Neben der Identität der Mona Lisa gehört die des Straßenkünstlers Banksy zu den größten Geheimnissen der Kunstwelt. Über ihn ist lediglich bekannt, dass er 1974 in Bristol geboren wurde, den öffentlichen Raum seit etwa 20 Jahren mit Sprühdose und Schablone unsicher macht und mittlerweile zu den am hellsten strahlenden Sternen der Szene zählt. Seine Spezialität sind bei Nacht und Nebel an Häuserwände oder Plakattafeln gesprühte Graffitis, die durch ihre erstaunlich ausgefeilte Machart und ihren subversiven Humor auffallen. Banksy setzt küssende Polizisten ins Stadtbild und legt Elefanten im Zoo die Worte „Wir wollen hier raus“ ins Maul, schmuggelt aber auch eigens angefertigte Gemälde in Museen und verteilt Geldnoten, die statt der englischen Königin das Antlitz von Prinzessin Diana zeigen. Er ist also nicht nur Straßenkünstler, sondern auch ein Planungsgenie und ein begnadeter Augentäuscher. Beides kommt ihm in seinem ersten Film zugute.
Anders als es der deutsche Titel „Banksy – Exit Through the Gift Shop“ nahe legt, ist nicht der Mann hinter dem Pseudonym die Hauptfigur, sondern ein in Los Angeles lebender Franzose. Thierry Guetta stellt sich als skurriler Geschäftsmann vor, der eines Tages beschließt, seine Videokamera nicht mehr von der Schulter zu nehmen, und dann bei einem nächtlichen Streifzug über einen Straßenkünstler stolpert. Augenblicklich verfällt Guetta dem Leben zwischen Kunst und Knast und findet endlich einen Gegenstand für seine Filmbegeisterung. Er wird zum Archivar der „Street Art“-Szene, begleitet mit Shepard Fairey, dem Schöpfer des Obama-„Hope“-Signets, oder dem für seine Mosaiken bekannten „Invader“ einige ihrer prominentesten Vertreter und lernt über diese Kontakte den im Film stets verhüllt auftretenden Banksy kennen. An den gehen dann auch die unzähligen Videobänder über, die der chaotische Guetta zu einem Dokumentarfilm montieren wollte, ohne diesem Ziel jemals nahe zu kommen. Während Banksy das Material zu sichten beginnt, um es am Ende in eine Dokumentation über Guetta zu verwandeln, erfindet sich dieser als „Mr. Brainwash“ neu. Er wird Künstler, stellt eine Schau mit lauter schlechten „Street Art“-Nachahmungen zusammen und wird trotzdem (oder gerade deshalb) von der versammelten Kunstszene gefeiert.
Bei der Premiere des Films in Sundance haben amerikanische Medien darüber spekuliert, ob es sich bei „Exit Through the Gift Shop“ um eine weitere gewitzte Banksy-Täuschung handelt. Nach Sichtung des Films kann man eigentlich nur fragen: „Ja, was denn sonst?“ Ganz offensichtlich ist die scheinbar unaufhaltsame Karriere von Mr. Brainwash – er hat mittlerweile eine zweite Ausstellung seiner Werke lanciert – ein Scherz auf Kosten des etablierten Kunstsystems und darüber hinaus eine Persiflage auf Banksys eigene Karriere. Für einen Straßenkünstler wird es durchaus zum Glaubwürdigkeits- und Identitätsproblem, wenn seine Arbeiten Höchstpreise erzielen und plötzlich in Museen und Galerien hängen. Schon deswegen ist „Exit Through the Gift Shop“ auch ein weiteres Hintertürchen, das sich Banksy für den Ausstieg aus der eigenen Erfolgsgeschichte offen hält. Trotz seines Mockumentary-Charakters bietet der Film sehenswerte Einblicke in die meist eher kurzlebige Arbeit der Straßenkünstler. Mit den üblichen Graffitis haben die Werke von Banksy, Shepard Fairey oder Invader wenig zu tun; sie sind vielmehr genau geplante und ausgeführte Eingriffe in den öffentlichen Raum, die ihren Schöpfern zudem den Nervenkitzel des Verbotenen liefern. Auch dieses nächtliche Fieber fangen die Videobilder prägnant ein; anscheinend ist der Filmwelt an Thierry Guetta ein erstrangiger Dokumentarist verloren gegangen.