Eingangs heißt es: „Once upon a time in nazi-occupied France.“ Ein Märchen also, in dem die Handlung einerseits grundsätzlich fantastisch ist, andererseits ans Unbewusste des Publikums rührt und insofern eine „höhere Wahrheit“ erzählt. Die Einleitung verweist zugleich auf das Genre, das den stilistischen Hintergrund der ersten beiden Kapitel bildet. In fünf Akten, die jeweils durch eine kurze Schwarzblende und Zwischenüberschrift markiert sind, hat Quentin Tarantino seine „Inglourious Basterds“ [sic!] unterteilt. Das erinnert an die epische Erzählweise des Romans, mehr aber noch an die Struktur des klassischen Dramas. Tatsächlich bildet auch hier der fünfte Akt den Punkt, an dem die Erzählstränge zusammengeführt werden. Jeder der Akte beginnt mit einer kurzen Ouvertüre, die sozusagen den kinematografischen Erzählton anschlägt und aufs Folgende vorausweist.
„Inglourious Basterds“ spielt während des Zweiten Weltkriegs zwischen 1941 und 1944. Doch er ist weder der Kriegsfilm, als der er vermarktet wird, noch das Remake jenes italienischen B-Movies „The Inglorious Bastards“ („Ein Haufen verwegener Hunde“, fd 21 024) von Enzo G. Castellari aus dem Jahr 1978, als der er angekündigt wurde. Von ihm hat sich Tarantino nur den Titel geborgt – und eine seiner vielen Ausgangsideen: Ein alliiertes Killerkommando, die titelgebenden „Basterds“, macht hinter den Linien der Wehrmacht Jagd auf Nazis. Dieses Treiben wird aber nur lose umrissen. Die beiden anderen Erzählstränge sind die Geschichte des SS-Obersts Landa, eines berüchtigten „Judenjägers“, sowie der jungen Jüdin Shosanna. Nachdem Landa deren Familie ermordet hat und sie im besetzten Paris unter falscher Identität ein Kino betreibt, bietet sich ihr durch Zufall die Gelegenheit eines Attentats auf die NS-Führungsriege. Am Abend des Attentats laufen in Shosannas Kino alle Stränge zusammen.
Tarantinos Kino ist seit jeher zweierlei: Es ist Fetischkino, verliebt in Objekte und Dekors, das auch seine Darsteller immer wieder in Objekte und Dekors zerlegt. Dem Formalen wird hier unbedingt der Vorzug vor der Handlung gegeben, ohne dass die Filme deshalb je anti-narrativ werden; indem der Film in ein Reich fortlaufender, einander spiegelnder Zeichen aufgefächert wird, wird der Stil und das Vergnügen am – offenkundigen wie entlegenen filmhistorischen – Zitat (hier vor allem aus dem französischen 1940er-Jahre Kino) selbst zum wesentlichen Mittel der Narration. So greift der Film in Dekors, Gesten und – bei Tarantino zentral – Musik unter anderem auf die Stilmittel des Horrorkinos, des französischen Melodrams, des Film Noir und vor allem des Italo-Western zurück; und das nicht nur, weil Tarantino dies liebt, sondern auch, weil diese Genres eine bestimmte Form bieten, von Gefühlen und in diesem Fall vom Bösen zu erzählen. Um das Böse aber muss es ja gehen, wenn von den Nazis und ihren Verbrechen die Rede ist. Zugleich gehören die genannten Genres zu den wenigen, die vom Kino der NS-Zeit nicht kontaminiert wurden. Denn die – allzu oft ignorierte – Frage, die Tarantinos Film noch einmal stellt, und um die er letzten Endes in jeder Einstellung kreist, ist, wie man die Nazi-Zeit darstellen könnte, ohne ihrer Ästhetik zu verfallen, wie man das Kino und überhaupt die Pop-Kultur vor dem Nazi-Kino retten kann.
