Vor Roland Emmerich ist nichts sicher, auch nicht, was niet- und nagelfest erscheint: Häuser, Schiffe, Wolkenkratzer, New York, Paris, der Vatikan und manchmal gleich die ganze Welt. Laut und spektakulär muss es sein, wenn er seiner cineastischen Zerstörungswut freien Lauf lässt. Menschenleben werden dabei entweder zu dekorativen Kollateralschäden degradiert, zu kleinen, kaum sichtbaren Elementen im Weltuntergangschaos, oder in emotional aufgepumpten Sterbeszenen als Helden stilisiert. Nach seinen sinnfreien Zerstörungsorgien „Independence Day“
(fd 32 118) und „Godzilla“
(fd 33 303) überraschte Emmerich in „The Day After Tomorrow“ (fd 36 5079) mit vielen Anspielungen auf die Klimakrise. Er konstruierte eine Art Öko-Thriller mit Botschaft im Unterhaltungsgewand. Doch als wäre dies des Anspruchs zu viel gewesen, begab er sich mit „10.000 B.C.“
(fd 38 634) in die Niederungen des Actionkinos der zähen Art. Sein Film über die Sesshaftwerdung der Menschheit enttäuschte auf bildlicher wie inhaltlicher Ebene.
Das größte Problem dabei sind immer wieder Emmerichs schwach konturierten Figuren. Meist sind es männliche Mittvierziger, die ihre Midlife-Crisis erst durch die Katastrophe bewältigen. Sie sind geschieden, haben Probleme mit ihren Kindern, die bei der Ex-Frau leben. Entweder sind es erfolgreiche Workaholics, die nichts anderes als ihre Arbeit im Sinn haben, oder vermeintliche Loser, die erst später zeigen, was in ihnen steckt. In „2012“ schlüpft John Cusack in der Rolle des erfolglosen Romanautors Jackson Curtis, der über sich hinauswachsen darf. Seine Ex-Frau und die beiden Kinder leben zusammen mit dem neuen Ehemann in einer schicken Vorstadtvilla in Los Angeles. Der andere männliche Protagonist ist hingegen ledig: Chiwetel Ejiofor spielt Dr. Adrian Helmsley, den jungen, schwarzen und adretten Wissenschaftler, der sich in die Tochter des amerikanischen Präsidenten verliebt. Da die zwischenmenschlichen Beziehungskonstellationen auf Drehbuch-Autopilot gestellt sind, kann der effektvollen Destruktion die Ehre der Hauptrolle zuteil werden. Diesmal ist fast alles fällig, was sich in 160 Minuten demolieren lässt: Ganze Städte werden dem Erdboden gleich gemacht, darunter Los Angeles und Washington. Der Petersdom samt betendem Papst stürzt auf den italienischen Premierminister. Im Vergleich dazu wirkt die bröckelnde Jesus-Statue von Rio de Janeiro in Großaufnahme fast wie ein Glas verschüttete Milch. Der Zerstörungsorgie liegt eine Prophezeiung des Maya-Kalenders zugrunde, der zu Folge die Welt am 21. Dezember 2012 untergehen wird. Das Erdinnere, so die Erklärung des Films, hat sich durch eine unglückliche Sonnenkonstellation so aufgeheizt, dass das Gleichgewicht des Planeten aus dem Lot gerät. Erdbeben und Vulkanausbrüche sind die Folge, die Erdachse beginnt sich zu verschieben.
Auf Logik kommt es in solchen Konstellationen nicht mehr an. Spannend hingegen ist die Grundkonstellation des Films: der Wissenschaftler Helmsley erkennt nämlich schon zwei Jahre vor der Katastrophe, was die Stunde geschlagen hat und rennt ausnahmsweise einmal offene Türen ein. Die US-Regierung und ihre Experten schenken Helmsleys Berechnungen Glauben. Doch statt die Öffentlichkeit zu informieren, beschließt ein Zirkel der wichtigsten Staatsoberhäupter den Bau riesiger unzerstörbarer Archen. Platz auf diesen Schiffen finden nur die allerwichtigsten Kulturschätze wie die Mona Lisa und ein elitärer Kreis auserwählter Menschen. Wer darf überleben und wer nicht? Die Queen trippelt mit ihren drei Hunden hektisch über die Laderampe, und auch ein russischer Multimilliardär hat Tickets für sich und seine Zwillinge bestellt. Das Schicksal der beiden Hauptfiguren ist scheinbar vorgezeichnet: Während Helmsley selbstverständlich mit an Bord ist und den Weltuntergang am Monitor verfolgt, steckt Curtis mittendrin. Er hat durch Zufall von den Archen erfahren und flieht mit seiner Familie Richtung der vermeintlichen Rettung. Immer nur haarscharf und auf den letzten Drücker entkommt er mit Auto und Flugzeug den Vulkanausbrüchen, Beben und Riesenwellen. Unterhaltsam ist dieses krachende Actionkino nicht nur durch den auf der Höhe der Zeit agierenden Spezialeffekten, sondern auch durch seinen bisweilen bösen Zynismus. Der Film rechnet mit Lobbyismus und Elitenförderung ab; dabei schwenkt Emmerich allerdings nicht den erhobenen Zeigefinger, sondern springt ziemlich souverän und witzig mit den klischeehaften Charakteren um. Viel weiter kann Emmerich seinen filmischen Ansatz nach „2012“ wohl nicht mehr treiben.