Lauter als Bomben

Tragikomödie | Polen 2001 | 87 Minuten

Regie: Przemyslaw Wojcieszek

Die Vorbereitungen zur Beerdigung seines ungeliebten Vaters und der abschließende Leichenschmaus sind für einen jungen Polen der Anfang einer hoffnungsvollen Zukunft. Zunächst aber ist er der Einzige, der an einen Neuanfang glaubt; seine Geliebte, die ihr Glück in Amerika sieht, muss überzeugt werden, während Freunde und Verwandte weiterhin unbelehrbar an die Verlockungen des "goldenen Westens" glauben. Satirische Tragikomödie, die mit dem Blick auf das postsozialistische Osteuropa einen Neuanfang aus eigener Kraft propagiert und - ohne rückwärtigen Blick - die Bedeutung von Traditionen und kulturellen Wurzeln unterstreicht. Ein auch inszenatorisch interessanter Film, der mehrere Stilrichtungen zu einer sinnstiftenden Einheit verbindet. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
GLOSNIEJ OD BOMB | LOUDER THAN BOMBS
Produktionsland
Polen
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Traffic Films/Agencja/Canal + Polska/Skorpion Art
Regie
Przemyslaw Wojcieszek
Buch
Przemyslaw Wojcieszek
Kamera
Jolanta Dylewska
Musik
Bartek Straburzynski
Schnitt
Krzysztof Osiecki
Darsteller
Rafal Mackowiak (Marcin) · Sylwia Juszczak (Kaska) · Grazyna Krukowa (Teresa) · Magdalena Schejbal (Jagoda) · Andrzej Galla (Marian)
Länge
87 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Tragikomödie

Heimkino

Verleih DVD
projekt b
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Diskussion
Eigentlich hat es Marcin geschafft: Sein ungeliebter Vater hat das Zeitliche gesegnet, er wird Haus und Land erben. Marcin ist in seiner Zukunft angekommen – einer Zukunft allerdings, die niemand so recht mit ihm teilen will. Seine Freundin hat einen Job in Amerika in Aussicht, um dem schäbigen postsozialistischen Polen den Rücken kehren zu können, und auch die übrige Sippschaft träumt vom „goldenen Westen“ und ist eifrig bemüht, alle Brücken zur Heimat abzubrechen. Schwere Zeiten für Marcin, der seinen Vater unter die Erde bringen und zugleich Abschied von seiner Geliebten nehmen muss. Auch in der Beziehung zur Verwandtschaft und zu den Bekannten ist einiges zu regeln, sodass sich der Stress für den jungen Mann häuft, während er den Leichenschmaus vorbereitet und durchführt; es werden ereignisreiche Tage, in denen der reichlich genossene Wodka nicht nur die Zungen lockert. Regisseur Przemyslaw Wojcieszek begegnet der Entwicklung in seiner Heimat mit unverhohlener Skepsis. Sein naiver Held, der an seine eigene Zukunft, aber ebenso an die Zukunft seines Heimatlandes glaubt, sieht sich von einer Schar Besserwisser umgeben, die ihre Hoffnungen ausschließlich auf den Westen projizieren, im polnischen Katholizismus und im ungehemmten Alkoholkonsum zwar noch einen gewissen Rückhalt finden, jedoch ansonsten längst James Dean, seine Posen und Attribute zu kulturtragenden Werten stilisiert haben. Auch die englische Gitarren-Popformation „The Smiths“ (einer ihrer Hits lieferte den Filmtitel) gehört zu diesen Idolen. Gewiss fließt hier eine gehörige Portion Ironie ein, denn „The Smiths“, eine Gruppe aus dem englischen Manchester, kommt immerhin aus einer Stadt, die als Wiege des industriellen Kapitalismus gilt, in der Hochblüte des Sozialismus also als Negativbeispiel gelten musste; in der Phase des Postsozialismus, in der sich Polen dem Westen angleicht, offenbaren sich jedoch schon längst die Tücken und Schwächen dieses Systems. Es ist ein Film zwischen allen Stühlen und Welten, im Zentrum ein junger Held, der seinen Weg gehen will und ein Leben führen wird, das „lauter als Bomben“ ist; ein Weg, der Beharrlichkeit verlangt und Vertrauen auf die eigene Kraft, und der um so mehr Mut erfordert, als alle ihn abzulehnen scheinen. Am Ende aber siegen der Mut und die Kraft der Liebe; alle Zweifler und Verzagten haben sich während der Leichenfeier blutige Nasen geholt und müssen ihre jeweiligen Beziehungen und Pläne neu überdenken, wobei es für viele kein Zurück zu geben scheint. Wojcieszek erzählt dies in einem zunächst etwas sonderbar erscheinenden Stilmix, der im Laufe der Handlung jedoch eine enorme Abgeklärtheit offenbart. Eine düstere Atmosphäre, dunkle Bilder, verschobene Perspektiven, schonungslose Nahaufnahmen ratloser Gesichter – all das steht in der Tradition des Kinos aus Osteuropa, macht dann aber flirrend-hellen Bildern Platz, die an Begräbnisprozessionen in italienischen Polit-Thrillern erinnern. In der Tat verdichtet sich der Film dann im letzten Drittel zu einer Art Mafia-Paraphrase, die im Leichenschmaus wie ein umgekehrtes Zitat zu Don Corleones „Paten“-Fest wirkt. Sogar der Liebesakt in der Küche, während alle anderen feiern, findet seine Würdigung, nur stehen auch hier die Vorzeichen ganz anders. Während sich für die Liebenden eine Hoffnung am Horizont abzeichnet und Amerika in weite Ferne gerückt ist, irren die großen und kleinen „Paten“ weiter durchs Dunkel und wissen noch nicht, was ihre Stunde geschlagen hat. Der Westen glänzt nicht mehr, er verbreitet nur noch seinen trügerischen Schein.
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