Eine Geschichte über einsame Großstädter in Tokio: Ein Vater macht für den Selbstmord seiner Tochter deren Geliebten verantwortlich und hetzt ihm eine Auftragskillerin auf den Hals. Die aber verliebt sich in ihr Opfer und macht zudem die Bekanntschaft eines alten Toningenieurs, der Klänge der japanischen Metropole sammelt. Ein impressionistisch-stimmungsvoll vom "Film noir" inspiriertes Drama, das in eine urban-exotische Zeichenwelt eintaucht, aber trotz bewegender Momente immer wieder in Klischees abgleitet und sich aufgrund der wenig konturierten Figuren zu keiner stimmigen Erzählung verdichtet.
- Ab 16.
Eine Karte der Klänge von Tokio
Drama | Spanien 2009 | 106 Minuten
Regie: Isabel Coixet
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Filmdaten
- Originaltitel
- MAP OF THE SOUNDS OF TOKYO
- Produktionsland
- Spanien
- Produktionsjahr
- 2009
- Produktionsfirma
- Mediapro/Versátil Cinema
- Regie
- Isabel Coixet
- Buch
- Isabel Coixet
- Kamera
- Jean-Claude Larrieu
- Schnitt
- Irene Blecua
- Darsteller
- Rinko Kikuchi (Ryu) · Sergi López (David) · Min Tanaka (Erzähler) · Manabu Oshio (Yoshi) · Takeo Nakahara (Nagara)
- Länge
- 106 Minuten
- Kinostart
- 05.08.2010
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Einsamkeit, Melancholie und die Lichter der Großstadt sind im Kino ein bewährtes Gespann. Je fremdartiger und undurchschaubarer die Stadt, desto tiefer können die Figuren eintauchen in das vielstimmige Treiben aus Anonymität und Exotik, Bildern und Klängen. Besonders Tokio scheint sich mit seiner bizarren Mischung aus Hypermodernität und Tempelkultur, greller Absurdität und lyrischer Meditation westlichen Regisseur/innen immer wieder als bevorzugte Projektionsfläche anzubieten. Ähnlich wie Sofia Coppola in „Lost in Translation“ (fd 36 315) verknüpft nun auch Isabel Coixet das kaum lesbare Zeichendickicht von Tokio zu einem atmosphärischen Teppich, der die Figuren einbettet – auch wenn sie noch so verloren sind.
„Eine Karte der Klänge von Tokio“ erzählt von drei Menschen, die allesamt einsam sind und gefangen in ihrer Traurigkeit. Der Geschäftsmann Nagara hat seine Tochter Midori verloren, die sich das Leben genommen hat. Auch ihr Freund David, ein spanischer Weinhändler, leidet unter dem Verlust, doch Nagara gibt dem Geliebten die Schuld. Er beauftragt deshalb die Auftragskillerin Ryu, Midoris Lover zu ermorden. Doch auch Ryu ist einsam und beginnt mit David eine verzweifelt-leidenschaftliche Affäre.
Eher lose verbindet die spanische Regisserin Film noir, „amour fou“ und das Drama einsamer Großstadtmenschen. Dabei greift sie mehr die atmosphärische Grundstimmung dieser Genres auf, als sich ernsthaft für deren Gesetze oder Logik zu interessieren. In der Figur eines Toningenieurs wird die verzweigte Geschichte gebündelt. Während der alte Mann die Geräusche und Stimmen Tokios auf Tonband aufzeichnet und archiviert, wird er durch das laute Nudelsuppen-Geschlürfe auf die schweigsame Killerin aufmerksam. Nahezu wortlos freunden sich die beiden an. Er steckt ihr ein Mikrofon an und wird zum akustischen Zeugen ihrer immer heftiger werdenden Liebesgeschichte. Die Begegnungen zwischen Ryu und David finden im „Hotel Bastille“ statt, einem Liebeshotel, in dem ein Zimmer einem Waggon der Pariser Métro nachgebaut ist. Dass es in Tokio eine Vorliebe für derartige Kuriositäten gibt, gehört neben der obligatorischen Karaokebar inzwischen zum Repertoire populärer Japan-Images. Das Paris-Klischee wird zum Tokio-Klischee überhöht. Coixet ist sich der lauernden Exotikfallen durchaus bewusst, auch wenn sie gelegentlich selbst in diese tappt. So lässt sie den Film offensiv mit einem „Nyotaimori“ beginnen, einem auf nackten Frauenkörpern angerichteten Sushi-Menu. Diese obskure Praktik findet hier bei einem offiziellen Essen mit amerikanischen Kunden statt, die von japanischen Geschäftsleuten bei Laune gehalten werden sollen.
„Eine Karte der Klänge von Tokio“ leidet wie schon der Vorgängerfilm „Elegy“ (fd 38 845) an Coixets Hang zum gepflegt-leichtfüßigen Stil, der oftmals ins rein Dekorative abgleitet. Wong-Kar-wai dürfte ein Vorbild gewesen sein, doch die schwebende Stimmung seiner Filme, durch die die Figuren schwerelos hindurch gleiten, stellt sich bei Coixet nicht ein. Die Überfülle ihrer Einfälle wiegt zu schwer, und auch die Figuren sind nicht so entwickelt, dass man über Ungereimtheiten hinwegsehen könnte. Besonders die bis zuletzt undurchsichtige Ryu wirkt mit Attributen überfrachtet – und bleibt doch abstrakt. Nachts arbeitet das Mädchen auf dem Fischmarkt, um seine Gedanken zu vertreiben; ab und zu besucht es den Friedhof und pflegt dort die Gräber seiner Opfer. So richtig nimmt man der fragilen Schönheit, die mechanisch Erdbeermochis isst und dabei melancholisch aus dem Fenster blickt, die „femme fatale“ nicht ab. Auch die Figur des Toningenieurs wird nicht konsequent verfolgt. Als auktorialer Erzähler taucht er immer wieder ab; aus seiner „Karte der Klänge von Tokio“ ergibt sich trotz einer ambitionierten Tonspur keine eigenständige Narration. Coixet interessiert sich dann doch vorwiegend für die sexuelle Leidenschaft zwischen David und Ryu – ein Thema, dem sie sich schon in „Elegy“ ausgiebig gewidmet hat. Das erotische Liebesspiel auf unbequemen Métro-Sitzen und an Haltestangen ist sicherlich nicht frei von „amour fou“-Klischees, doch kommt darin eine Verletzlichkeit zum Ausdruck, die in manchen Momenten etwas berührend Hoffnungsloses hat. David kompensiert seine Trauer um die verstorbene Geliebte mit gierigem Sex, und Ryu scheint für kurze Zeit aus ihrer Somnabulität zu erwachen. Ein Kamikaze-Liebespaar auf der Suche nach Erlösung.
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