Nach einem ökologischen Kollaps hat sich eine reiche Familie in einen luxuriösen Bunker unter der Erde gerettet, wo sie in solider Langeweile ihr Dasein fristet. Das ist der Ausgangspunkt der kuriosen Endzeitparabel „The End“, die Joshua Oppenheimer als echtes Musical inszeniert hat. Im Interview verrät der US-Filmemacher, was ihn zu dieser ungewöhnlichen Inszenierung verführt hat.
Es muss ein langer Weg von den Dokumentarfilmen bis zu Ihrem ersten Spielfilm gewesen sein.
Joshua Oppenheimer: Es ist wie eine zweite Karriere. In vielerlei Hinsicht sucht man ja immer nach demselben, nämlich nach Authentizität. Meine Dokumentarfilme haben mir ein Verständnis dafür gegeben, dass Film nicht das ideale Medium für Worte ist. Film ist vielmehr das ideale Medium für Subtexte, für Schweigen und Zweifel. Es ist das ideale Medium für Momente, in denen Figuren nicht an das glauben, was sie sagen. Meine Dokumentarfilme sind voll solcher Momente. Damit hängt die Latte aber ziemlich hoch, wenn es um eine authentische Darstellung gehen soll.
Auch „The End“ ist aus einem Dokumentarfilmprojekt entstanden. Der
Film ist in gewisser Weise eine natürliche Weiterentwicklung. Ich habe mich
zudem nie als Dokumentarfilmer verstanden. Ich fange im Grunde stets mit einer
Idee an und einer Reihe von Fragen, denen ich nicht ausweichen kann. Die muss
ich dann so gründlich wie nur irgendwie möglich erörtern. Wenn ich nicht mehr weiterkomme,
sondern anfange, in die Breite zu gehen, dann weiß ich, dass ich das Ende eines
Projekts erreicht habe.
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Und bei jeder dieser Erkundungen suche ich nach einer zwangsläufig-natürlichen Verbindung von Form und Inhalt. Bei „The Act of Killing“ führt das dazu, dass die Angehörigen von Todesschwadronen ihre Erinnerungen im Genre ihrer Lieblingsfilme nachstellten. In „The End“ ist es ein Musical mit Schauspielern, das in einem Bunker spielt. Ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht, vom Dokumentarischen zum Spielfilm zu wechseln. Ich habe einfach nur die richtige Form für diesen Inhalt gesucht.
Warum war ein Musical die richtige Form für diese Geschichte?
Oppenheimer: Zunächst habe ich über einen Oligarchen und seine Familie recherchiert, die sich einen Bunker kaufen. Ich bin mit ihnen zum Bunker gefahren. Aber alle interessanten Fragen konnten nicht gestellt, geschweige denn dokumentarisch erörtert werden. Diese Familie war im Geschäft mit fossiler Energie tätig. Ich konnte nicht fragen: Wie fühlen sie sich mit Blick darauf, was sie der Welt angetan haben? Wie würden sie mit der Trauer fertig, Freunde und Angehörige nicht mitnehmen zu können? Wie würden sie Kindern, die sie im Bunker bekommen, ihre Geschichte erzählen? Mir wurde klar, dass die einzige Möglichkeit, diesen Film zu machen, darin bestand, 25 Jahre lang mit ihnen im Bunker zu leben und sie zu beobachten. Um darüber herauszufinden, was dieses Schweigen mit ihnen macht und wie es ihre Beziehungen aushöhlt.
Stattdessen kam mir die Idee zu einem Musical. Angelehnt an die beschwingten Filme aus dem Amerika des goldenen Zeitalters, an die Musicals, die das Land zusammengehalten haben. Nun aber in eine Zeit versetzt, wo nichts mehr hält, weder unsere Gesellschaften noch die Biosphäre. Es würde „The End“ heißen. Das war wie eine Offenbarung an dem Tag, an dem ich diese Recherche abgebrochen hatte. Durch die Form des Musicals dreht sich der Film ums Geschichtenerzählen, um Illusionen. Es ist ein Film darüber, wie wir durch das Geschichtenerzählen unsere Trauer zu lindern versuchen, wie wir unsere Vergangenheit ausradieren und uns dadurch neu erschaffen – uns, unsere Beziehungen und die Welt um uns.
