© imago/Bestimage (Gilles Lellouche)

Wie vom Blitz getroffen - Gilles Lellouche über „Beating Hearts“

Ein Interview mit Gilles Lellouche für seinen Film „Beating Hearts“, in dem François Civil und Adèle Exarchopoulos ein Liebespaar im Gangstermilieu spielen, die nicht voneinander lassen können.

Aktualisiert am
07.04.2025 - 13:47:44
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Kino ist Fiktion, Übersteigerung, pure Fantasie. Davon ist der französische Regisseur und Schauspieler Gilles Lellouche überzeugt, weshalb er in seinem Werken aufs Imaginäre setzt. Doch ohne in eine pure Traumwelt abzugleiten, die nur Frust und Enttäuschung hinlassen würde. Dazu gehört dann auch ein schlüssiges Finale, das nicht zu düster ausfallen darf. In „Beating Hearts“ (jetzt im Kino) löst er das in einer energetischen Liebesballade im Gangstermilieu ein.



Der Mann ist ein Energiebündel, ständig in Bewegung, voller Elan und auch in einem kurzen Interview in einem Pariser Hotel charmant großspurig und herzlich. Er will unbedingt eine Zigarette rauchen, fragt, ob man zufällig eine habe, lässt sich Feuer geben und öffnet die Tür zum Balkon. Dabei beginnt Gilles Lellouche schon mit dem Interview, da er keine Zeit verschwenden will. Als Schauspieler hat Lellouch sehr kraftvolle, physische Rollen gespielt, in Actionfilmen wie „Point Blank - Aus kurzer Distanz“, „Kompromat“ oder „Bac Nord - Bollwerk gegen das Verbrechen. Man kennt ihn aber auch feinfühliger und komplexer. Etwa in „Mein Stück vom Kuchen“ oder dem Drama „All Eure Gesichter“. In „Asterix und Obelix im Reich der Mitte“ spielte er Obelix. Lellouche hat aber auch schon mehrere Filme als Regisseur gedreht, etwa „Ein Becken voller Männer“ oder nun „Beating Hearts“, der 2024 in Cannes im Wettbewerb lief und in Frankreich über fünf Millionen Zuschauer ins Kino lockte.


Malik Frikah, der in „Beating Hearts“ den jungen Clotaire spielt, hat etwas sehr Schönes über sie erzählt. Er kennzeichnete sie als einen sehr guten Regisseur, der zufällig auch ein guter Schauspieler sei. Was sagen Sie dazu?

Gilles Lellouche: Für Schauspieler ist es sehr angenehm, mit einem Schauspieler-Regisseur zu drehen. Ich weiß, wovon ich rede. Viele Filmemacher haben Angst vor Schauspielern, weil sie nicht genau wissen, wie sie mit ihnen reden sollen. Immer wieder werden die Darsteller zu neuen Takes aufgefordert, ohne zu wissen, warum. Mir ist es als Schauspieler oft passiert, dass ein Regisseur sagte: „Das war super, das drehen wir gleich nochmal.“ Da fragt man sich doch: „Wenn es super war, warum drehen wir dann noch einen Take?“ Und erhält vielleicht zur Antwort: „Ich weiß nicht, vielleicht passiert ja noch etwas Besonderes.“ Das finde ich ziemlich unerträglich, weil man sich denkt: „Was soll denn noch passieren, das ist doch nichts Göttliches, das vom Himmel fällt. Es ist Arbeit.“

Und wie genau arbeiten Sie mit den Schauspielern?

Lellouche: Ich schreibe für meine Filme ja auch die Dialoge und da ich auch Schauspieler bin, weiß ich in etwa, wie man Schauspieler führt. Ich erwarte vom Spiel einen gewissen Rhythmus. Deshalb lege ich in der Schauspielführung auch viel Wert darauf, dass man sehr behutsam mit den Darstellern umgeht. Wenn Sie jemanden zu sich nach Hause zum Essen einladen, der dann eine Geschichte erzählt, die nicht komisch ist, werden sie nicht laut hinausposaunen, warum sie nicht herzhaft gelacht haben. Schauspielführung ist in etwa genau das: Sie laden Menschen zu sich ein und behandeln sie behutsam und mit viel Feingefühl. Wenn ich mit Schauspielern arbeite, nehme ich sie beiseite, flüstere ihnen etwas ins Ohr und wende mich jeder Darstellerin, jedem Darsteller individuell zu. Das ist der Vorteil, den ich habe, auch weil ich manchmal selbst schlecht behandelt wurde.

