Das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Schwester Aloysius und Pater Flynn wird bereits durch ihre gegenseitigen Spottnamen treffend zum Ausdruck gebracht: Sie nennt ihn abfällig „Naschkatze“, womit nicht nur seine Vorliebe für Zucker gemeint ist, wie sich später herausstellt. Er kommentiert die furchterregenden Auftritte der Schuldirektorin mit den Worten: „Der Drache ist hungrig.“ Beider Weltbilder und Glaubenssysteme könnten nicht unterschiedlicher sein: Während der Pater in seiner Predigt vom Zweifel spricht, von Gefühlen der Unsicherheit und Schwäche und damit eine Annäherung an die „Welt“ wie auch an seine Gemeinde sucht, vertritt Schwester Aloysius das genaue Gegenteil: Ihr eisenhartes Regime basiert auf Disziplin, Einschüchterung und Angst; in ihrer absoluten Unerschütterlichkeit muten ihre Überzeugungen geradezu militant an. Es ist das Jahr 1964. In der im Stadtteil Bronx gelegenen Privatschule St. Nicholas machen sich die gesellschaftlichen Umbrüche vor dem Hintergrund der Bürgerrechtsbewegung bemerkbar – die Schule hat gerade ihren ersten schwarzen Schüler aufgenommen, Donald Miller. Auch in der katholischen Kirche ist mit dem II. Vatikanischen Konzil ein Reformkurs eingeleitet worden, der in der Figur von Pater Flynn einen progressiven Vertreter findet. Seine Modernisierungstendenzen, zu denen auch ein anti-autoritäres, ja kumpelhaftes Auftreten gehört, werden von Schwester Aloysius mit Skepsis und Argwohn registriert. Sie streut ein Klima des Misstrauens unter den Nonnen, eine Strategie, die bei der naiven Schwester James unmittelbare Wirkung entfaltet. Als sie ihrer Vorgesetzten berichtet, Pater Flynn widme dem neuen Schüler auffällig viel private Aufmerksamkeit, steht plötzlich ein Missbrauchsverdacht im Raum, wobei der Begriff selbst nie fällt. Ohne Beweis, nur mit ihrer moralischen Überzeugung bewaffnet, startet die Direktorin einen Kreuzzug gegen den Priester, in dessen dunkelsten Momenten der Schatten der Inquisition aufscheint.
Der Autor John Patrick Shanley inszenierte sein mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetes Broadway-Stück selbst für die Leinwand. Man merkt dem Film seinen Theaterhintergrund deutlich an – es gibt immer wieder kammerspielartige Szenen mit langen Dialogen –, dennoch versteift er sich nicht auf das Gegenüber der beiden Hauptfiguren, entwirft vielmehr ein lebendiges Bild der Schule. Er ruft unweigerlich die Missbrauchsfälle in Erinnerung, die die katholische Kirche in den letzten Jahren erschütterten, und doch geht es hier um ein gänzlich anderes Thema. „Glaubensfrage“ (im Originaltitel treffender „Doubt“, Zweifel) erzählt vielmehr vom äußerst schmalen Grat zwischen Überzeugung und Ungewissheit und von der veränderten Wahrnehmung unter den Vorzeichen eines Verdachts. Alles könnte plötzlich gegen den Priester sprechen: seine tröstende Umarmung, als Donald Miller von seinen Mitschülern verprügelt wird, sogar sein Hang zum sinnlichen Genuss oder die demonstrative Vorführung seiner gepflegten, aber ungewöhnlich langen Fingernägel erregen das Misstrauen von Schwester Aloysius – ein Misstrauen, das sich auch auf den Zuschauer überträgt, dem allerdings auch nicht mehr Informationen zur Verfügung steht als den Figuren. Statt Überzeugungen zu propagieren, entfaltet der Film eine Atmosphäre der Verunsicherung, erzeugt symbolisch aufgeladene Bilder, die manchmal allzu durchsichtig erscheinen: eine Katze, die eine Maus fängt, ein starker Windsturm, der die Äste von den Bäumen weht und nicht zuletzt die immer wieder stark gekippten Kamerawinkel – gleichwohl ungewöhnliche und irritierende Perspektiven, die die stabile Ordnung aus den Angeln heben. Sehr viel Wert legt der Film auf die Darstellung der Geschlechterverhältnisse. In ihrer klischeehaften Überzogenheit ist dafür eine Sequenz symptomatisch, die das gemeinsame Abendessen unter den Priestern dem der Nonnen gegenüberstellt: Während die Männer in ausgelassener Stimmung und mit viel lautem Gelächter tafeln, Wein trinken und genussvoll das Essen verschlingen, ist die Mahlzeit bei den Frauen, die dem Orden der Barmherzigen Schwestern angehören, von bedrückender Schweigsamkeit und asketischer Zurückhaltung bestimmt. Statt Wein gibt es Milch. Pflichtbewusst essen die Schwestern ihre Teller leer, was durchaus komische Momente hat. Als Schwester James ein Stück Knorpel aus ihrem Mund holt und es unauffällig auf den Tellerrand legt, genügt ein kurzer Blick der Direktorin, und sie steckt sich den Bissen schuldbewusst wieder in den Mund, um weiter angestrengt darauf herumzukauen.
Die Figur der Schwester Aloysius wird von Meryl Streep gelegentlich nahe an der Grenze zur Karikatur gespielt, hat dabei aber ihre ambivalenten Seiten. Der Film zeigt sie gefangen in einer kirchlichen Hierarchie, die sie zwar affirmiert, in der sie als Nonne und Frau aber auf eine untergeordnete Position verwiesen ist. An diesem Punkt macht auch die „moderne Aufgeklärtheit“ des Paters Halt, dessen übergriffige, patronisierende Gesten die Direktorin erst recht reizen, etwa, wenn er sich in ihrem Arbeitszimmer wie selbstverständlich an ihren Schreibtisch setzt und sich von den Schwestern Tee servieren lässt. Schwester Aloysius greift zur Intrige, zu Gerücht und Bluff, um den Pater zu einem Schuldeingeständnis zu bewegen, während der Pastor durch die Kanzel einen direkten Zugang zur Öffentlichkeit hat. Er verwertet Konflikte und setzt sie gezielt als Waffe ein, indem er am nächsten Sonntag eine Predigt zum Thema „Intoleranz“ hält.
Die aufreibendste Szene spielt zwischen Schwester Aloysius und Donald Millers Mutter, die zu einem Gespräch nach St. Nicholas bestellt wurde: Allen Verdachtsmomenten zum Trotz beharrt sie darauf, dass ihr Sohn das Schuljahr zu Ende besucht, da der Abschluss für seine weitere schulische Karriere notwendig sei. Und sie gesteht, dass sie um die homosexuelle Veranlagung ihres Sohns weiß und für sie nur von Bedeutung sei, dass die Unterstützung des Paters ihrem Sohn gut tue. Hier hat es die Schwester plötzlich mit einer Haltung zu tun, in der ihr eigenes System nicht mehr greift – eine Erfahrung, die sie offensichtlich zum ersten Mal macht.