- | Niederlande 1998 | 96 Minuten

Regie: Alex van Warmerdam

Unter dem Vorwand, ihrem tumben und legasthenischen Mann das Lesen beibringen zu lassen, engagiert eine Frau eine junge Lehrerin. In Wahrheit aber spekuliert sie auf einen Seitensprung ihres Mannes - und auf den Nachwuchs, den zu zeugen sie gemeinsam nicht in der Lage sind. Vor dem Hintergrund einer extrem stilisierten niederländischen Provinz entwickelt Alex van Warmerdam eine Farce, die vor Absurditäten strotzt und in einem infamen und grotesken Machtkampf zwischen den beiden Frauen um das Kind gipfelt. Mit viel schwarzem, lakonischem Humor inszeniert und guten darstellerischen Leistungen, fehlen dem Film am Ende allerdings überzeugende Motive. (O.m.d.U.)
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Filmdaten

Originaltitel
KLEINE TEUN
Produktionsland
Niederlande
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Graniet Film
Regie
Alex van Warmerdam
Buch
Alex van Warmerdam
Kamera
Marc Felperlaan
Musik
Alex van Warmerdam
Schnitt
Stefan Kamp
Darsteller
Annet Malherbe (Keet) · Alex van Warmerdam (Brand) · Ariane Schluter (Lena) · Maike Mejer (Mutter) · Hanneke Riemer (ihr Freund)
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Externe Links
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Diskussion
Mit Vergleichen ist es so eine Sache: Meistens treffen sie in ebenso vielen Punkten zu, wie sie ihr Objekt gleichzeitig verfehlen. Im Falle eines Regisseurs wie Alex van Warmerdam („Noorderlingen“, fd 31 717, „Das geheimnisvolle Kleid“, fd 33 321), dessen Filme schon nach den ersten zwei Minuten als typisch Warmerdamsche Kreationen erkennbar sind, ist das nicht anders. Um dieser Ausnahmeerscheinung unter Europas Regisseuren, einem Minimalisten par excellence, gerecht zu werden, muss man in größtmöglichen Gegensätzen denken: zum Beispiel an den lakonischen Humor und die skurrilen Sets eines Jacques Tati, vereint mit der abgrundtiefen, bitterbösen Gesellschaftskritik eines Luis Buñuel (in den Filmen der 70er Jahre). Am überraschendsten ist dabei die Tatsache, dass der Niederländer nicht nur in Kritikerkreisen hohes Ansehen genießt („Noorderlingen“ wurde u.a. mit dem Europäischen Filmpreis für den „Besten jungen Film“ ausgezeichnet), sondern dass seine Filme auch beim Publikum gut ankommen. Zumindest beim einheimischen, das den kuriosen Humor und die aberwitzigen Szenerien, die Warmerdams Kopf entspringen, offensichtlich zu goutieren und einzuschätzen weiß. Im vergangenen Jahr war „Little Tony“ immerhin die vierterfolgreichste niederländische Produktion, was nur zum Teil daran lag, dass Warner als Verleiher seine Marketing-Ressourcen einbrachte, denn schon „Das geheimnisvolle Kleid“, Warmerdams vorletzter Film, lief ohne Major-Unterstützung sehr respektabel in den niederländischen Kinos.

Im neuen Film versetzt Warmerdam einmal mehr in ein weltabgewandtes Niemandsland, das in seiner grenzenlosen Flachheit dem geistigen Niveau seiner Protagonisten zu entsprechen scheint. Nur ein kleines Motorflugzeug stört die falsche Idylle, ein anderes Mal der unvermeidliche Tross eines Radrennens durch die Provinz. Ansonsten wirkt die Szenerie eher wie ein hyperrealistisches und damit schon wieder surreales Märchenland, in dem allerdings fast ausschließlich die niedersten Instinkte herrschen. Auf einem Grundstück, das wie ein Spielzeug-Bauernhof anmutet, dem die lebensnotwendigen Tiere und Gerätschaften abhanden gekommen sind, lebt der Bauer Brand mit seiner Frau Keet, gespielt von Warmerdam und seiner Lebensgefährtin Annet Malherbe. Während er offensichtlich kaum etwas zum Lebensunterhalt beiträgt (er pflegt einen im Vergleich zur Weite der Landschaft winzigen Garten und repariert riesige Gartenzwerge), verabschiedet sie sich morgens, um in der Stadt Geld zu verdienen. Am Abend wird es dann richtig „gemütlich“: Gemeinsam sitzt man leidenschaftslos vor dem Fernseher, und Keet liest ihrem legasthenischen Mann die Untertitel vor. Blieben die beiden unter sich, könnte man den Film nach 20 Minuten beenden. Zwar versteht sich Warmerdam wunderbar auf die Inszenierung skurriler Details auf engstem Raum, doch sind seine Figuren von so banalem Gemüt, dass sich kaum ein Konfliktpotential ergeben könnte. Allerdings: Keet wünscht sich unbedingt ein Kind. Als Lena die Bühne von Warmerdams Mikrokosmos betritt, kommt Bewegung in die Verhältnisse. Keet selbst hat die junge Frau engagiert, damit sie ihrem Ehemann endlich das Lesen beibringe. Das zumindest ist die offizielle Version; in Wahrheit verfolgt Keet jedoch einen aberwitzigen Plan. Zu vertraut ist sie mit den Schwächen ihres Mannes, der seine Sexualität mit ihr nicht auszuleben vermag, um nicht eins und eins zusammenrechnen zu können: Brand und Lena kommen sich näher. Zwar erscheint Keet zunächst immer wieder überraschend auf der Bildfläche, wenn ihr tumber Gemahl sich an die junge Maid heranmachen möchte. Doch als wirklich Betrogene kann man sie kaum betrachten. Um den Seitensprung zu forcieren, behauptet sie Lena gegenüber, dass sie und Brand kein Ehepaar, sondern Geschwister seien. Keets Plan geht auf, und neun Monate später ist der ersehnte Nachwuchs da.

Jetzt ist auch Warmerdam da angekommen, wo er hin wollte: Bei einem infamen Machtkampf zwischen zwei Frauen, die auf unterschiedliche Weise ihre Mutterinstinkte auszuleben trachten, während das mickrige Männchen Brand immer mehr zur Randfigur wird. Wer weiß, zu welch grausamer Schwarzmalerei Warmerdam fähig ist, ahnt, dass diese Konstellation nicht ohne tödliche Konsequenzen bleiben wird. Regisseur, Drehbuchautor, Komponist, Maler und Schauspieler Warmerdam muss sich allerdings fragen lassen, was die mit solcher Arglist eingefädelte Farce eigentlich soll. Denn am Ende weiß man nicht so recht, ob man das Ganze unter der Rubrik „makabre Unterhaltung“ abhaken soll, oder ob hier ein verkappter Menschenfreund die Abgründe seiner Artgenossen mit hintergründigem Ernst bloßstellen will. Wie man diese Frage auch beantwortet: Bei allem konsequenten Aberwitz scheinen Warmerdams Film am Schluss überzeugende Motive zu fehlen.
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