Tamaro - Steine und Engel

Dokumentarfilm | Schweiz 1998 | 85 Minuten

Regie: Villi Hermann

Dokumentarfilm über einen Kirchenbau im Tessin, der die künstlerische Herausforderung des Architekten Mario Botta sowie des Malers Enzo Cucchi zum Anlass nimmt, gelebte Spiritualität und Religiosität vorzustellen. Dabei wird dieser Prozess nicht als Erweckung erfahrbar, sondern als etwas, das erarbeitet werden will und imstande ist, die alltägliche (schöpferische) Arbeit in andere Sphären zu transzendieren. Ein eindrucksvoller Film über Handwerk und Kunst, der über das Wesen der Dinge hinausweist und den Menschen in den Dienst an der Schöpfung stellt. (Kinotipp der katholischen Filmkritik; O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
TAMARO - PIETRE E ANGELI. MARIO BOTTA - ENZO CUCCHI
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Imagofilm
Regie
Villi Hermann
Buch
Villi Hermann
Kamera
Hugues Ryffel · Hans Stürm
Musik
Paul Giger
Schnitt
Villi Hermann
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Tamaro ist ein Berg in den Tessiner Alpen - mit 1600 Metern Höhe gewiss kein Riese, 20 Kilometer von Lugano entfernt, ein Ausflugsziel mit Liftstation. Die geografischen Daten sprechen nicht unbedingt für ein touristisches Highlight. Doch irgendwann kam ein Kaufmann auf die Idee, eine Kirche auf den Berggipfel bauen zu lassen und verpflichtete dazu den Tessiner Star-Architekten Mario Botta sowie den italienischen Maler Enzo Cucchi aus Ancona. Nicht nur als Sinnbild begegnen sich hier der Berg und das Meer, auch die gemeinsame Arbeit wird zu einem Dokument beider Naturelle. Mitte der 90er-Jahre machten sich beide Künstler an die Arbeit; Villi Hermann, ein spielfilmerfahrener Dokumentarfilmer, beobachtet die Entstehung der Kirche „St. Maria von den Engeln“. Sein Film lässt nicht nur den architektonischen Prozess nachvollziehen, der dem rustikalen Bau seine Form verleiht, oder die bildhafte Ausschmückung der Kirche verstehen, die das Gebäude in eine andere Dimension transzendieren soll, sondern macht auch die Annäherung zweier Künstler erfahrbar, die ihre Arbeiten in den Sinn einer höheren Sache stellen: sie wollen ein Gesamtkunstwerk schaffen, das zwar durch persönliche Handschriften geprägt, aber frei von persönlichen Eitelkeiten ist. Verklammert wird dieser Prozess durch ein kleines Mädchen, das als Erzählerin fungiert und durch seinen Text das Geschehen als eine Art Legende darstellt - womit der Film schon am Anfang sein Zentrum benennt.

Auf den ersten Blick steht zwar die anstrengende Arbeit im Vordergrund, doch schon bald wird deutlich, dass der in chronologische Kapitel gegliederte Film das Augenmerk auf das Wesen der Arbeit und der Kunst lenken will: auf die reine Idee, auf den nicht materiellen Wert einer Sache. So verdichtet sich „Tamaro“ zu einer Studie über Spiritualität, die nicht herbeigeredet oder plakativ ins Bild gerückt werden muss, sondern in der Zusammenarbeit zweier recht unterschiedlicher Menschen spürbar wird. Dabei wird eine geistige Solidarität erfahrbar, die auch für Laien die künstlerischen Prozesse nachvollziehbar macht. Etwa in der Ausmalung der Kirche mit schwarzem Löschkalk, durch die der Raum negiert wird und die majestätische Natur zu ihrer Geltung kommen soll; oder durch die Gedanken über das architektonische Problem der Stille, das den sakralen Raum von den permanenten Geräuschen des Berggipfels abgrenzen soll. Diesem wuchtigen Entwurf setzt der Maler Cucchi seine lichten Bilder entgegen, die als Fresken oder Fenster die Strenge aufheben und den ganzen Komplex in einen unwirklichen Schwebezustand transformieren. Unter Villi Hermanns aufmerksamen Blick verdichtet sich all dies zu einer intensiven Beobachtung, die Kunst und Handwerk thematisiert, in die Mitte aber den Menschen stellt, der nach Höherem strebt. Hier wird ein emanzipiertes Religionsverständnis deutlich, dessen Wertigkeit über die Grenzen der Amtskirche hinaus Gültigkeit beansprucht und das persönliche Gebet in den Mittelpunkt rückt. Diese Frömmigkeit kann auch in der Arbeit ihren Ausdruck finden, kann zu Stein oder Bild gerinnen, muss nicht formuliert, sondern gelebt werden. Enzo Cucchi sagt kettenrauchend: „Das Gebet ist im dritten Jahrtausend wichtig wie noch nie.“ Und es wird auch dann noch wichtig sein, wenn es den Film längst nicht mehr geben wird.

Hermann verdichtet diese Eindrücke zu einem grandiosen Dokumentarfilm, der nicht nur das Nebeneinander von Kunst und Handwerk auslotet, sondern zugleich auch das Streben nach einer Harmonie thematisiert, die von Menschen bestenfalls erdacht und erhofft werden kann, die ihre Erfüllung aber ganz woanders findet: jenseits der Berggipfel, jenseits der Gebäude und Computergrafiken, jenseits auch aller Lippenbekenntnisse - im Herzen der Menschen, die sich einen klaren Verstand bewahrt haben und eine schwer zu definierende Idee von etwas „Größerem“ verfolgen. „Tamaro“ ist ein tief religiöser Film, dessen große Kunst sich darin manifestiert, dass er nicht mit seinem Thema hausieren geht, sondern es als allgemein gültigen Menschheitswunsch zum Ausdruck bringt.
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