Malik Frikah in "Beating Hearts" (Studiocanal)
Malik Frikah in "Beating Hearts" (© Studiocanal)

Hat Ihnen das auch beim Casting geholfen?

Lellouche: Natürlich. Beim Casting von Malik Frikah ist übrigens etwas sehr Erstaunliches passiert. Ich traf mich mit 60 oder 70 Jungs in seinem Alter, die alle sehr talentiert waren. In der Szene, die sie beim Casting vorspielen sollten, sitzt Clotaire auf einem Autodach vor der Schule und beleidigt die Kinder, die aus der Schule kommen. Alle anderen jungen Darsteller spielten diese Szene im Stehen. Der Einzige, der einen Stuhl auf einen Tisch stellte und so ein Autodach imitierte, war Malik. Als ich ihn so sah, dachte ich sofort, dass er die Figur verstanden hat. Er war cool, angeberisch und dabei auch in etwa so blöd, wie Clotaire sein sollte. Auf was ich bei Schauspielern am meisten Wert lege, ist ihr Rhythmus, egal welcher. Élodie Bouchez, die im Film die Mutter spielt, hat beispielsweise einen sehr ruhigen Rhythmus.

Welche Rolle hat schon beim Schreiben die Musik gespielt?

Lellouche: Die Musikalität einer Figur ist mir ebenfalls sehr wichtig. Wenn ich die Dialoge schreibe, höre ich Musik. Ich bin dann wie ein Psychopath und kann einen Song bis zu fünfzig Mal hintereinander hören, wenn er mich inspiriert und die Handlung weiterbringt. Meine Dialoge haben dann auch etwas Musikalisches, und in meinen Filmen gibt es permanent Musik und viele Songs.

Stimmt es wirklich, dass Sie diesen Film schon seit 17 Jahren mit sich herumtragen?

Lellouche: Es war Benoît Poelvoorde, der mir das Buch „Das wilde Leben“ von Neville Thompson geschenkt hat und meinte, dass mir das gefallen würde. Er hatte Recht. Es gab viele Themen, etwa die Beschreibung der Jugend, die mich sehr angesprochen haben. Das ist wie eine Gründungsphase im Leben, ein Übergang vom Kindsein ins Erwachsenalter. Das läuft oft sehr chaotisch ab, voller Zärtlichkeit und Gewalt. Vor allem der Blick der anderen auf einen selbst wird dann wichtig. Ich war hin und weg von diesem Buch. Natürlich hätte man daraus einen Film mit Handkamera im Stil der Dardenne-Brüder machen können, aber das war nicht meine Absicht. Für mich war die Geschichte sofort wie ein großes Fresko, wie „The Outsiders“ oder „Rumble Fish“. Ich wollte auch ganz bewusst einen Film über einen Gangster machen, der ebenso cheesy wie gewalttätig ist, mit einer permanenten Mischung aus heiß und kalt. Mir wurde dann aber schnell klar, dass dieser Film, der mir im Kopf herumschwirrte, viel zu teuer war. So legte ich das Buch erst mal beiseite. Aber das Projekt schlummerte weiter in mir. Als mich die Produzenten nach dem großen Erfolg von „Ein Becken voller Männer“ fragten, was ich als nächstes gerne machen möchte, meinte ich: „Beating Hearts“.

Die Kamera wirbelt im Film sehr herum. Der ganze Film ist sehr verspielt. Ist das Ihr Stil als Filmemacher?

Lellouche: Von dem Moment an, wo man eine Kamera positioniert, Dialoge schreibt und Musik einsetzt, befindet man sich nicht mehr in der Realität. Es gibt keine Realität im Kino. Selbst die Dardenne-Brüder fiktionalisieren das Leben. Wenn man von dieser Prämisse ausgeht, ist es mir lieber, dass die Kamera umherwirbelt, dass man auf imposante Sonnenuntergänge setzt und auch mal voll über die Stränge schlägt, anstatt zu versuchen, die Realität nur zu imitieren. Denn die Realität hat nichts mit Filmemachen zu tun. Für mich sind David Lynch, Francis Coppola, Martin Scorsese und Steven Spielberg die großen Regisseure. Sie haben mich bereichert, ihr Kino gefällt mir, und für ihre Filme gehe ich gerne ins Kino. Ich mag auch das Genrekino und Horrorfilme. Ich mag einfach alle Formen des Kinos. Wenn Sie genau hinschauen, dann wirbelt meine Kamera nicht in allen Richtungen. Ich habe einfach nur sehr viele Ideen, manchmal vielleicht auch zu viele. Aber ich hatte ja auch 17 Jahre Zeit, um Ideen zu sammeln. Die Langfassung war noch viel schlimmer. Ich musste mich ziemlich zusammenreißen.

