Ein junger Mann hat durch seine überbordende Fantasie den Überblick über die Grenzen von Schein und Sein verloren. Als er sich in seine neue Nachbarin verliebt, lässt er nichts unversucht, um die junge Frau auf sich aufmerksam zu machen. Die ausgesprochen gefühlvolle Liebeskomödie lotet mit Hilfe ihrer charmanten Hauptdarsteller lustvoll die Grenzen zwischen subjektiver und objektiver Wahrheit aus und bietet ein Paradebeispiel für absurde Romantik. (O.m.d.U.)
- Sehenswert ab 14.
Science of Sleep - Anleitung zum Träumen
Komödie | Frankreich 2006 | 106 Minuten
Regie: Michel Gondry
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Filmdaten
- Originaltitel
- LA SCIENCE DES REVÊS
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Partizan/Société des Etablissements L. Gaumont/France 3 Cinéma
- Regie
- Michel Gondry
- Buch
- Michel Gondry
- Kamera
- Jean-Louis Bompoint
- Musik
- Jean-Michel Bernard
- Schnitt
- Juliette Welfling
- Darsteller
- Gael García Bernal (Stéphane Miroux) · Charlotte Gainsbourg (Stéphanie) · Alain Chabat (Guy) · Miou-Miou (Christine Miroux) · Pierre Vaneck (Monsieur Pouchet)
- Länge
- 106 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Komödie | Liebesfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Es gibt sie immer zu selten: Filme, die aus dem Rahmen fallen, sei es durch eine außergewöhnliche Story oder eine kreative Erzählweise. Insofern hat Michel Gondrys neuer Spielfilm beste Voraussetzungen für einen cineastischen Glücksfall. Gondry, der als innovativer Werbefilmer und Regisseur von Videoclips (u.a. für Björk) Hollywood auf sich aufmerksam machte, bewies mit „Vergiss mein nicht“ (fd 36491), dass er den Übergang von einer realistischen Außen- zu einer fantastisch verfremdeten Innenwelt spielerisch bewältigen kann. Die surrealen Bildgemälde, die Gondry dafür schuf, prägen auch „Science of Sleep“. Ähnlich wie Joel Barish in „Vergiss mein nicht“ seine Gedächtniswelt gegen Angriffe von außen verteidigte, will sich Stéphane in „Science of Sleep“ seine eigene Traumwelt nicht zerstören lassen. Anders aber als Joel, dessen Unterbewusstsein die als Erinnerungen gespeicherte Wirklichkeit zu bewahren versuchte, würde Stéphane die Realität am liebsten in seiner Traumwelt auflösen. Insofern wendet sich „Science of Sleep“ stärker vom Faktischen ab. So oft stülpt sich das Fantasierte über das tatsächliche Geschehen, dass Traum und Wirklichkeit bald nicht mehr auseinander gehalten werden können. Aus der Logik der Story heraus ist das konsequent, spiegelt es doch stimmig den Realitätsverlust Stéphanes, den Gael García Bernal als ebenso schüchternen wie genialen Träumer interpretiert. Gondry begreift dies offenbar als Freifahrtschein für filmformale Experimente. Aus einem möglichen Glücksfall wird so ein etwas überambitionierter Film, dessen Manierismus der Geschichte eher im Wege steht. Das Wechselspiel zwischen den Wahrnehmungsebenen entwächst keiner genialen Handlungsidee, sondern leitet sich schlicht aus der Wahrnehmungsstörung der Hauptfigur ab – und steht damit erzählerisch auf dünnen postmodernen Beinen.
Darunter leidet auch die sehr schön und humorvoll erzählte Liebesgeschichte, die sich durch das Durcheinander aus Traumvisionen und Wacherlebnissen hindurch schlängelt: Stéphane kehrt aus Mexiko zu seiner Mutter nach Paris zurück. In einer Werbeagentur wartet auf ihn angeblich ein kreativer Job, der sich aber als Handlangertätigkeit entpuppt. Abwechslung ist in Stéphanes Leben dennoch garantiert, dafür sorgt schon seine überbordende Fantasie. Dass er den Überblick über Sein und Schein verloren hat, bemerkt er erst, als er sich verliebt. In der Nachbarswohnung zieht eine junge Frau ein. Beim Einzug wird Stéphane beinahe von ihrem Klavier erschlagen. Kurzerhand hilft er mit, es ins Zimmer zu befördern. Von der neuen Nachbarin Stéphanie und ihrer Freundin Zoé wird er fortan für einen Umzugshelfer gehalten. Stéphane verpasst den Moment, das Missverständnis aufzuklären und tischt ständig neue Lügenmärchen auf, warum er gerade mal wieder in der Nähe ist.
Die Namensvettern Stéphane und Stéphanie entpuppen sich bald als seelenverwandt. Gemeinsam erschaffen sie aus Pappmaché kunstvolle Miniaturwelten und lassen ihren Fantasien darin freien Lauf. Aus diesem Kuddelmuddel von Lügen und Träumereien entstehen mitunter wunderbare, herrlich komische Szenen. Wenn Stéphane etwa beim Baden eindöst und davon träumt, seiner Nachbarin einen Brief unter der Tür durchzuschieben, in dem er ihr gesteht, dass er in Wirklichkeit nur an der Telefonnummer ihrer Freundin interessiert ist, und hinterher aufwacht und an den nassen Fußspuren im Flur erkennen muss, dass er das alles wohl doch nicht nur geträumt hat. Hektisch angelt er den Brief wieder unter der Tür hervor, was ihm – wie sich später herausstellt – nur gelingt, weil seine Nachbarin durch den Türspion die ganze Szene beobachtet hat und ihm den Brief heimlich zurückschiebt. Hier geht das höchst komplexe Verwirrspiel auf, entfaltet sich stimmig aus der Geschichte und treibt diese gleichzeitig weiter voran. Dass zum Ende nicht nur die beiden Protagonisten, sondern auch die Zuschauer den Überblick verlieren, ist durchaus folgerichtig. Nicht zuletzt dank der beiden herausragenden Hauptdarsteller gelingt Gondry eine äußerst schräge, lebendige und gefühlvolle Liebeskomödie, die lustvoll die Grenzen zwischen subjektiver und objektiver Wahrheit vor- und zurückschiebt – eine frivole, übermütige Mixtur aus absurder Romantik und romantischer Absurdität. Dabei schießt der Film zwar bisweilen über das Ziel hinaus, immerhin aber hat er, anders als viele andere Kinoproduktionen, ein solches überhaupt vor Augen.
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