Was die Figuren singen lässt, sind keine Momente tiefer emotionaler Wahrheit, sondern Glaubenskrisen, Momente des Zweifels, in denen die Geschichten, die sie sich und einander erzählen, um mit ihrer Lage und ihren Entscheidungen klarzukommen, brüchig werden und zusammenzufallen drohen. In solchen Momenten suchen sie eine Musik, eine neue Melodie, als Trost. Es ist ein Musical, weil es ein Film über Selbstbetrug und falschen Optimismus ist. Für mich ist das ein fundamentaler Unterschied. Echter Optimismus resultiert daraus, dass wir aufrichtig unsere Fehler eingestehen, wenn wir zusammenkommen, und bereit sind, alles zu tun, was nötig ist, um den Kurs zu ändern. Dass wir uns also bessern und uns vor dem Abgrund retten können, auf den wir momentan zusteuern. Falscher Optimismus ist dagegen das verzweifelte und eigentlich hoffnungslosere Gefühl, nur die Augen schließen zu müssen, damit alles schon irgendwie wieder gut wird. Das ist der Optimismus des Kojoten, der im Cartoon über die Klippe hinausläuft und einfach weiterläuft, bis er nach unten blickt und abstürzt.
Ich bin ein großer Fan des Hollywood-Musicals. Das ist leichte Unterhaltung. Sie aber wollen das Publikum mit nie gesehenen Bildern erfreuen. Besteht nicht ein gewisser Widerspruch zwischen Ihren schweren Themen und dem Musical-Genre?
Oppenheimer: Ich sehe nicht, dass es da einen Widerspruch gäbe. Zunächst einmal sind viele MGM-Musicals leichte Komödien, in die zur Auflockerung der Handlung zeitgenössische Schlager eingefügt wurden. Diese Schlager sind etwas ganz anderes als die dramatischen Musicals aus der Glanzzeit des Broadways, von denen einige auch verfilmt wurden, etwa „Sound of Music“, „Oklahoma“ oder „Karussell“. Der Gesang ist in diesen Musicals in die Handlung eingebettet. Ich habe darüber mit dem Komponisten Joshua Schmidt gesprochen, der mit mir die Filmsongs für „The End“ geschrieben hat. Ich behaupte, dass in den Broadway-Musicals aus der Blütezeit die Figuren singen, wenn die Wahrheit größer ist als das, was sie in Worte fassen können. Mit anderen Worten: Sie singen ihre tiefere Wahrheit.
Bei „The End“ handelt es sich quasi um die Umkehrung, das Negativbild davon. Was die Menschen dort singen lässt, ist keine Wahrheit, sondern vielmehr das Gefühl, dass das Rettungsfloß, auf dem sie dahintreiben, im Sturm zerbricht und sie verzweifelt nach den auseinandertreibenden Holzstücken greifen müssen, um sich ein neues Floß zu schnüren. Beim Zusammenbinden wächst ihre Zuversicht, und die Musik wird schließlich zu einer vollmundig vorgetragenen strahlenden Lüge. Der Schauspieler Benedict Cumberbatch fand es erstaunlich, dass die Musik im Film wirklich schön ist, obwohl sie gelogen ist. Was beim Publikum eine emotionale Dissonanz erzeugt.
Ein weiterer Unterschied zum klassischen Broadway-Musical ist, dass die Lieder musikalisch aus einer einzigen Geste entstehen, aus „einem gemeinsamen Atem aller Figuren“, wie Joshua Schmidt das nennt. Neue Musik taucht nur mit den beiden Solostücken des Mädchens auf, von denen eines, „Exhale“, nur aus Seufzern besteht. Wenn sie „Forever“ singt, ein Lied über Sehnsucht und Heimweh, hört man eine neue Musik. Ebenso in ihrem Liebeslied. Ansonsten aber ist es bei allen anderen mehr oder weniger ein einziges „Überlebenslied“. Auch das passt zu der Idee, verzweifelt ein Rettungsfloß zusammenflicken zu müssen.
Ich würde gerne über die Ausstattung sprechen. Sie haben offensichtlich in einem Salzbergwerk gedreht. Wo war das?
