Ein französisches Ehepaar reist auf der Suche nach einem Kind, das es adoptieren will, durch Kambodscha und wird bei seiner Odyssee nicht nur mit dem Elend der Menschen konfrontiert, sondern auch mit korrupten Zuständen. Neben dem persönlichen Drama spiegelt sich die Tragödie eines Landes, das noch immer unter den Folgen des Bürgerkrieges leidet. Die Eindrücke der Reise konfrontiert das überzeugend agierende Paar auch mit den Untiefen des eigenen Seins.
- Sehenswert ab 16.
Holy Lola
Drama | Frankreich 2004 | 130 Minuten
Regie: Bertrand Tavernier
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Filmdaten
- Originaltitel
- HOLY LOLA
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Little Bear/Les Films Alain Sarde/TF1 Films
- Regie
- Bertrand Tavernier
- Buch
- Tiffany Tavernier · Dominique Sampiero
- Kamera
- Alain Choquart
- Musik
- Henri Texier
- Schnitt
- Sophie Brunet
- Darsteller
- Jacques Gamblin (Pierre) · Isabelle Carré (Géraldine) · Bruno Putzulu (Marco) · Maria Pitarresi (Sandrine) · Philippe Saïd (Bernard)
- Länge
- 130 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
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Heimkino
Diskussion
Zwischen Paris und Phnom-Penh liegen nicht nur zwanzig Flugstunden, sondern auch eine Menge sozialer und mentaler Distanzen, die ein adoptionswilliges französisches Ehepaar an den Rand der Verzweiflung bringen können. Auf den Monsun haben sich der junge Landarzt Pierre und seine Frau Géraldine halbwegs eingestellt, und auch das hektische Treiben unter dem notorisch verhangenen Himmel, das Gewimmel aus Fahrrädern und Menschenmassen, ertragen sie mit stoischer Geduld. Schwer zu sagen, was auf sie verführerischer wirkte: die Möglichkeit, fern von umständlichen Vermittlungswegen die Auswahl selbst treffen zu können oder schlicht die Aussicht, in einem Drittweltland schneller als in Europa ans Ziel zu kommen. Doch ironischerweise setzt die Reise ans Ende der Welt die Lawine bürokratischer Komplikationen erst richtig in Gang – und an Konkurrenz fehlt es in Kambodscha ebenfalls nicht. Bereits bei der Ankunft im Hotel sieht sich das Paar mit aufgebrachten Landsleuten konfrontiert, die seit Wochen vergeblich alle Hebel in Bewegung setzen, um ein Kind zu finden, das weder an Hepatitis noch an Aids erkrankt ist. Beschleunigen lässt sich das Prozedere nur durch den Einsatz einer Agentur, und diese lassen sich ihre Dienste von zahlungskräftigen Amerikanern oder Kanadiern mit bis zu mit 20 000 Dollar entlohnen.
Pierre und Géraldine schrecken vor diesen Kosten zurück und nehmen den Ratschlag der französischen Botschaft an, ihr Glück direkt in den Waisenhäusern zu versuchen. Die tägliche Odyssee durch die überfüllten Heime gleicht bald einem aussichtslosen Unterfangen, denn mangels der Bereitschaft, exorbitante Schmiergelder zu zahlen, erntet das Paar nur Absagen. Die Realität eines Landes im Notstand spricht eine einfache und nüchterne Wahrheit, die verhinderten Eltern tief verunsichert. Als ihnen ein dubioser Kinderhändler unter der Hand ein kleines Mädchen anbietet, weigert sich Pierre unter dem Eindruck des allgegenwärtigen Elends, der übermächtigen Korruption nachzugeben. Géraldine zeigt weniger Skrupel. Sie schließt die kleine Lola sogleich in ihr Herz und riskiert sogar ein Zerwürfnis mit ihrem moralisch rigorosen Gatten, um der Erfüllung ihres Familienglück näher zu kommen.
In diesem Zwischenraum von Hoffnung und persönlicher Schuld spielt Bertrand Taverniers aufwühlendes Drama „Holy Lola“. Die Filmografie des bekennenden Moralisten bietet reichlich Beispiele für eine widerständlerische Grundhaltung und von sozialem Engagement getragene Gesellschaftskritik: von gescheiterter Drogenpolitik („Auf offener Straße“, fd 29 847) über Kollaboration mit deutschen Besatzern („Laissez-passer“, 2002) bis zur sozialen Verelendung in französischen Vorschulen („Es beginnt heute“, fd 33 992) reicht das Spektrum seiner brisanten Themen. Das neueste Werk macht da keine Ausnahme, auch wenn Tavernier diesmal seinen kritischen Blick über die Grenzen der Heimat hinaus auf ein konkretes Entwicklungsland richtet und dabei das Risiko eingeht, westliche Kategorien von Humanität zu verabsolutieren. Trotz aller emotionalen Überwältigung, die offenbar den latenten Pessimismus gegenüber westlichen Caritas-Gesten abmildern soll, tappt der Altmeister nie in die Falle eines allzu rührseligen Tons. Hier und da schimmert sogar leise Komik, gepaart mit gnadenloser Anklage, durch, wenn die nervlich sichtbar lädierten Ehepaare im Hotel ihre Entrüstung über verschwundene Lacoste-Hemden lautstark zum Ausdruck bringen. Fesselnd seziert die Regie das Schillern zwischen Fürsorge, Egoismus und Selbstgerechtigkeit, das die Glückssuchenden aus der Ersten Welt kennzeichnet, die fatalen Auswirkungen eines Kinderwunsches, der über die Notlage anderer hinweg sieht.
Es ist das große Verdienst des Films, das Thema des Adoptionstourismus in allen Facetten zu beleuchten, das Für und Wider abzuwägen, ohne eindeutige Urteile zu fällen. Die Unmittelbarkeit des Gezeigten nährt sich gleichermaßen vom Fiktiven wie vom Dokumentarischen. Es ist, als sähe man keinen Film, sondern ein Stück Leben, und doch viel mehr als das – einen subjektiven Ausschnitt, in dem sich mit bedrückender Wucht die Tragödie eines Landes spiegelt, das immer noch vom Bürgerkrieg gezeichnet ist. Wenn die Handkamera die mehr als überzeugend agierenden Jacques Gamblin und Isabelle Carré in einer schwebenden Bewegung durch verminte Bezirke und überflutete Straßen begleitet, dann erscheinen ihre Sorgen inmitten der von den Schrecken des Genozids gezeichneten Menschen beneidenswert sekundär und doch in ihrer Allgemeingültigkeit schmerzlich zeitlos. Die hoffnungsvolle Reise des Paars in die gemeinsame Zukunft verwandelt sich hier in eine Reise in die Untiefen des eigenen Selbst. Auf ihren Gesichtern wird die unerträgliche Schwere des Seins zum bestürzenden Ereignis.
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