Zugleich ist Tarantinos Kino transgressiv, ein Kino der lustvollen Überschreitung des Erlaubten. Im Historiendrama meint das: die historische Wirklichkeit. Es gehört zu den merkwürdigen (Schein-)Paradoxien dieses Genres, dass die Beflissenheit in den Fakten mit historisch-politischem Eskapismus einher geht. Der Rückgriff aufs Genrekino wirkt deshalb als Befreiung von allen Stereotypen und Konventionen. „Inglourious Basterds“ ist damit zwar ein Film, der in keiner Weise an belegbaren Fakten interessiert ist. Dennoch strebt er Authentizität an. Sie liegt aber woanders: in einer „höheren Wahrheit“, darin, dass die Nazi-Mörder zwar „auch Menschen“ waren, als Menschen aber zu Serienkillern und Monstern wurden. Insofern wäre der Monsterfilm, das Horror- und Serienkiller-Kino nicht weniger angemessen, um über NS-Verbrechen zu erzählen, als jene Filme, die – von „Der neunte Tag“
(fd 36 779) bis zu „Sophie Scholl“
(fd 36 917) und „Valkyrie“
(fd 39 082) – NS-Täter immer wieder als „talking killer“ präsentieren, als Mörder mit menschlichem Antlitz, mit Argumenten oder bisweilen sogar humanen Regungen für ihre Opfer. Zu solchen Zugängen präsentiert „Inglourious Basterds“ einen bewussten Gegenentwurf: bunt und grell, so pervers wie die Jahrhundertverbrecher, eine kontrollierte Überschreitung der historischen Wirklichkeit, der diese dadurch um so sichtbarer macht.
Dabei ist der Film zugleich auch eine Komödie. Unwillkürlich denkt man an Mel Brooks und dessen Film „Frühling für Hitler“ (fd 19 708, neu verfilmt als „The Producers“, fd 37 513). Schon Lubitsch und Chaplin hatten die Nazis bzw. faschistoides Gedankengut mit Humor, auch dreistem, und mit kalkulierten Tabuverletzungen zu bekämpfen versucht. Ihre Filme der 1940er-Jahre – die dem Wissen um das Ausmaß und die moralische Dimension der Shoah vorausgingen – stehen gegen das naive Aufklärungskino wie gegen den Historismus abwiegelnder Historienschinken à la „Untergang“
(fd 36 679) oder Schlachtengemälde wie „Stalingrad“
(fd 30 027). Hier kommt die Moral von „Inglourious Basterds“ ins Spiel: Es ist ein Film über und gegen Kollaboration, zuerst und vor allem über die visuelle mancher Filmemacher; ein Film, der die Kollaboration der Franzosen ebenso beim Namen nennt wie die (indirektere) Kollaboration der Alliierten nach dem Krieg, als deutsche „Experten“ unbesehen ihrer Vergangenheit als Helfershelfer im Kalten Krieg gebraucht wurden. Freilich vergisst der Film nie, klar zu machen, dass durch solche Kritik kein Verbrechen der Deutschen relativiert wird.
Was tut Tarantino außerdem? Er spielt mit visuellen Versatzstücken: Sein Frankreich sieht aus wie eine Western-Landschaft von John Ford, sein Paris wie das Warschau in Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ (fd 9062). Großartig in ihrer Doppelbödigkeit und Schönheit ist die Kamera von Robert Richardson. Erzählt wird der Film im herkömmlichen Sinne undiszipliniert und unökonomisch, in der für Tarantino so typischen Mischung aus Autorenkino und B-Movie zugleich. Autorenkino ist dies vor allem in der Aufmerksamkeit für Details, in der Geduld, die der Film für Dialogpassagen aufbringt, im Spaß am Spiel mit vier Sprachen und unzähligen Akzenten. Er ist dies auch in seinem ständigen Bruch mit den Erwartungen, in den Finten der Erzählung. Eine solche Finte ist bereits der Titel mit seiner bewusst falschen Schreibweise. Manchmal ist das alles fast ein bisschen zu intellektuell, um ganz großes Kino zu sein. Trotzdem: Dieser Film ist, wie alle Filme Tarantinos, überaus unterhaltsam – vorausgesetzt, dass man mit der Erzählweise des Regisseur etwas anfangen kann. Es ist – neben „Kill Bill“ (fd 36 193 und fd 36 482) und „Jackie Brown“
(fd 33 091) – sein bester Film. Denn hier hat der Regisseur wirklich etwas zu sagen, und er hat einen starken Gegner, den er attackiert. Zugleich ist dies eine Art Apotheose des Kinos, spätestens dann, wenn sich am Ende in einem Kino ein NS-Propagandafilm in sein Gegenteil verkehrt und Hitler tatsächlich ermordet wird: Als Ort von Leben und Tod, in dem es sogar möglich ist, den Gang der Geschichte zu ändern, der Fantasie freien Lauf lassen. Ein Triumph des Willens: das, was sich das deutsche Kino bis heute nicht traut, den toten Hitler zu zeigen und sein Gesicht und damit den Mythos selbst zu versehren, den untoten Wiedergänger der Geschichte sterben zu lassen. Auch das könnte befreiend wirken.