Oppenheimer: Bis auf eine Szene wurde alles in den Madonie-Bergen auf Sizilien gedreht, in der Gemeinde Petralia Soprana. Nur die Szene mit der Überschwemmung, wo sie Sandsäcke gegen das Wasser stemmen, wurde in einem Bergwerk im thüringischen Sondershausen gedreht.
Haben Sie dabei mit den Kameramännern gearbeitet? Ich erinnere mich an wirklich schöne Einstellungen, etwa wenn George MacKay einen kleinen Salzhügel erklimmt und das Licht dahinter platziert ist.
Oppenheimer: Dazu muss man wissen, dass es in einem Bergwerk vollständig dunkel ist. Beleuchtung gibt es nur dort, wo gearbeitet wird; alle diese Bergwerke sind ja noch aktiv. Aber dieses Licht flackert. Das heißt, der Kameramann Mikhail Krichman musste das gesamte Licht im Film platzieren. Dafür haben wir im Vorfeld das Bergwerk besucht und viele Fotos geschossen, um einen gewissen Look zu finden und später das Beleuchtungskonzept entwickeln zu können. Außerdem brauchten wir Platz, damit die Kamera sich relativ frei bewegen kann. Da die Decken sehr hoch sind, hätte es zu viel Zeit gekostet, die Lichtgebung für die Kamerabewegungen zu ändern. Zunächst gab es also eine intensive Vorbereitung von Krichman und mir. Wir sind mehrfach in die Bergwerke eingefahren, vier Mal in Sondershausen und fünf Mal in Petralia Soprana. Später haben wir mit dem Chefbeleuchter James McGuire festgelegt, wie das Licht aufgehängt werden soll. Der Film wurde fast ausschließlich mit Kamerawagen gedreht. Im Bergwerk haben wir aus Zeitmangel manchmal aber auch mit der Steadycam gedreht.
Die Szenen im Bergwerk stehen in einem starken Kontrast zu denen im Bunker, der mit seinen vielen Gemälden wie eine Mischung aus Kunstmuseum und großbürgerlicher Villa wirkt.
Oppenheimer: Für Mischa Krichman, die künstlerische Gestalterin Jette Lehmann und mich war die Überlegung ausschlaggebend, dass diese Geschichten, also diese Lügen, die die Figuren sich erzählen, schön und verführerisch sein müssen. Oder eben wie Joshua Schmidt es ausdrückte: In gewisser Weise ist der Film wie ein einziges Musikstück, in dem verschiedene Melodien ineinander übergehen, sich verflechten und immer wieder aufgenommen werden. Wenn die Figuren anfangen, sich singend selbst zu beruhigen, ist das schön, und das Publikum lernt die Melodie schon ein bisschen kennen. Unbewusst summt man also mit und freut sich an der Melodie. In diesen Momenten schlüpft man in die Haut der Figuren und spürt geradezu körperlich, was sie durchmachen. Auch wir empfinden den Trost der Musik. Das bedeutet, dass man vergessen muss, dass wir uns in einem Bunker befinden.
Es war uns schon früh klar, dass die nackten Betonwände, an die wir bei dem
Wort Bunker sofort denken, nicht die Art von Kulisse sind, die wir brauchen.
Aber wie schafft man es, fensterlose Räume ohne natürliches Licht nicht
klaustrophobisch wirken zu lassen? Im Weißen Haus, in der Eremitage und in
Versailles gibt es diese langen Galerien, bei denen Fenster Tageslicht
einlassen. Gleich daneben gibt es aber auch fensterlose Räume, in die
Tageslicht nur indirekt eindringt. Wir haben also zunächst Lichthöfe geschaffen,
große Dachfenster, durch die simuliertes Tageslicht eindringt und auf mehrere
Räume ausstrahlt. Während der Lieder haben wir das Szenenlicht von warm zu kalt
wechseln lassen, so als würden Wolken über das Dachfenster ziehen. Und anstelle
von Fenstern gibt es die Gemälde. Das sind romantisch verklärte, idealisierte
Bilder einer untergegangenen Welt, beziehungsweise einer Welt, die niemals
existiert hat. Albert Bierstadts Gemälde der Rocky Mountains sieht überhaupt nicht aus wie die
Rocky Mountains. Heute kann es einem fast wie ein KI-Gemälde vorkommen.
