Der große Ausverkauf

Dokumentarfilm | Deutschland 2006 | 94 Minuten

Regie: Florian Opitz

An Beispielen aus Großbritannien, Südafrika, Bolivien sowie von den Philippinen werden vier Schlüsselbereiche der kommunalen Versorgung - Verkehr, Gesundheit, Strom, Wasser - thematisiert. Dabei prangert der überzeugende Dokumentarfilm die Kehrseiten zunehmender Privatisierung an, in der die Staaten die Lösung ihrer finanziellen Probleme sehen, ohne die Folgen für die Betroffenen abzuwägen. Ohne ideologische Scheuklappen bezieht der kommentarlose Film Position und untermauert diese mit dezidiert filmischen Bildern. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Discofilm
Regie
Florian Opitz
Buch
Florian Opitz
Kamera
Andy Lehmann
Schnitt
Niko Remus
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb | TMDB

Diskussion
Der britische Lokführer Simon weiß selbst nicht recht, ob er sich ärgern oder lachen soll. Da zockelt er mit seinem Express gemächlich hinter einem Bummelzug her, an dem auf der Schiene nun mal kein Vorbeikommen ist. Doch hier hat weder ein Fahrdienstleiter noch ein Computer versagt. Die Absurdität der Situation ist bei der britischen Eisenbahn systembedingt und deshalb nahezu alltäglich. Als die staatliche British Rail 1997 an rund 150 private Firmen veräußert wurde, sollte eigentlich alles besser werden. Doch zehn Jahre danach fällt die Bilanz ernüchternd aus. Weil manche Firmen lieber in neue Uniformen als in Sicherheit und Instandhaltung investierten, kam es zu einer Reihe schwerer Zugunglücke, und da eine Instanz fehlt, die die Fahrpläne der einzelnen Betreibergesellschaften koordiniert, bremsen Bummelzüge regelmäßig schnellere aus, die dann mit entsprechenden Verspätungen ihre Ziele erreichen. Hinzu kommt der Rückfall in die verkehrstechnische Kleinstaaterei: „Ein Ticket von einer Ecke des Landes in die andere zu lösen“, erklärt Simon, „ist ein logistischer Albtraum.“ Dabei sollte die Privatisierung doch alles effizienter und für alle Beteiligten preiswerter machen. Mit dem Ergebnis, dass die staatlichen Subventionen für die private britische Eisenbahn heute mehr als doppelt so hoch ausfallen wie vor 1997. Wahrlich kein Fall von geglückter Privatisierung zum Nutzen der Allgemeinheit, den der Dokumentarfilm hier am Beispiel eines britischen Lokführers schildert. Doch verglichen mit den anderen Leidensgenossen dieses weltweit grassierenden Phänomens ist der Eisenbahner noch gut dran. So führt Minda Lorando, die in den Slums von Manila lebt, Tag für Tag einen verzweifelten Kampf um das (Über-)Leben ihres Sohnes. Der 19-Jährige braucht zweimal pro Woche eine Dialyse, die aber nur gegen Bargeld zu haben ist, das Minda nicht hat. Seitdem sich der philippinische Saat aus dem Gesundheitswesen weitgehend zurückgezogen hat, herrscht dort eine rigorose Zwei-Klassen-Medizin. Tausende unrentabler Kliniken wurden geschlossen, während gleichzeitig luxuriöse Wellness-Oasen für Begüterte entstanden. An zwei anderen Beispielen dokumentiert der Film aber auch Formen des Widerstandes gegen Privatisierungen. So begleitet er im südafrikanischen Soweto eine Gruppe von „Guerrilla-Elektrikern“, die Häuser wieder ans Netz anschließen, deren Bewohner nach der Privatisierung der Stromversorgung die drastisch erhöhten Preise nicht mehr zahlen können. Und in der bolivianischen Stadt Cochabamba gilt es gar einen Triumph über schnöde Kapitalinteressen zu feiern. Als die Regierung im Jahr 2000 die örtliche Wasserversorgung an einen US-Konzern verkaufte, der prompt die Gebühren kräftig erhöhte, rebellierten die Bürger so lange, bis die Privatisierung rückgängig gemacht wurde. Verkehr, Gesundheit, Strom und Wasser – vier Schlüsselbereiche der (ehemals) kommunalen Versorgung – an denen Autor und Regisseur Florian Opitz deutlich macht, dass von ihrer Privatisierung allenfalls ein paar Firmen profitieren, während sie für das Gros der betroffenen Menschen massive Nachteile bringt. Die vier Erzählstränge werden durch eine durchdachte Montage immer wieder miteinander verwoben, wobei sich der Film durchweg der Personalisierung bedient, um diesen (scheinbar) abstrakten Teilaspekt der Globalisierung in seinen konkreten Auswirkungen deutlich zu machen. Ein legitimes Stilmittel, das allerdings u.a. aufgrund der unterschiedlich starken Charaktere nicht in allen Episoden gleich gut funktioniert. Hinzu kommt der Aspekt, dass hier in drei von vier Fällen mehr oder minder direkt die Weltbank mit ihren restriktiven Regeln der Kreditvergabe als Beschleuniger der Privatisierung angeprangert wird. Der Vorwurf ist nicht eben neu und fraglos nicht aus der Luft gegriffen, und der Vertreter der Organisation, der im Film einmal mehr den Rückzug des Staates als Allheilmittel für jede Form wirtschaftlicher Probleme preist, wirkt nicht eben überzeugend. Dass der Film keine gelungenen Beispiele von Privatisierung – die es in anderen Bereichen als den hier geschilderten durchaus gibt – vorstellt, kann man ihm kaum vorwerfen. Ohne ideologische Scheuklappen bezieht er unter Verzicht auf einen Off-Kommentar zwar eindeutig Position, ist aber dabei weit mehr als ein bebildertes Thesenpapier. Wofür nicht zuletzt auch der Blick des Regisseurs für dezidiert filmische Bilder abseits der eigentlichen Story sorgt, die die Fernsehproduktion auch auf einer Kinoleinwand nicht auf ein politisch korrektes Lehrstück reduzieren.
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