Sieben ehemalige Henker aus sieben Ländern werden nach ihrem Leben, ihrer Tätigkeit und deren seelischen Folgen befragt. Dabei schlägt der Dokumentarfilm einen Bogen von einem Amerikaner, der nach 1945 daran beteiligt war, Nazi-Größen hinzurichten, über einen Franzosen, der sein Handwerk im besetzten Algerien ausübte, bis zu einem Rumänen, der 1989 Nicolae Ceaucescu erschoss. Erregend ist die Begegnung mit einem Deutschen, der als kommunistischer "Schutzhäftling" gezwungen wurde, sich im KZ Sachsenhausen als Henker zu betätigen. Der Film regt dazu an, die Dialektik von Pflichterfüllung und persönlicher Anteilnahme, Auftrag und Gewissen zu debattieren. Ein schneller Rhythmus sorgt für ein Wechselbad der Gefühle, wobei Ruhepunkte und atmosphärisches Innehalten mitunter fehlen.
- Sehenswert ab 16.
Henker - Der Tod hat ein Gesicht
Dokumentarfilm | Deutschland 2001 | 84 Minuten
Regie: Jens Becker
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2001
- Produktionsfirma
- Looks Filmproduktion
- Regie
- Jens Becker
- Buch
- Jens Becker · Gunnar Dedio
- Kamera
- Aicke Fricke · Axel Schneppat
- Musik
- Andreas Hoge
- Schnitt
- Roland Possehl
- Länge
- 84 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb
Diskussion
Am Beginn steht ein Kommentar aus dem Off: „Richter fällen ein Urteil. Doch der Tod hat ein Gesicht. Männer mit Freunden, mit Familie, mit Vorgesetzten.“ Dann werden, parallel zu Stichen aus der Zeit der Französischen Revolution, sieben Männer aus sieben Ländern kurz vorgestellt: Scharfrichter des 20. Jahrhunderts. Von ihrem Leben, ihren Gefühlen erzählt der Film – und blättert so ein wenig bekanntes Kapitel zum Thema Schuld und Vergebung auf.
Jens Becker und und sein Co-Autor Gunnar Dedio beleuchten dabei unterschiedliche politische Umstände und seelische Folgen. Der Franzose Fernand Meyssonnier, der als Kind eigentlich Balletttänzer werden wollte und dann doch in die beruflichen Fußstapfen seines Vaters trat, agierte als Henker im besetzten Algerien; dass er seltener Gewaltverbrecher als politische Gegner auf den Richtblock führte, belastet ihn bis heute nicht. Im Gegenteil: In seinem Haus in der Provence hat er sich ein kleines Henkermuseum eingerichtet und erklärt vor der Kamera mit sichtlichem Stolz, wie eine Guillotine funktioniert.
Nicht minder von seiner Mission überzeugt zeigt sich der Amerikaner Joseph Malta, der einige in Nürnberg verurteilte Nazi-Funktionäre vom Leben zum Tod beförderte. Dass er sie „nur“ hängen durfte, findet er falsch; wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er qualvollere Hinrichtungsarten bevorzugt. Einem solchen Vollstrecker aus politischer und moralischer Überzeugung stellen Becker und Dedio einen „Zufallshenker“ gegenüber: den rumänischen Offizier Ionel Boeru, der im Dezember 1989 dazu auserkoren wurde, Nicolae Ceaucescu und dessen Frau zu erschießen. Am erregendsten aber ist das Schicksal des Deutschen Paul Sakowski, der als junger Kommunist nach Sachsenhausen eingeliefert und dort von der SS gezwungen wurde, Erschießungen vorzunehmen. Nach dem Krieg setzten ihn die Russen fest und brachten ihn nach Sibirien. In einem frühen DEFA-Dokumentarfilm („Todeslager Sachsenhausen“, 1946) wurde er vor der Kamera befragt; eine Szene, die Konrad Wolf 1967 in seinen Film „Ich war neunzehn“ (fd 33 226) übernahm und die auch bei Becker und Dedio zitiert wird. 1955 kam Sakowski in ein Gefängnis in der DDR; erst 1970 wurde er entlassen. Die Staatssicherheit besorgte ihm eine neue Identität, heute lebt er schwer krank in einem Altersheim. Besonders in seinem Fall reißt der Film die spannende Frage an, wie sich Henker, Täter und Opfer in einer einzigen Person „vereinen“. Jedes Schubkastendenken ist fehl am Platz, jedes Negieren der konkreten politischen Umstände führt auf Abwege. Eine einfache moralische Abqualifizierung, noch dazu aus der Sicht der „Nachgeborenen“, wird einem solchen Leben niemals gerecht.
Becker und Dedio montieren die Gespräche mit den Henkern nicht getrennt und hintereinander, sondern verflechten sie ineinander. Dabei wurde das Material nach Themenkreisen geordnet, ohne dies durch Inserts oder ähnliche äußere Mittel zu betonen; u.a. ist die Rede von Kindheit, Jugend und Familie, vom Ablauf der ersten Hinrichtung und den damit verbundenen Gefühlen, von Details der Hinrichtungen, den Stunden danach (ein Ungar erinnert sich: „Das Erste war immer die Kneipe“) – und von der tatsächlichen oder scheinbaren Normalität, in der die Männer heute leben. Was wussten die Familien von den Berufen der Väter? Brachte die Arbeit Privilegien mit sich? Gab es Blickkontakte zwischen Henker und Todeskandidaten? Welche Dialektik besteht zwischen Pflichterfüllung und persönlicher Anteilnahme? Wann und unter welchen Umständen regte sich das eigene Gewissen? Die Antworten verzahnen, ergänzen oder reiben sich; der Zuschauer wird in ein Wechselbad aus Erstaunen und Erschrecken, Mitgefühl und Distanz versetzt. Die schnelle Montage birgt allerdings auch Gefahren: Gern hätte man den Männern während der Interviews länger ins Gesicht, in die Augen, auf die Hände gesehen, ihr Schweigen beobachtet. Nicht genügend zur Geltung kommt auch das Prinzip, mit einigen von ihnen an die Orte des Geschehens zurückzukehren. Atmosphärische Stimmungen stellen sich aufgrund der dramaturgischen Atemlosigkeit nur bedingt ein. Schließlich sind einige inszenierte Szenen überflüssig: Das Interviewmaterial und die wenigen eingeflochtenen historischen Originalaufnahmen wirken so stark, dass das szenische Nachempfinden etwa von Albträumen eher an mittelmäßigen Fernsehjournalismus erinnert als an einen künstlerisch verdichteten Dokumentarfilm.
Am Ende ist auch von Gott die Rede, an den einige der Männer, zumindest nach außen hin, nicht glauben können und wollen: „Es sind die Menschen, die ihn gemacht haben, weil sie Angst vor dem Sterben haben“, sagt der Franzose. Im Abspann wird mitgeteilt, dass im Jahr 2000 insgesamt 1457 Betroffene in 28 Ländern hingerichtet wurden. Spätestens hier mag man es bedauern, dass sich unter den „Fällen“ des Films kein einziger aktueller befindet, Becker und Dedio also nicht unmittelbarer in die Debatte zur Todesstrafe eingreifen.
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