Zu guter Letzt wurde uns klar, dass wir zusätzlich Außenaufnahmen brauchen. Erst dadurch wurde unser Bunker plötzlich von einem einfachen, in den Felsen gehauenen Raum zu einer Höhlenstruktur mit zu Zimmern ausgebauten Höhlen, mit Tunneln und anderen, unfertigen Höhlen. Die wohnen in einem Höhlennetzwerk. So sind wir auf Salzbergwerke gekommen, die stabil, trocken und sicher sind. Das Besondere des Salzbergwerks in Petralia ist, dass seine leuchtenden Farben an die Landschaftsmalerei von Albert Bierstadt erinnern. Als George MacKay das erste Mal Fotos von diesem Bergwerk gesehen hat, war er ganz begeistert, denn das bedeutete, dass seine Figur trotz allem über eine Art Naturerfahrung verfügt. Bierstadts Werke des amerikanischen Luminismus werden im Film also zu einer postapokalyptischen Form des Luminismus.
Es gibt auch noch den Kontrast zu den sehr einfachen Räumen von den Figuren, die nicht zur Familie gehören, etwa dem Koch. Es gibt also ein Klassenbewusstsein.
Oppenheimer: Ja, genau. Wie bei meinen Dokumentarfilmen handelt es sich hier um eine Allegorie – auf Oligarchie, auf die Menschheit, die insgesamt in einem hierarchischen Ausbeutungssystem lebt. Gleichzeitig ist es aber auch eine Allegorie auf die Familie an sich. Menschen, die sich vor dem, was sie in diesen Figuren sehen, fürchten, können sich an die Makroebene halten, dass es also um Oligarchie geht, um reiche Leute und einen Täter. Diese Zuschauer suchen nach der Satire. Sie lassen sich nicht auf die allgemeinmenschlichen Reaktionen der Figuren ein, sondern fragen sich, wieso die Musical-Nummern so und nicht anders inszeniert sind, warum alles nicht satirischer ist und nicht so unterhaltsam wie „Don’t Look Up“.
Ich kann alle nur einladen, wahrzunehmen, dass der Film seine Figuren mit aufrichtiger Wärme zeigt. Klar, der Vater war im Energie-Business und hat Entscheidungen getroffen, die wir als monströs verurteilen mögen und von denen wir hoffen, dass wir sie nicht getroffen hätten, wenn wir in einer solchen Familie und in einem solchen sozialen Kontext aufgewachsen wären. Wir können von Glück sagen, dass wir es niemals herausfinden werden. Wie die Figuren in „The Act of Killing“ ist der Vater zwar der Justiz entkommen, nicht aber der Strafe. Ich kann also nicht genug betonen, dass diese Familie jede Familie sein könnte, meine Familie, dass es also ein Film über uns alle ist.
Können Sie etwas zur Besetzung sagen? Ich bin ein großer Fan von Michael Shannon. Er hat so ein tolles Gesicht, nicht schön, aber großartig.
Oppenheimer: Dass ich Darsteller, die keine
professionellen Sänger sind, gebeten habe, zu singen, hat damit zu tun, dass es
keinen Bruch geben darf zwischen ihrer Sprechstimme und irgendeiner synchronen
Gesangsstimme, zu der sie nur die Lippen bewegen müssten. Alle Menschen vor der
Kamera mussten den Mut mitbringen, sehr verletzlich zu sein. Sie wussten davon,
wie ich in meinen Filmen Menschen bedränge. Dass ich mir eher den linken Arm
wegschießen würde, als lockerzulassen, wenn ich das Gefühl habe, man könnte
noch tiefer loten. Ich habe also eine Besetzung um mich gesammelt, deren
Einsatzbereitschaft ziemlich einzigartig ist. Sie sind wie Mitglieder einer
Weltuntergangssekte: hoffnungsvoll, verloren und erschreckend sterblich.
