Frontier Blues

Dokumentarfilm | Iran/Großbritannien/Italien 2009 | 95 Minuten

Regie: Babak Jalali

Alltagsbeobachtungen im nordiranischen Grenzgebiet zu Turkmenien, wo die Zeit stehen geblieben zu sein scheint und sich die Dinge nur ganz langsam entwickeln. Der mit statischen Einstellungen und still in sich ruhenden Bildern operierende Dokumentarfilm konzentriert sich ganz auf die porträtierten Menschen. Dabei verdichtet er sich zu einem Heimatfilm im weitesten Sinne, der zugleich auch eine reizvolle Reflexion über die Herstellung von Bildern ist. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
FRONTIER BLUES | DASTANHAYEH MARZI
Produktionsland
Iran/Großbritannien/Italien
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Caspian Films
Regie
Babak Jalali
Buch
Babak Jalali
Kamera
Shahriar Assadi
Musik
Noaz Deshe
Schnitt
Babak Jalal · Kambiz Saffar
Länge
95 Minuten
Kinostart
27.05.2010
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Es ist kein anheimelnder Ort, an dem „Frontier Blues“ spielt: eine karge, sich am Horizont sanft wellende Steppe, ein sich in weiter Ferne verlierender See, Bahnschienen, wenig benutzt, halb verwachsen, Straßen, fadengerade, holprige Fuhr- und Feldwege, ab und zu ein Haus, eine Hühnerfarm. Und doch ist diese an der Grenze zu Turkmenien liegende iranische Provinz Golestan Heimat. Es ist die Heimat des 1979 geborenen Filmemachers Babak Jalali, der seit 1986 in London lebt, und es ist die Heimat der Menschen, die in seinem ersten abendfüllenden Film im Mittelpunkt stehen: des etwa 30-jährigen Hassan mit seiner flaschenbodendicken Brille; seines Onkel Kazem, in dessen Boutique sich kaum Kleider finden, die den wenigen Kunden passen; des alten Fischers nebst Sohn Alam, der während der Arbeit auf der Hühnerfarm Englisch lernt. Es geht um den Alltag dieser Männer, deren Leben schmerzlich von der Abwesenheit der Frauen geprägt ist: ihrer verstorbenen, ausgewanderten, davongelaufenen, sie zurückweisenden Mütter, Ehefrauen, Schwestern und Angebeteten. So rinnen die Tage zäh dahin, derweil sich die Zeit vor der Kamera dehnt. Es sind still in sich ruhende Bilder: Die Kamera verharrt minutenlang in regungsloser Beobachtung, sogar die wenigen Fahrten wirken statisch. Selbst wenn an diesem Ort, an dem „weder gestorben noch geheiratet wird“, einmal Aufregendes geschieht, Alam etwa um die Hand Anas anhält und abgewiesen wird, geschieht dies in lethargischer Geruhsamkeit. Nur ein Fotograf aus Teheran, der an einem Fotoband über Turkmenen arbeitet, bringt etwas Schwung hinein. Er hat einen alten Barden, vier Jungen und einen Fahrer engagiert und stromert auf der Suche nach geeigneten Sujets durch die Gegend. Nach Tagen geduldigen Posierens meint der Sänger unruhig, dass sich kein echter Turkmene mit solch läppischem Kopfputz, wie es der Fotograf verlange, ans Wasser stelle, und zudem könne er nicht reiten. Doch der Fotograf beharrt: Ein Turkmene auf einem weißen Pferd in der Steppe sei das, was man sehen wolle. So entpuppt sich „Frontier Blues“, dem man notabene nichts heftiger attestieren würde als Authentizität, allmählich als ein Film über die Herstellung von Bildern: über (falsche) kollektive Vorstellungen, die Inszenierung des Dokumentarischen, nicht zuletzt auch über das trügerische Bild, das Jalali von seiner (alten) Heimat entwirft. Während der in seiner mentalen Entwicklung retardierte Hassan dank der harschen Intervention seines Onkels ein spätes Coming-of-Age erlebt und zu jobben anfängt, mischt sich in die vom Blues bestimmte Grundstimmung des Films zunehmend eine verschmitzte Lakonie. Diese erreicht ihren Höhepunkt, wenn die Spiegelungen in den Fenstern von Kazems Boutique sowie die Tonspur vom geschäftigen Treiben berichten, das jenseits des Bildes, das Jalali entwirft, in der gut 200.000 Einwohner zählenden nordiranischen Provinzstadt Golgan tatsächlich herrscht.
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