Drama | USA 2005 | 164 Minuten

Regie: Steven Spielberg

Ausgehend von dem Überfall palästinensischer Extremisten bei den Olympischen Spielen 1972 in München, thematisiert Steven Spielberg die geheime Gegenmaßnahme der israelischen Regierung, elf Verantwortliche für den Anschlag aufzuspüren und umzubringen. Als "Aufruf zum Frieden" konzipiert, verharrt der Film zunächst ausführlich in inszenatorisch fulminanten, teils höchst artistisch arrangierten Details der Vergeltungsaktionen, um dann in einem moralischen Essay zu enden, der aller Ehren wert ist, aber weder formal noch gedanklich überzeugt. Halb Actionfilm, halb politisches Traktat, wird der Film seinem Anspruch nicht gerecht. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MUNICH
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Universal Pic./Amblin Ent./DreamWorks/The Kennedy-Marshall Company/Barry Mendel Prod./Flashback Prod.
Regie
Steven Spielberg
Buch
Tony Kushner · Eric Roth
Kamera
Janusz Kaminski
Musik
John Williams
Schnitt
Michael Kahn
Darsteller
Eric Bana (Avner Kauffman) · Daniel Craig (Anwalt Steve Cake) · Geoffrey Rush (Ephraim) · Mathieu Kassovitz (Robert) · Hanns Zischler (Hans)
Länge
164 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Historienfilm | Krimi | Rachedrama | Thriller
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Universal (1:2.35/16:9/Dolby Digital 5.1)
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Drama über die Versuche des israelischen Geheimdienstes, die Verantwortliche für den Anschlag bei den Olympischen Spiel in München 1972 aufzuspüren und zu töten.

