Dokumentarfilm über den Musikproduzenten Manfred Eicher, den Gründer und Leiter des renommierten Münchner Jazz-Labels ECM. Der Film begleitet seinen Protagonisten auf Reisen, in den Büros seines Plattenstudios bei München sowie beim Umgang mit Mitarbeitern, Tontechnikern und namhaften Musikern aus dem Spannungsfeld von Jazz und Neuer Musik, wobei es stets um die passionierte Suche nach dem perfekten Klang geht. Mit raffinierten Montagesequenzen und ausgefeilt-ästhetischen Kameraeinstellungen rundet sich der Film zum eindrucksvollen Essay über ein nicht minder eindrucksvolles Lebenswerk.
- Sehenswert ab 14.
Sounds and Silence - Unterwegs mit Manfred Eicher
Dokumentarfilm | Schweiz 2009 | 88 Minuten
Regie: Peter Guyer
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Filmdaten
- Originaltitel
- SOUNDS AND SILENCE
- Produktionsland
- Schweiz
- Produktionsjahr
- 2009
- Produktionsfirma
- Recycled TV/Biograph Film/SRG SSR Idée suisse
- Regie
- Peter Guyer · Norbert Wiedmer
- Buch
- Peter Guyer · Norbert Wiedmer
- Kamera
- Peter Guyer · Norbert Wiedmer
- Schnitt
- Stefan Kälin
- Länge
- 88 Minuten
- Kinostart
- 28.10.2010
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Was ist Musik? Wie viel Arbeit, wie viel Kreativität und welches Glück stecken in ihr? Die Schweizer Filmemacher Peter Guyer und Norbert Wiedmer haben sich auf die Fersen des Münchner Musikproduzenten und Chef des Plattenlabels ECM Manfred Eicher begeben – herausgekommen ist dabei ein Road Movie mit sehr vielen kommunikativen und einigen kontemplativen Momenten. Man sieht: den Musikproduzenten als einen emphatisch Reisenden, den Musikproduzenten als einen idealen Hörer, den Musikproduzenten als Tänzer in einem Moment des Gelingens. Es geht in „Sounds and Silence“ um etwas Immaterielles, den optimierten Klang – und um ein paar Hilfsmittel, die es gibt, um ihn zu kreieren und zu bannen: Partituren, die Sprache, Gesten des Einverständnisses und des Zweifelns. Und es geht um Arbeit, konzentrierte und hingebungsvolle Arbeit. Arbeit im Tonstudio, Arbeit mit Musikern, Instrumenten, Mikrophonen, Studiotechnik. Man sieht Manfred Eicher beim konzentrierten Zuhören und beginnt sich zu fragen, was diesem Mann, der im Lauf seiner Karriere mehr als 1.000 Plattenproduktionen unterschiedlichster Art maßgeblich begleitet hat, in diesen Momenten wohl durch den Kopf geht. Erfahrung ist sicher im Spiel, Professionalität und wohl auch ein gerüttelt Maß an Intuition, die sich – das wird in dem Film gleich mehrfach sehr deutlich – nicht sehr gut durch Sprache vermitteln lässt, wenn beispielsweise einem Tontechniker klar gemacht werden muss, dass es in diesem konkreten Moment um nichts Wichtigeres geht, als den Oberton eines Flügels gegen den Klang der Perkussion zu schützen, um so ein besonderes Klangerlebnis zu profilieren.
Der Film beginnt – nach einer impressionistischen Exposition – im estnischen Tallinn mit der Aufnahme einer Komposition von Arvo Pärt. ECM mag als Jazz-Label begonnen haben, aber diese Zeiten sind längst vorbei; auch schon, als 1984 die „New Series“ begründet wurde, um eine Plattform für notierte Musik zu haben. Doch die Fragen, ob es Jazz sei, Folklore oder Neue Musik – sie stellen sich im ECM-Kosmos ohnehin nicht mehr. So wird man Zeuge von Begegnungen mit Arvo Pärt, Eleni Karaindrou, Nik Bärtsch, Anouar Brahem, Gianluigi Trovesi, Marilyn Mazur, Dino Saluzzi, Anja Lechner, Gianni Coscia, Jan Garbarek, Kim Kashkashian und vielen anderen. Der Film reist mit: von Estland nach Griechenland, von der Schweiz nach Italien, von Österreich nach Argentinien und Frankreich und macht wiederholt auch Station in Gräfelfing, jenem Vorort von München, wo die globalen Fäden von ECM in erstaunlich überschaubaren Büroräumen zusammenlaufen. Einmal sieht man Manfred Eicher bei der Auswahl geeigneter Cover-Fotografien, die bekanntlich auch zum Markenzeichen des Labels mit hohem Wiedererkennungswert geworden sind: Der Mann ist, in Anlehnung an Jerry Lewis, ein „total record maker“. Eicher, der selbst als Bassist Musiker ist, hat die Seiten gewechselt, um als Produzent an der Realisierung seiner Klangvorstellungen zu arbeiten, und über die Jahrzehnte ein ganz erstaunliches, Respekt heischendes Netzwerk von Künstlern etabliert. Eicher berichtet von seinem Interesse an Musiken, die an der Schnittstelle unterschiedlicher Kulturen entstehen, nennt als Beispiel die Schnittstelle von Orient und Okzident. Tatsächlich aber gilt dies in weit allgemeinerer Hinsicht, denn im Œuvre von ECM treffen arabische Klänge auf europäische Kunstmusik, treffen italienische Opern-Tradition auf mediterrane Folklore, treffen skandinavische Kirchenlieder auf Jazz-Improvisation, treffen Tango auf klassisch ausgebildetes Cello-Spiel, trifft Keith Jarrett auf Kompositionen von G.I. Gurdjieff.
Der italienische Klarinettist Gianluigi Trovesi erzählt an einer Stelle von einer Zeit, als Musik im Alltag noch ein Ereignis war, ein Moment kollektiver Gegenwart und zugleich des sozialen Eingedenkens. Heute ist Musik omnipräsent und dadurch weitgehend entwertet (wofür die Krise der Musikindustrie ein Symptom ist). „Sounds and Silence“ plädiert mit feinen filmischen Mitteln, mit Montage und „ästhetischen“, in die Abstraktion weisenden Kameraeinstellungen für eine Ökologie des Klangs. Man müsse sich dorthin begeben, wo die Musik entstehe, um sie zu verstehen, sagen Eicher und dieser Film-Essay über seine Arbeit unisono. Deshalb führt Eicher (und auch zumindest einige der vorgestellten Musiker) eine im besten Sinne nomadische Existenz – und der Film erinnert in seinen schönsten Momenten an Chris Markers „Sans Soleil“ (fd 24 435) und an „Steps Across the Border“ (fd 28 227) von Nicolas Humbert und Werner Penzel.
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