In den USA Ende der 50er Jahre: Durch die Heirat seiner Mutter wird ein Junge mit einem Mann konfrontiert, der seine Minderwertigkeitsgefühle brutal an dem Schwächeren abreagiert. Eine beeindruckend und stimmig inszenierte, hervorragend gespielte Milieu- und Charakterstudie, die einen realistischen Blick auf eine Kleinstadt und ihre geistige Enge vermittelt.
- Ab 16.
This Boy's Life
Drama | USA 1993 | 114 Minuten
Regie: Michael Caton-Jones
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Filmdaten
- Originaltitel
- THIS BOY'S LIFE
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 1993
- Produktionsfirma
- Warner Bros.
- Regie
- Michael Caton-Jones
- Buch
- Robert Getchell
- Kamera
- David Watkin
- Musik
- Carter Burwell
- Schnitt
- Jim Clark
- Darsteller
- Robert De Niro (Dwight) · Ellen Barkin (Caroline) · Leonardo DiCaprio (Toby) · Jonah Blechman (Arthur Gayle) · Eliza Dushku (Pearl)
- Länge
- 114 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama | Literaturverfilmung
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Verfilmte Biografien geraten in Hollywood olì zu Hymnen auf den standhaften Charakter eines Helden, der die Aufstiegsmöglichkeiten in einem ständig im Aufbruch begriffenen Land - eben den USA - für sich nutzt. Die Niederungen. aus denen er kommt, sind da meistens Nebensache - wer darin hängenbleibt, hat seine Chancen nicht begriffen. Der dem Land angemessenere Held. so die Hollywood-Strategie, ist der. der den Weg nach oben findet. Nach genau diesem Weg sucht auch Caroline mit ihrem Sohn Toby. Während ihr Ex-Mann mit Tobys studierendem Bruder an der Ostküste geblieben ist, versucht sie sich Ende der 50er Jahre im Westen der USA durchzuschlagen. Auf der Flucht vor der Vergangenheit und der Jagd nach dem Glück gerät sie von einem Liebhaber zum nächsten - und Toby von einer Stadt in die andere. So bleiben sie immer Fremde. Das ändert sich erst, als Caroline Dwight kennenlernt, ihn nach einiger Zeit heiratet und zu ihm ins abgelegene, muffige Concrete zieht. Besonders für Toby beginnt damit eine Zeit der Leiden: mit aller Gewalt versucht Dwight, jedes Anzeichen von Eigensinn bei dem Jungen zu unterdrücken."This Boy's Life", auf einer autobiografischen Geschichte beruhend, entwickelt in der Folge eine Milieu- und Charakterstudie, wie man sie in US-Filmen dieser Art selten findet. Toby ist alles andere als ein strahlender Held, sondern ein Spielball des mit Minderwertigkeitsgefühlen beladenen Stiefvaters. Während Ellen Barkin als Mutter des Jungen nach dem Auftauchen Dwights etwas in den Hintergrund rückt (ihre Rolle erinnert bis dahin an Ellen Burstyns Part in Scorseses "Alice lebt hier nicht mehr"), bieten Leonardo DiCaprio als Toby und De Niro als Vater die bedrückende Darstellung einer gnadenlosen und ungleichen Konfrontation.Schon bei seinem ersten Auftritt führt De Niro Dwight bis in die kleinsten Nuancen der Gestik und Mimik als einen Mann vor, der kein richtiges Verhältnis zu sich selbst gefunden hat - De Niros bestes Fach. Dwight steht unter dem Zwang, sich ständig produzieren zu müssen: ob als Charmeur, als Boxer, der andere in reinster Heimtücke "kalt erwischt", als kitschiger Abklatsch eines Saxophonspielers (ins Ironische gewendete Anspielungen auf frühere DeNiro-Rollen unter Scorsese) oder als miserabler Schütze, der von seiner Frau locker geschlagen wird. Bestätigung braucht er wie andere Wasser und Brot. Bekommt er sie nicht, sucht er Zuflucht in brutaler Unterdrückung. Dwight will den orientierungslosen, aufbegehrenden Toby "heilen oder töten".Drehbuch und Regie konzentrieren sich besonders auf die Privatsphäre der eigenen vier Wände. Aber dennoch macht der Film, nicht zuletzt durch die Ausstattung, einiges von der Stimmung dieser Periode amerikanischer Geschichte deutlich. Dwight kann man sicher als Figur verstehen, die durch den stockkonservativen, engstirnigen Geist des Kleinstadtmilieus selbst deformiert wurde und sich nun dafür rächt. Tobys Freunde, mit einer Ausnahme. unterliegen ähnlichen Zwängen. Sie flüchten sich in die Revoltenattitüde des Rock'n'Roll. der aus dem Radio schallt, in der Abgelegenheit der Provinz aber ohne jede Energie verpufft. Eine angenehme Abweichung vom Klischee, genauso bemerkenswert wie eine Bemerkung von Tobys einzigem richtigen Freund, der ihm auch den Weg zum Aufbruch ebnet: "Hier endest du im Supermarkt oder läufst Amok." Krass, leider aber vielfach bestätigt. "This Boy's Life" erinnert in manchem an Wolfgang Beckers Film "Kinderspiele", einer ähnlichen und ebenso stimmigen Geschichte über die Jugend in engen Verhältnissen (jedoch mit einem ungleich härteren Ende). Natürlich erlauben die amerikanischen Verhältnisse ein ungleich aufwendigeres Produktionsdesign. Erfreulich ist in diesem Fall, daß es etwa die Schauspieler nicht zu Statisten degradiert, sondern auch mit allen anderen Filmelementen ein stimmiges Ganzes bildet und die sozialen Verhältnisse ernst nimmt.
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