Der Vorspann eröffnet dem Zuschauer einen nächtlichen Panoramablick auf die glitzernde Skyline einer amerikanischen Metropole. Doch anders als sonst vermittelt der Establishing Shot weniger eine geografische Orientierung als vielmehr eine grundlegende Irritation. Wie aus einer apokalyptischen Vision ragt die amputierte Silhouette Manhattans in den dunklen Himmel. Unfassbar wie ein Phantom flimmert eine flüchtige Gedenksäule aus blauem Licht an der Stelle des einstigen Wahrzeichens New Yorks. Unheilvolle orchestrale Musik verstärkt die gespenstische Atmosphäre, die von der surrealen Ambivalenz zwischen Vertrautheit und Fremdheit dieses Anblicks geweckt wird. Ein kraftvolleres Symbol hätte Regisseur Spike Lee für das Grundthema seines Films kaum finden können. Im Bild der Stadt, die ihre Vollständigkeit zurückgewinnen will, verbinden sich die Erfahrungen von Vergänglichkeit und Utopie zu einer melancholischen Hoffnung. Lees Film entfaltet sich in einem getroffenen, verstümmelten Zentrum, dessen fragiler Zustand die Befindlichkeit seiner Charaktere sinnbildlich vorwegnimmt.
Dem ehemaligen Drogendealer Monty Brogan bleiben noch 24 Stunden in Freiheit, ehe er eine siebenjährige Haftstrafe antreten muss. Bevor er hinter Gittern verschwindet, möchte er sich von den Menschen verabschieden, die ihm wichtig sind: von seiner Freundin Naturelle, die ihn möglicherweise an die Polizei verraten hat, von seinem Vater, der sich Vorwürfe macht, weil er als Alkoholiker seinen Jungen vernachlässigt hatte, und von seinen Freunden aus Kindheitstagen, dem zynischen Wall-Street-Broker Francis und dem verklemmten Lehrer Jacob, der drauf und dran ist, sich mit einer Schülerin einzulassen. Die Begegnung der alten Freunde wird zu einer schmerzhaften Lebensinventur. Von den Wünschen und Träumen ihrer Kindheit ist kaum etwas übrig geblieben; selbst ihre Freundschaft ist mit den Jahren unter dem Ballast des Alltags verschüttet worden. Als sich Jacob und Francis seit langer Zeit das erste Mal wieder treffen, blicken sie aus dem Fenster von Francis’ Appartment hinab auf die Aufräumarbeiten am Ground Zero. Die gemeinsam erschaute Trümmerlandschaft eröffnet zugleich einen Einblick in ihr Seelenleben voll stiller Frustration und Melancholie. Nach und nach legen sie ihre Verletzungen und damit ihre fast schon verloren geglaubte Freundschaft frei. Das verwundete New York spiegelt die Innenwelt der Protagonisten. Plastisch in Szene gesetzt hat Lee das an einer Stelle, in der er Monty auf der Toilette eines irischen Pubs in einen Spiegel schauen lässt, auf dem „Fuck you“ steht. Monty nutzt diesen Blick zur Abrechnung mit nahezu allen sozialen Gruppen und Ethnien New Yorks. Doch am Ende seiner wortgewaltigen Tirade nimmt er alles zurück und formuliert, was er eigentlich gemeint hatte: „Fuck you, Monty Brogan!“ Genau wie New York steht Monty an einem Wendepunkt, vor einer ungewissen Zukunft. Das New York nach dem 11. September 2001 ist mehr als nur ein eigenwilliger Handlungsort; chiffreartig definiert es die Grundstimmung des Films.
Dennoch ist „25 Stunden“ erst in zweiter Linie ein Film über New York. Benioffs Roman wurde vor dem 11. September geschrieben; auch das von ihm selbst verfasste Drehbuch war zum Zeitpunkt der Anschläge schon fertig und wurde erst nachträglich um jene symbolkräftige zeitgeschichtliche Komponente erweitert. Mehr als eine Stadtgeschichte ist „25 Stunden“ ein Film über Freundschaft, über Hoffnungen und Ziele sowie die gewaltige Kraft der Zeit, die unerbittlich über alles hinwegrollt, jede Entscheidung verewigt und gleichzeitig alles Leben der Vergänglichkeit aussetzt. Jeder der drei Freunde ist von einer anderen Strömung erfasst worden, die sie wie von selbst weiter und weiter getrieben hat, als bestimmten nur Sachzwänge das Leben. Tatsächlich aber, und das macht Lees Film schon in der Eingangssequenz deutlich, kommt es auf die Entscheidungen an, die man trifft. Noch zu seiner Zeit als Drogendealer findet Monty einen verletzten Hund am Straßenrand. Obwohl sein Kumpel ihn zur Weiterfahrt drängt, und auch der Hund ihn anknurrt, lässt er das Tier nicht liegen, sondern nimmt es zu sich. Später wird Monty sagen, dass die Rettung des Hundes das Einzige war, was er in jener Zeit richtig gemacht habe. Eben darum geht es in „25 Stunden“ – genau wie in „Do the right thing“
(fd 27 710), der 1989 schon einmal einen Tag in New York City beleuchtet hatte: Tue das Richtige, triff die richtigen Entscheidungen! Seither aber hat Lee seine Perspektive erweitert. Nicht mehr nur Brooklyn, sondern alle fünf Stadtteile New Yorks sind Schauplätze seines Films – und sein Held ist ein Weißer. Aber die Utopie von einer besseren Welt, einer glücklicheren Zukunft ist geblieben. Der gerettete Hund verkörpert als Montys ständiger Begleiter ein Zeichen der Hoffnung. Lees Film ist voller solcher Symbole. Bewusst verlässt er immer wieder die Ebene unmittelbaren Erzählens und spielt mit subjektivierenden und metaphorischen Perspektiven. Das Gefühl, dass hier jemand eine Botschaft zu vermitteln hat, ist allgegenwärtig und drängt sich doch nicht auf. Denn die Geschichte, die der Film erzählt, ist fesselnd genug. Die Charaktere sind differenziert, glaubwürdig gezeichnet und herausragend besetzt. Allen drei Hauptdarstellern nimmt man ihre komplexen Rollen und die wütenden Kämpfe ab, die in ihnen toben. Sie alle ringen um ein altes, neues Leben. Die 25. Stunde symbolisiert in diesem Ringen den Ausbruch aus der Zeit als ein unerreichbares und doch erstrebenswertes Ideal: die Wiederentdeckung und Verwirklichung des verlorenen Selbst ebenso wie die des verlorenen amerikanischen Traumes.