Dokumentarische Annäherung an das Jazz-Ensemble Vienna Art Orchestra während einer Konzertreise 1997 durch Europa und Kanada. Im pointierten Wechselspiel von Individualität und "Bandgeist" entstand weniger ein handelsüblicher Konzertfilm als eine ebenso einfühlsame wie vielschichtige Beschreibung von Musik als einer Lebenshaltung, die geprägt ist von Respekt, Offenheit und Neugier auf alle möglichen Spielarten des Lebens sowie der Musik. (Teils O.m.d.U.)
- Sehenswert ab 14.
An Echo from Europe - Vienna Art Orchestra on Tour 97
- | Österreich 1998 | 102 Minuten
Regie: Othmar Schmiderer
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Filmdaten
- Originaltitel
- AN ECHO FROM EUROPE - VIENNA ART ORCHESTRA ON TOUR 97
- Produktionsland
- Österreich
- Produktionsjahr
- 1998
- Produktionsfirma
- DOR-Film/ORF
- Regie
- Othmar Schmiderer
- Buch
- Othmar Schmiderer
- Kamera
- Othmar Schmiderer · Daniel Pöhacker · Michael Pilz · Bernhard Pötscher
- Schnitt
- Daniel Pöhacker
Diskussion
Das Vienna Art Orchestra gehört zu den wichtigsten und aufregendsten Großformationen im Jazz. Zahlreiche Musikprogramme (u.a. „The Minimalism of Eric Satie“, Hommagen auf Eric Dolphy sowie auf Duke Ellington, unlängst „The Art of Strauss“) gehören zu ihrem faszinierendes Repertoire, ebenso multimediale Konzepte, die die Grenzen zur Klassik oder zum (Rezitations-)Theater vielfältig aufbrechen und spielerisch-kreativ überwinden. 1997 feierte die damals 14-köpfige Big-Band-Formation unter ihrem Spiritus Rector Matthias Rüegg ihr 20-jähriges Bestehen und begab sich auf eine umfangreiche Tournee durch Europa und Kanada, die unter dem Motto „An Echo from Europe – From Django Reinhard to Django Bates“ stand. Neben Reinhard und Bates kamen Kompositionen u.a. von Michel Legrand, Jutta Hipp, Hans Koller, Albert Mangelsdorff und Jan Garbarek zur Aufführung und verbanden sich zu einem kompakten Programm, das für Furore sorgte. Othmar Schmiderer, mit diversen Orchester-Mitgliedern seit Gründung des Orchesters befreundet und vertraut, begleitete die Tournee mit der Kamera und kompilierte aus den Reisen, den Proben und Konzerten, aus Gesprächen und spontanen Begegnungen einen Film, der sich von vornherein jeder konventionellen Konzertdokumentation verweigert. Bis überhaupt einmal nur das Segment eines Bühnenauftritts des Orchesters zu sehen und zu hören ist, vergehen gut 20 Minuten, und erst ganz am Ende des ungewöhnlichen Road Movies kommt dann ein Musikstück mehr oder weniger komplett dokumentiert zur Aufführung. Und dennoch atmet der Film von der ersten stillen Einstellung an - einem ausführlichen 360-Grad-Schwenk, begleitet von ersten, vermeintlich kakophonischen Klängen - den Geist der ungewöhnlichen Musik des Orchesters. Diese bildet Schmiderer freilich nie einfach nur ab. Quasi seiner eigenen filmischen „Partitur“ folgend, bedient er sich in seiner Gestaltungsweise selbst den Elementen des Jazz, folgt festen Strukturen ebenso wie intuitiver und improvisierter Eingebung, um in diesem Wechselspiel bereits die Besonderheiten des Vienna Art Orchestra einzukreisen. Diese umschreibt die polnische Sängerin Urszula Duziak einmal prägnant als einen „Lebensstil voller konstanter Veränderungen“: „Alles ist organisiert, aber emotional weiß man vorher nicht, was Überraschendes geschehen kann.“Ganz allmählich und sehr behutsam nähert sich der Film der fulminanten Musik des Orchesters sowie der hohen Improvisationskunst seiner Solisten. Dabei sind es zunächst die privaten Interaktionen der Musiker untereinander, die Stimmung und „Melodik“ prägen: wie sie sich gegenseitig im Probenraum begrüßen, erste musikalische Phrasen allein oder zu zweit einüben, schließlich zur eigentlichen Tournee aufbrechen, reisend auf der Schiene oder auf Straßen. Jeder Einzelne sucht und findet allmählich seine Einstellung zur gemeinsamen Aufgabe, jedes noch so alltägliche Detail trägt zur gruppendynamischen Alchimie in der Band bei: Vom Dösen im Zug bis zur spontanen Session spürt man, wie sich die Stimmung im Orchester aufbaut und zur Grundlage dessen wird, was die anstrengenden Wochen der Tournee erst erträglich macht. Immer wieder hebt Schmiderer dabei die Dichotomie von „Individualität und Bandgeist“ hervor, dies nicht nur in Interview-Aussagen der Musiker, sondern auch in seiner Hinwendung zu deren improvisatorischen Leistungen auf der Bühne, die ebenso aus der einzelnen Persönlichkeit wie aus den Gesamteindrücken während der Tournee erwachsen. Das beginnt zunächst als filmisches „Flickwerk“, entwickelt aber bald eine ganz eigene Dynamik, der man wie selbstverständlich folgt, kaum noch spürend, dass die Musik auf der Bühne längst im täglichen Umgang der Musiker in Hinterzimmern, im Zug oder im Bus ihren Anfang genommen hat und sich von der Bühne wiederum dorthin zurück verlagert. Die Musik überlagert schließlich alles, ist für die Orchestermitglieder die definitive Kunst sich auszudrücken, ist Bewegung und Emotion; Musik ist für den einen Meditation, den anderen gar eine Art von Gebet: Hoffnung und Glaube, Liebe und Schmerz. Matthias Rüegg sagt einmal: „Der einzige Moment, an dem ich die Sterblichkeit vergesse, ist beim Musikmachen.“ Das klingt feierlich, zugleich aber sympathisch unpathetisch, weit entfernt von jeder aufdringlichen Attitüde, ist Teil einer von Ruhe, Konzentration und kontemplativer Einlassung geprägten (Lebens-)Haltung. Mag auch die eigentliche Musik des Vienna Art Orchestras, ihr kraftvoller, klarer, oft auch ausgelassener Stil in diesem Film zu kurz kommen - ihr „Geist“ schwebt durch die Räume und Zeiten, durch die man dieses höchst bemerkenswerte Orchester ein Stück weit begleitet.
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