrice Luchini verleiht als cholerischer Fabrikbesitzer seiner Figur zudem die nervös-hysterische Qualität von Louis de Funès.
Dabei ist Ozons Komödie unter der visuell überbordenden Oberfläche und mit seinem sich in immer irrwitzigere dramaturgische Wendungen hineinschraubenden Plot trotz aller karikaturhaften Übertreibung ein recht scharfsinniger Kommentar auf die gegenwärtigen politischen Verhältnisse. So finden sich in der Figur von Suzannes Tochter Joëlle nicht nur Anspielungen auf neoliberale Arbeitsverhältnisse und die Tendenz zu anti-feministischen Backlash-Bewegungen. Die Figur Pujols zitiert einmal sogar ganz konkret Nicolas Sarkozy: Sein Satz „Wenn sie mehr Geld wollen, sollen sie mehr arbeiten“, geht auf eine wörtliche Aussage des französischen Staatspräsidenten zurück. Vor allem aber ist „Das Schmuckstück“ die mitreißende Emanzipationsgeschichte einer Frau, die gänzlich ohne verbiesterten Extremismus zu einer entspannt-radikalen Position findet. Wenn sie am Ende im damenhaften Kostüm das Matriarchat propagiert und anschließend „C’est beau la vie“ singt, mag das vielleicht von einer schrulligen Komik sein – als feministisches Manifest ist Ozons Film aber durchaus ernst zu nehmen.