Adèle Exarchopoulos in "Beating Hearts" (Studiocanal)
Adèle Exarchopoulos in "Beating Hearts" (© Studiocanal)

Es gibt noch eine Langfassung? Haben Sie die auch schon geschnitten?

Lellouche: Sie ist nur provisorisch geschnitten. Vielleicht bringe ich diese Fassung eines Tages heraus, aber sie enthält viel mehr Gewalt. Ich finde übrigens, dass es in der Kinofassung kaum noch Gewalt gibt. Ich verstehe gar nicht, warum man mich manchmal danach fragt. Nun mag ich ein Kino, dass auch auf Gewalt setzt, kann aber auch diejenigen verstehen, die davon schockiert sind. Wenn Gewalt im Kino gratis wird, habe ich damit ein Problem.

Ich fand das Ende von „Beating Hearts“ sehr schön. Aber darauf muss man erst mal kommen.

Lellouche: Im Roman ist das Ende sehr düster und sehr realistisch. Ich hatte dieses Ende auch für den Film geschrieben. Aber es passte einfach nicht. Ich kann die Menschen doch nicht tanzen lassen und dann plötzlich die Musik ausschalten. Es gibt zwei Dinge im Kino, die mich wirklich nerven: Regisseure, die dem Publikum das Ende überlassen, die also ihren Film nicht beenden. Das kann ich nicht ausstehen. Das zweite, was mich ärgert, ist ein zu düsteres Ende. Das hängt auch damit zusammen, dass wir in Frankreich diese Tradition des „Cinéma vérité“ haben. Ich wollte dem Zuschauer suggerieren, dass er eine Art Wissensvorsprung hat. Aber den hat er nicht! Es geht im Film ja immer darum, ob man eine Wahl hat. Dann aber besteht die Frage nur noch darin, welche Wahl Clotaire trifft: eine gute oder eine schlechte Wahl. Und da er eine gute Wahl trifft, haben die Zuschauer das Recht auf einen Sonnenaufgang.

Was war Ihnen stilistisch und inhaltlich besonders wichtig?

Gilles Lellouche: In der Werbung und in Fernsehsendungen versucht man oft, insbesondere jungen Menschen, klarzumachen: Das könnten sich alle leisten – tolle Ferien, Markenklamotten, ein Leben im Überfluss. Für mich ist das eine fundamentale Fehlentwicklung unserer Gesellschaft und reine Verschwendung. Das führt nur zu Frustrationen, denn es stimmt einfach nicht. Wir haben nicht alle dasselbe Leben. Mir ging es in „Beating Hearts“ daher um eine ganz einfache Botschaft: Glaubt an die Liebe und an frisches Wasser. Wie bei den Hippies. Daher spiele ich auch mit der Ästhetik der 1990er-Jahre und den Rap-Videos mit den großen Autos, vollbusigen Frauen und Champagner, der in Strömen fließt. Eine Gangsterleben à la Scarface. Aber so ist es nicht! Deshalb wollte ich einen Anti-Gangsterfilm machen.

Zum Schluss drei Worte über die Darsteller François Civil und Adèle Exarchopoulos. Hatten Sie die beiden als erwachsenes Paar für Clotaire und Jackie schon beim Drehbuch im Kopf?

Lellouche: Ich stand mit den beiden in „Bac Nord“ als Schauspieler vor der Kamera, in dem auch Karim Leklou mitwirkt, der den Vater von Clotaire spielt. Ich schrieb damals schon am Drehbuch und suchte noch nach dem idealen Paar. Es gibt in „Bac Nord“ eine Szene, in der Adèle Exarchopoulos die Frau von Karim Leklou spielt und François Civil und ich seine Kollegen sind. Adèle schaute dabei François einfach nur sehr intensiv an. Dabei entdeckte ich diesen Moment einer „Liebe auf den ersten Blick“, den man im französischen „Blitzschlag“ nennt. Sie hatte vergessen, dass sie die Frau von Karim spielt, und er machte sie an, bestimmt um in der Rolle zu bleiben. Aber ich sah sie alle beide. Sie spielen richtig gut, und zwischen beiden stimmt die Chemie. Zudem versprühen sie auch noch eine gewisse Kindlichkeit. Auf diese Weise hatte ich mein Liebespaar gefunden.

Francois Civil, Gilles Lellouche, Adèle Exarchopoulos bei der Pressekonferenz in Cannes 2024 (imago/Abacapress)
Francois Civil, Gilles Lellouche, Adèle Exarchopoulos in Cannes 2024 (© imago/Abacapress)


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