Ein Journalisten-Team begibt sich mit Unterstützung einer französischen Streetworkerin mitten in die Slums von Port-au-Prince, um am Beispiel zweier dort als Bandenchefs wirkender Brüder die fatale Lage des von der Zivilisation weitgehend vergessenen Landes Haiti zu dokumentieren. Formal virtuos macht sich der Dokumentarfilm dabei die Stilmittel der Pop-Kultur zunutze, um den ebenso engagierten wie verzweifelten Versuch zu starten, die Aufmerksamkeit auf eine Gewaltspirale zu lenken, die international keiner mehr aufhalten kann und will, während die Menschen, die darin leben, gnaden- und rücksichtslos ausgelöscht werden. (O.m.d.Voiceover)
- Ab 14.
Ghosts of Cité Soleil
Dokumentarfilm | Dänemark/USA 2006 | 86 Minuten
Regie: Asger Leth
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Filmdaten
- Originaltitel
- GHOSTS OF CITÉ SOLEIL
- Produktionsland
- Dänemark/USA
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Independent Pic./Nordisk Film/Sak Pasé Films/Sunset Prod.
- Regie
- Asger Leth · Milos Loncarevic
- Buch
- Asger Leth
- Kamera
- Frederik Jacobi · Asger Leth · Milos Loncarevic
- Musik
- Jerry "Wonder" Duplessis · Wyclef Jean
- Schnitt
- Adam Nielsen
- Länge
- 86 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16 (DVD)
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Der Wert eines Menschenlebens ist nicht bezifferbar. Betrachtet man die Zustände in den meisten afrikanischen Staaten, China und weiten Teilen der Karibik erscheint diese grundsätzliche Annahme westlicher Menschenrechtsschützer als nicht mehr als ein frommer Wunsch. Überall dort, wo der Mensch nur noch Spielball von Despoten ist, macht es keinen Unterschied, ob er lebt oder stirbt. In kaum einem anderen Land ist die Lebensperspektive trostloser als in Haiti. Dessen Hauptstadt Port-au-Prince ist von der UN als der lebensgefährlichste Ort der Erde deklariert worden – so zumindest macht es die Präambel von „Ghosts of Cité Soleil“ glauben. Port-au-Prince ist eine Millionenstadt, die von der Zivilisation abgeschrieben wurde; hier herrscht keine Gerechtigkeit, sondern nur das Gesetz der Gewalt. Die Distrikte der weitläufigen Slums, der „Cité Soleil“, teilen sich fünf Warlords, die in den Jahren der politischen Willkür-Herrschaft des haitianischen Präsidenten Aristide von 2000 bis 2004 heimliche Minidiktaturen in der Stadt bildeten. In den letzten Monaten dieses „organisierten Chaos“ kam das Regie-Team Milos Loncarevic und Asger Leth nach Port-au-Prince, um die Schattenwelt der Karibik-Halbinsel ein wenig mehr ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Mit Unterstützung der französischen Streetworkerin Éleonore „Lele“ Senlis ist es ihm gelungen, das Vertrauen zweier Warlord-Brüder zu gewinnen. Winson „2Pac“ Jean und James „Bily“ Petit Frère sind zwar vom Blut her verwandt, regieren aber als erbitterte Konkurrenten. Zwar schätzen sie sich grundsätzlich, doch hätten sie nicht dieselbe Mutter, wären sie auf der jeweiligen Todesliste des anderen, wie die restlichen drei Warlords. Von „Bily“ sagt der ältere „2Pac“ einmal, er sei kein wahrer „Gangsta“, dafür sei er zu besonnen. „Er soll besser einmal Präsident von Haiti werden.“ In ruhigen, „idyllischen“ Momenten denkt dieser über Frieden nach, wenn seine dreijährige Tochter auf seinem Arm wimmert, er dürfe nicht sterben. Doch Frieden in „Cité Soleil“ gibt es nicht, solange die Gangs mit Leben und Tod spielen – und niemand hat Interesse, sie daran zu hindern. Die Rebellen, die gegen Aristide aufbegehren, werden von den Regierungstruppen und den Straßengangs bekämpft, und obwohl „2Pac“ und „Bily“ wissen, dass „ihr Präsident“ nichts wert ist, machen sie weiter wie bisher.
„Ghosts of Cité Soleil“ ist das hoffnungslose Porträt eines aufgegebenen Landes. Der Dokumentarfilm zeigt den Fatalismus, der „normale“, liebenswerte Menschen zu den vor Gewalt strotzenden „Chimères“ (den Geistern) werden lässt, die Tag und Nacht Krieg machen. Sie tun dies, wie in den Filmen Hollywoods und den Clips der „Gangsta“-Rapper – nur wirklich. Nicht umsonst nennt sich der ältere Bruder nach dem 1996 erschossenen Rap-Superstar „Tupac Shakur“. Er selbst rappt gerne seine Befehle und schreibt Songs mit seinem Freund, dem in den USA lebenden und weltweit erfolgreichen Landsmann Wyclef Jean. Loncarevic und Leth haben den Star für ihren Film mit ins Boot geholt; er hat ihnen Türen geöffnet und dem Film zudem seinen Soundtrack gegeben. Kein Wunder, dass „Ghosts of Cité Soleil“ eher wie ein Pop-Video daherkommt. Rasant auf den Rhythmus der Musik geschnitten (brillant ist die Arbeit des dänischen Cutters Adam Nielsen), mit Schwarz-weiß, Farbe und Kontrasten spielend. Man könnte dem Film vorwerfen, dass er mit der Gewalt kokettiert, die Gangs in ihrem Mythos glorifiziert, doch das tut er mitnichten. Inhaltlich gewinnen Leid, Schmerz und Trostlosigkeit die Überhand, wenn sich die Brüder schließlich gegeneinander wenden; formal macht der Film sehr konsequent Werbung für die Lebenden in einem toten Land, wenn er sich der Stilmittel der Jugendkultur bedient. Aus den gängigen Nachrichten ist die Tragödie Haitis längst verschwunden; das Sterben wird „seriös journalistisch“ kaum mehr thematisiert. Vielleicht erfährt das Menschenleben dort gerade durch den schrillen, virtuosen Stil von „Ghosts of Cité Soleil“ wieder ein wenig mehr Aufmerksamkeit. Scheitert das Konzept, war es den Versuch zumindest wert. Schaden kann ein Film dort jedenfalls nicht mehr anrichten.
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