Ich wusste, dass ich Darsteller mit einem reichhaltigen Subtext brauchte, in deren Gesichtern Zweifel und Wahrheit mit derselben Akkuratesse und denselben Nuancen gegeneinander kämpfen können wie bei den realen Menschen, die ich in „The Act of Killing“ und „The Look of Silence“ gefilmt habe. Das brachte mich zu bestimmten Darstellern. Tilda Swinton war die erste, an die ich herangetreten bin. Wir hatten ein wunderbares Gespräch über das Drehbuch. Sie war sofort mit dabei. Dann kamen George MacKay und Moses Ingram und die anderen. Wie im Märchen hatten wir das Gefühl, dass derjenige, der sich dazu bereit erklärt, auch der Richtige sein wird.
Die Figur von Moses Ingram ist die einzige Fremde. Ein Eindringling. Wie wichtig war es, dass sie schwarz ist?
Oppenheimer: Das war mir sehr wichtig. So, wie der Umstand, dass der Film ein Musical ist, ihn zu einem Film über Selbstbetrug macht, genauso macht ihn diese Besetzung zu einer US-amerikanischen Geschichte über ein Land, dessen Wohlstand zunächst auf Sklaverei und seither auf einem System wirtschaftlicher Apartheid beruht, also zu einem Film über weiße Identität. Was die US-amerikanischen Musicals gleichfalls waren. Zu sagen: Egal wie schrecklich die Umstände werden, mein Sohn wird es schon schaffen, ist ungefähr das „Weißeste“, was es in den USA gibt. Das ist nichts, was schwarze Eltern sich leisten könnten. Sie können ihrem Sohn nicht sagen: Mach dir keine Sorgen! Egal, was geschieht, du kommst schon durch. Als ich den Film geschrieben habe, lebte ich in Skandinavien. Hätte ich den Film in Europa spielen lassen, das auf beschämende Weise mit einem nach innen gerichteten fremdenfeindlichen Blick belastet ist, wäre diese Figur definitiv eine gewesen, die mit dem Boot die gefährliche Route übers Mittelmeer überstanden und dabei alle ihre Angehörigen verloren hätte.
Das typische US-Musical steht in einer US-amerikanischen Tradition des
falschen Optimismus, die spätestens mit Benjamin Franklin begonnen hat, der ja
viele Meriten hatte, wozu aber sicher nicht sein sonniger, jeder Grundlage
entbehrender Blick aufs Leben gehörte. Mit der Wahl dieses Genres war für mich
klar, dass die einzig richtige Entscheidung die für ein schwarzes Mädchen sein
musste. Die überdies ein Geschenk mitbringt: nämlich Anständigkeit und Schuld
ohne Scham. Der Unterschied zwischen Schuld und Scham besteht dabei darin, dass
das eine ein Gefühl von Reue ist, das andere jedoch die Sorge meint, wie man
von anderen betrachtet wird.
Was diese Leute im Bunker gefangen hält, sind nicht nur die äußeren Bedingungen der Science-Fiction-Geschichte, sondern ist auch ihre Scham. Und dann kommt dieses Mädchen mit einem Schlüssel, um diesem Gefängnis zu entkommen. Was nicht bedeutet, dass sie jetzt wieder an der Oberfläche leben könnten. Sie bietet ihnen vielmehr einen Ausweg aus ihrem emotionalen Gefängnis an. Das aber lehnen die anderen nicht nur ab, sondern sie tun ihr Zwang an, sie machen ihr das Leben so unerträglich, dass sie die Unschuld des Sohnes zerstören, die Freundin vernichten und das Mädchen zu Aufgabe und Unterwerfung unter ihre Ideologie zwingen. Ich wusste, dass dies ein Teil dieser Geschichte um weiße Identität sein müsste. Das sage ich auch deshalb, weil Sie das Musical lieben. Die Blütezeit-Musicals waren eine Art Werbekampagne für die USA und ihr erweitertes Weltimperium. Denken Sie nur an „South Pacific“ oder „Der König und ich“ und andere in Übersee spielende Filme. Darin wird die US-amerikanische Hegemonie und die Überlegenheit der Weißen propagiert. All das ist mittlerweile auf dieses dunkle Loch tief unter der Erde zusammengeschrumpft. Das ist das Ende dieser USA-Werbetour. Natürlich musste das Mädchen schwarz sein.