Diskussion
Es liegt tiefe Nacht über dem Olympischen Dorf, als spät in ihre Quartiere zurückkehrende amerikanische Athleten einer Gruppe von Palästinensern über die Zäune helfen. Was zunächst wie ein harmloser Spaß aussieht, ist in den Augen vieler Zeitgenossen die Geburtsstunde des weltweit operierenden Terrorismus, der schließlich zu den Ereignissen des 11. September 2001 führt: Während der Olympischen Sommerspiele des Jahres 1972 drangen palästinensische Extremisten der Gruppe „Schwarzer September“ in die Quartiere der israelischen Sportler ein, töteten zwei von ihnen auf der Stelle und nahmen neun weitere als Geiseln, die später während einer Polizeiaktion auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck ebenfalls getötet wurden. Mit der Rekreation dieses mental bis zum heutigen Tag fortwirkenden Terrorakts beginnt Steven Spielbergs „München“. So erschreckend sich die Szene auf der Leinwand auch ausnimmt, signalisiert sie gleichzeitig schon ein Dilemma, das sich durch den ganzen fast dreistündigen Film fortsetzt: Spielberg, der versierte Action-Regisseur, und Spielberg, der Moralist, stehen sich permanent im Wege. Der heute 58-Jährige ist zweifellos einer der begabtesten Regisseure, die Hollywood in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Er versteht sein Handwerk bis hin zur kaum mehr wahrnehmbaren Manipulation des Zuschauers. Aber er besitzt auch eine andere Seite, die in Filmen wie „Die Farbe Lila“ (fd 25 656), „Das Reich der Sonne“ (fd 26 701), „Schindlers Liste“ (fd 30 663), „Amistad“ (fd 33 014) und „Der Soldat James Ryan“ (fd 33 341) in den Vordergrund trat. Er ist ein engagierter Weltverbesserer, der – je älter er wird – nicht umhin kann, die perfektionierte Welt fiktiver Abenteuerlichkeit gegen die Beschäftigung mit den bewegenden Problemen unserer gegenwärtigen Existenz einzutauschen, sei es der Holocaust, die Rassenfrage, der moderne Krieg oder jetzt in „München“ Terrorismus und Gegenterrorismus. Spielberg, der Humanist, vermag jedoch Spielberg, den Action-Regisseur, nicht zu zügeln; und dem ausgefuchsten Filmemacher gelingt es andererseits nicht, den Moralisten zur Integration in ein funktionierendes filmisches Konzept zu zwingen. Nicht der Terroranschlag von München ist es, den Spielberg in seinem Film thematisiert, sondern die Gegenreaktion Israels. Offiziell galt die Bombardierung von PLO-Lagern in Syrien und im Libanon als Vergeltungsschlag der israelischen Regierung. Doch insgeheim wurde ein fünfköpfiges Kommando, zu dem offizielle Stellen jede Verbindung leugneten, ausgeschickt, um elf Verantwortliche für den palästinensischen Anschlag umzubringen. Basierend auf dem umstrittenen Buch „Vengeance“ von George Jonas (vgl. in dieser Ausgabe S. 48), folgt der Film den fünf Auserwählten, die unter dem Befehl eines ehemaligen Mossad-Agenten und Leibwächters der israelischen Präsidentin Golda Meir stehen, um den halben Erdball. Was sich da in den ersten zwei Stunden des Films abspielt, ist ein spannendes, mit allen Tricks der nicht zuletzt von Hitchcock erlernten Kunst angereichertes Suspense-Stück, das nur dann und wann ein wenig an Intensität verliert, wenn sich die Situationen allzu sehr zu wiederholen beginnen. Würden die Protagonisten nicht gelegentlich – meist ziemlich unmotiviert – innehalten und sich in Gewissensbissen und Diskussionen über den Anspruch auf ein Heimatland verirren, könnte man meinen, Spielberg habe das Terroristen-Thema für nichts anderes als einen fulminanten Actionfilm ausgeschlachtet. Er lässt sich viel Zeit zum Beweis seiner artistischen Fähigkeiten wie auch zu einer makabren Claude-Chabrol-Hommage (die für sich genommen zu den Höhepunkten von Spielbergs Kunst gehört) – doch er gerät bedrohlich in Gefahr, die Gewichtigkeit des gewählten Themas aus dem Blick zu verlieren. Als wäre ihm das selbst urplötzlich bewusst geworden, macht der Film in der letzten Stunde eine Kehrtwendung, in der nun Israelis, Palästinenser und das Publikum in eine Gewissenshölle gestoßen werden, aus der es kein Entkommen mehr gibt. Die mörderische Ideologie des ersten Teils schlägt in einen politischen und moralischen Essay um, der Spielbergs Botschaft heimtragen soll, dass nur friedliche Koexistenz die Hoffnung auf eine Beendigung des fortschwelenden Konflikts biete. Zu diesem Zweck versteigt sich der Film in eine ethische Argumentation, die aller Ehren wert ist, die vor allem die Palästinenser mit mehr Feingefühl behandelt, als es bisher irgendein anderer Hollywood-Film getan hat, die aber filmisch und dramaturgisch keinerlei Entsprechung zu dem perfekt formulierten ersten Teil zu erreichen vermag und allein dadurch schon an Überzeugungskraft einbüßt. Wenn Spielberg schließlich den Liebesakt des Helden mit seiner nach Jahren wiedergefundenen Frau durch Bilder der blutigen Ereignisse von München verfremdet, dann bedient er sich einer primitiven Sinnbildlichkeit, die überdeutlich belegt, dass vielleicht den psychologischen, aber kaum den ideologischen Tiefen des Themas mit dieser Art von filmischer Aufbereitung beizukommen ist. Ein eklatanter Mangel – da eine anti-israelische Tendenz dem Regisseur wohl kaum unterstellt werden kann – ist die nirgends vollzogene Identifikation der Opfer des israelischen Vergeltungsschlags mit den Tätern von München. Die Fanatiker des „Schwarzen September“ bleiben – auch in den über den ganzen Film verstreuten Rückblenden – anonyme Figuren, die der Zuschauer nicht in Verbindung bringen kann mit den freundlichen älteren Herren, die von der ebenso menschlich gezeichneten Vergeltungstruppe in die Luft gesprengt werden. Man darf den fünf Israelis dabei zusehen, wie sie ein lukullisches Mahl genießen, bevor sie zum nächsten Anschlag schreiten; man darf ebenso wahrnehmen, dass ihre Opfer gebildete Menschen mit feinen Manieren sind. Den Bezug zu der Bluttat von München muss der Zuschauer in seiner Fantasie herstellen. In dem wohlmeinenden Bemühen, beiden Seiten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, distanziert sich Spielberg so sehr von den allzu pauschal angesprochenen Motiven, dass Ursache und Wirkung Gefahr laufen, ihre Positionen zu vertauschen. Am schwersten wiegt letztlich, dass die Realität von Spielbergs Story die politische Realität, in der der Film vom Publikum gesehen wird, weitgehend unberücksichtigt lässt. Man kann die Ereignisse des Jahres 1972 heute schlechterdings nicht mehr abhandeln, ohne die Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte zu reflektieren. In Spielbergs Mittlerem Osten, so warf ihm mit Recht der „New York Times“-Kolumnist David Brooks vor, gibt es weder Hamas noch islamischen Jihad. Da sind keine leidenschaftlichen Antisemiten, keine Leugner des Holocaust (wie der gegenwärtige iranische Präsident) und keine Radikalisten, die den Staat Israel auslöschen möchten. „Dem Frieden eine Chance geben“, hat Spielberg als Losung seines Films bezeichnet. Der aber bleibt bei einer politischen Situation stehen, die längst durch ein lawinenartiges Anwachsen des islamistischen Fanatismus in einem Maße verändert worden ist, das die Appelle zur Gewaltlosigkeit, wie sie von Spielberg artikuliert werden, als wenig realistisch erscheinen lässt.
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