Ein junger Mann verlässt das Waisenhaus, in dem er aufwuchs und dessen unkonventioneller Leiter, ein Frauenarzt, der seine ureigene philosophische Sicht der Dinge in die Tat umsetzt, ihn als Nachfolger auserkoren hat. Zunächst will er sich dieser Bestimmung entziehen, doch auf einer Apfelfarm in Maine holt ihn sein Schicksal ein. Verfilmung des Romans von John Irving, die die Vorlage zugunsten einer atmosphärisch dichten, stimmungsvollen Initiationsgeschichte entschlackt. Zwar wird dabei der in der Vorlage weit subtiler ausdifferenzierte Diskurs über die Determinanten des menschlichen Daseins vereinfacht (vor allem in der gelegentlich etwas sentimentalen Verklärung der Abtreibungsproblematik), dennoch wird pointiert die Ambivalenz von Gut und Böse als zwei Seiten einer Medaille versinnbildlicht. Hervorragend inszeniert und gespielt, brillant fotografiert.
- Sehenswert ab 16.
Gottes Werk & Teufels Beitrag
Literaturverfilmung | USA 1999 | 125 Minuten
Regie: Lasse Hallström
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Filmdaten
- Originaltitel
- THE CIDER HOUSE RULES
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 1999
- Produktionsfirma
- Miramax
- Regie
- Lasse Hallström
- Buch
- John Irving
- Kamera
- Oliver Stapleton
- Musik
- Rachel Portman
- Schnitt
- Lisa Zeno Churgin
- Darsteller
- Tobey Maguire (Homer Wells) · Michael Caine (Dr. Wilbur Larch) · Charlize Theron (Candy Kendall) · Erykah Badu (Rose Rose) · Delroy Lindo (Mr. Rose)
- Länge
- 125 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Literaturverfilmung
- Externe Links
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Heimkino
Diskussion
„Gute Nacht, ihr Prinzen von Maine, ihr Könige von Neuengland!“ Mit diesen Worten entlässt Dr. Wilbur Larch seine Schutzbefohlenen in den Schlaf. Vorher gibt es die „Gute-Nacht-Geschichte“, an besonderen Tagen sogar einen Film: „King Kong“, dessen Kopie immer an derselben Stelle reißt. Dr. Larch unterhält das Waisenhaus von St. Cloud’s, liebt „seine“ Kinder abgöttisch und ist froh über jede Vermittlung in eine intakte Familie. Doch nicht jeder lässt sich vermitteln: Homer Wells ist unter den Fittichen des Arztes zum „Berufs-Waisen“ geworden, ein junger Mann, der nicht nur im Waisenhaus assistiert. Denn Dr. Larch kümmert sich nicht nur um geborene Kinder, sondern sieht seine Berufung auch darin, Leid zu verhindern, indem er Geburten verhindert. Die dunkle Seite des Menschenfreundes, der sich ihr durch Ätherräusche entzieht, an die auch Homer herangeführt wird. Deshalb nutzt der junge Mann die Gunst der Stunde, als ein junges Paar die Klinik aufsucht und nach vollzogener Abtreibung ins normale Leben zurück will. Sehr zum Leidwesen der kleineren Kinder, die Homer zwar vergöttern, in seiner weitaus verspäteten Adoption jedoch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit sehen; denn große Kinder will doch eigentlich niemand mehr haben.Lasse Hallström lässt sich Zeit, diesen Grundkonflikt zu etablieren, und er ist damit gut beraten. Ihm stand mit John Irving ein Drehbuchautor zur Seite, der den eigenen Roman für Filmverhältnisse sinnvoll entschlackte, Nebenhandlungen kappte und sich auf die grundlegenden Spannungsverhältnisse der Vorlage konzentrierte. Irving hat seinen Roman vor 15 Jahren vor dem Hintergrund erbitterter Anti-Abtreibungsdebatten und -aktionen geschrieben, die in Amerika auch heute noch Wellen schlagen, und behandelt die Gewissensnöte von Menschen, die das Gute wollen, das Böse jedoch manchmal akzeptieren müssen - Denken und Handeln sind eben nicht immer in Einklang zu bringen. Doch das weiß Homer noch nicht, als er auf seine persönliche Odyssee aufbricht. Eine Reise, die ihn nicht sehr weit führen wird. Er strandet, nicht