Lebenserinnerungen des Holocaust-Überlebenden Howard Triest, der am Vorabend des Zweiten Weltkriegs nach Amerika fliehen konnte, die US-Staatsbürgerschaft annahm und als Dolmetscher mit der US-Armee nach Deutschland zurückkam, wo er in Kontakt mit ehemaligen Nazi-Größen kam. Der Dokumentarfilm zeigt ihn, ergänzt durch Archivaufnahmen und Standfotos, mit seinem Sohn auf einer Reise durch Deutschland, die dazu dient, die Erinnerung wach zu halten. Eine eindrückliche, aufrüttelnde Collage, die das Wissen um die Gräuel und Untaten an die Nachgeborenen weitergeben will.
- Ab 14.
Journey to Justice
Dokumentarfilm | USA 2006 | 106 Minuten
Regie: Steve Palackdharry
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Filmdaten
- Originaltitel
- JOURNEY TO JUSTICE
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Palackdharry Prod.
- Regie
- Steve Palackdharry
- Buch
- Steve Palackdharry
- Kamera
- Steve Palackdharry
- Musik
- Terry Herald
- Schnitt
- Steve Palackdharry
- Länge
- 106 Minuten
- Kinostart
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- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
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Heimkino
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Howard Triest ist gleich in mehrfacher Hinsicht Augenzeuge der ersten Stunde. Als Kind erlebt er in München Aufstieg und Machtergreifung der Nazis. Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs gelingt ihm die Flucht nach Luxemburg. Es beginnt eine Odyssee, die ihn von seinen Eltern und seiner Schwester Margot trennt. Nach einem Aufenthalt in einem Internierungslager in Südfrankreich werden die Eltern deportiert, ihre Spuren verlieren sich; der Schwester gelingt die Flucht in die Schweiz. Howard ist zu diesem Zeitpunkt schon längst auf dem Weg nach New York, wo die Familie ein Treffen vereinbart hat. Ein solches Treffen wird nie stattfinden. Doch der Jude Howard Triest, der eigentlich Heinz heißt, kehrt nach Deutschland zurück – wieder auf Umwegen. Als Soldat der US-Armee nimmt er an der Invasion in der Normandie teil, gehört zu den Befreiern des KZ Buchenwald und dokumentiert das unsägliche Grauen. Als Besatzungssoldat landet er in seiner zerstörten Heimatstadt München. Inzwischen ist man auf seine perfekten Deutschkenntnisse aufmerksam geworden; er wird im Nürnberger Prozess als Dolmetscher und im Wachdienst eingesetzt. Die (Über-) Menschen, die sein Leben und seine Familie zerstörten, sind plötzlich auf ihre wahre verbrecherische Größe geschrumpft und zeigen dennoch keine Einsicht, sondern berufen sich auf Befehlsnotstand. Eine Haltung, die Triest ebenso in Rage bringt wie die pausenlosen Beteuerungen der Deutschen, von nichts gewusst zu haben. Eine gebetsmühlenartig vorgetragene Behauptung, die der US-Soldat in seiner Eigenschaft als Mitglied eines Entnazifizierungskomitees in den folgenden Jahren immer wieder zu hören bekommt. 60 Jahre später kehrt Howard Triest mit seinem Sohn Brent ein weiteres Mal nach Deutschland zurück und begibt sich, längst etwas milder gestimmt, auf Erinnerungsreise. Doch er macht keinen Hehl daraus, dass er das seiner Familie zugefügte Leid nie vergessen kann. Die Erinnerung lebt fort und wird an die nachwachsenden Generationen übergeben, auch wenn der Hass lange schon gewichen ist.
Steve Palackdharrys „Journey to Justice“ kann natürlich nicht mit atemberaubenden, erschreckend „neuen“ Bilder aufwarten und hat auch gottlob gar keinen solchen Ehrgeiz. Vielmehr verknüpft der Film die große geschichtliche Tragödie mit einer Perspektive, die Geschichte von unten zeigt. Dabei hat er das Glück, mit seinem Protagonisten einen Menschen vorstellen zu können, der zu den Siegern gehört, sich aber nicht in einer alles verzeihenden Siegerpose gefällt, sondern im Gespräch seinen damaligen Hass und seine Wut abrufen kann. Tod durch Erhängen schien ihm beispielsweise für die Verbrecher von Nürnberg eine zu milde Strafe; sie sollten einen ähnlichen Leidensweg durchlaufen wie ihre Opfer: Hungern, ihrem Leid überlassen, krepieren. Diese Haltung hat sich abgeschwächt, doch Triest macht deutlich, dass die Verbrechen nie vergessen werden dürfen. Seine im Laufe der Jahre abgeklärte Haltung wird besonders beim Treffen mit Jugendfreund Hans Fischbach deutlich, der „Heinzi“ verleugnete, als er in eine Führerschule eintrat, nun aber, 75 Jahre später, wieder von Freundschaft redet und Triest eine Ausgabe seiner Lebenserinnerungen widmet, in der von den Nazis kaum die Rede ist. Triest nimmt es gelassen und verteidigt den Ex-Freund sogar: Er war in der Blüte seines Lebens dem Bösen so nah und hatte doch „nie einen Nazi gefunden“. Warum sollte das jetzt anders sein? Eine Lektion in Erinnerungsarbeit, die auf fruchtbaren Boden fällt und ohne Verbitterung und Hass an die Enkel weitergegeben wird.
Palackdharry gelingt ein aufrüttelndes Dokument, an dessen Ende sich die Familie Triest zum Essen im Haus der Münchner Großeltern trifft. Auch visuell – hier im Sinne von zeitlich-historischer Verknüpfung – hat der Film manches zu bieten. Die vielen schwarz-weißen Archivaufnahmen, die eindrücklich das Schicksal der Triests dokumentieren, auch wenn sie gar nicht persönlich in Erscheinung treten, sondern als Spielball der Geschichte präsent bleiben, werden immer wieder durch Farbmaterial von Triests aktuellem Besuch in Deutschland im Jahr 2005 unterbrochen, in denen der Vater dem Sohn einmal mehr seine leidvolle Erinnerung ins Gedächtnis ruft. Bilder dieses Dokuments werden wiederum in schwarz-weiße Standbilder eingefroren, die in Korrespondenz mit Fotos aus den 1930er- und 1940er-Jahren treten und so eine Kontinuität visualisieren – nicht die des Leidens und des Schmerzes, sondern die des Erinnerns.
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