zuletzt wegen Candy, seiner letzten „Abtreibungsassistenz“, auf einer Apfelfarm in Maine und hat mit der jungen Frau, deren Verlobter in den Zweiten Weltkrieg abberufen wird, eine leidenschaftliche Affäre, von der er sich die Zukunft erhofft. Zur gleichen Zeit lernt er die Familie Rose kennen, schwarze Erntehelfer, die zur Saison anreisen. Während der ganzen Zeit bleibt Homer zu Dr. Larch auf bewusste Distanz. Das gute Verhältnis aller untereinander wird getrübt, als bekannt wird, dass Mr. Rose die eigene Tochter geschwängert hat und etwa zeitgleich Candys Verlobter schwer verletzt aus dem Krieg zurück kehrt. Homer nimmt sein Schicksal an: Er leistet (Liebes-)Verzicht und führt eine Abtreibung durch. Als Dr. Larch im Rausch stirbt, steht für ihn außer Frage, wo sein Platz im Leben ist: bei den Königen und Prinzen. Er kehrt nach St. Cloud’s zurück, um sich Gottes Werk und Teufels Beitrag zu stellen.Bereits zwei von John Irvings Romanen, die sich stets um Initationsgeschichten drehen, auch wenn die Gewichtung verschoben ist, sind verfilmt worden. Doch obwohl „Garp - Und wie er die Welt sah“ (fd 26 316) und „Hotel New Hampshire“ (fd 24 972) von den ausgewiesenen Routiniers George Roy Hill und Tony Richardson inszeniert wurden, fanden sie weder ein geneigtes Publikum noch die Gnade der Kritik. Das mag an der Schwierigkeit der filmischen Umsetzung liegen, die die eigentlich düsteren und bizarren Stoffe, denen es nicht an Ahnungen der Hoffnung mangelt, nur recht schwer in zwei Stunden darlegen kann. Ausgerechnet mit „Gottes Werk und Teufels Beitrag“, Irvings düsterstem Roman, scheint dies nun gelungen. Das hat neben der kongenialen Regieleistung Hallströms vor allem auch mit der konzentrierten Form der Dramatisierung zu tun, die focusiert, während sich die beiden früheren Verfilmungen an den barocken Ausformungen des Romanciers Irving gütlich taten. Nun wird eine einfache, schlichte Geschichte erzählt; die Geschichte eines jungen Mannes, der seinen Platz im Leben sucht und Umwege macht, um zu seiner Bestimmung zu finden. Dabei wägt der Film persönliche Entscheidung gegen ein schicksalhaftes Los ab und stellt die Frage, wie lange man sich vor dem Leben verstecken kann, wann man gefunden wird, ob und wann man klare Positionen bezieht. Dargeboten wird dies als blendend inszenierte Tragikomödie, getragen von hervorragenden Hauptdarstellern. Michael Caine spielt den Menschenfreund mit überzeugend Leid getrübter Mine, da das Schicksal ihn mit Entscheidungen konfrontiert, die nicht immer nur menschenfreundlich sein können; der stille Jungstar Tobey Maguire interpretiert Homer mit nachvollziehbarer Unschuld, in dessen Gesichtszüge sich das Leid sicherlich einschreiben und der seine persönlichen (Lebens-)Regeln lernen wird. Diese müssen auf den ersten Blick nicht immer einleuchtend sein, sondern können so absurd erscheinen wie die des „Apfelhauses“, auf dessen Dach man weder schlafen noch essen darf. Mag sein, dass sich der eigentliche Sinn eines jeden Regelwerks erst später erschließt.Auch kameratechnich bietet der Film Großes. Es scheint, als wären nur die Möglichkeiten jener Zeit genutzt worden, in denen der Film angesiedelt ist - die 30er- und 40er-Jahre; dennoch wirkt der Film keineswegs altmodisch, sondern ausgesprochen elegant, und überzeugt durch seinen Verzicht auf jeglichen Firlelanz. Hinzu kommen die Farben, die die Apfelfarm im Glanz des Indianer-Sommers erstrahlen lassen und in Korrespondenz zu den Gefühlen ihrer Protagonisten stehen. Wobei die blau-grauen Farben des Waisenhauses die Liebe nicht übertünchen können, mit der Dr. Larch seinen Kindern begegnet. Sie stehen für sein persönliches Dilemma.
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