© Hans Scherhaufer (Mitglieder der Ökumenischen Jury 2025 in Berlin)

Berlinale 2025: Ökumenischer Empfang

Beim Ökumenischen Empfang der Kirchen während der Berlinale ging es unter anderem auch um die Folgen einer digital überhitzten Öffentlichkeit, in der sich radikale Minderheiten maximales Gehör verschaffen können

Aktualisiert am
28.02.2025 - 17:13:08
Diskussion

Die gegenwärtige Gesprächskultur leide darunter, dass der Dialog so schnell polarisiert würde, beschrieb die EKD-Bevollmächtigte Anne Gidion beim Ökumenischen Empfang während der Berlinale die digital überhitzte Öffentlichkeit. Und Gastredner Lars Henrik Gass regte zur „Ideologieunterbrechung“ an, um die destruktiven Folgen des politischen Aktivismus in Grenzen zu weisen.


Unter den zahlreichen Empfängen im Rahmen der Berlinale nimmt der Ökumenische Empfang einen besonderen Rang ein. Er ist wie viele Treffen bei den Filmfestspielen eine wichtige Gelegenheit zum Austausch. Dabei geht es nicht nur um das Engagement der Kirchen im Kinobereich, sondern auch um filmkulturelle und gesellschaftliche Diskurse. Denn die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) versuchen als Organisatoren mit anregenden Gedanken über ethische und intellektuelle Inhalte der Leinwandkunst, den Dialog zwischen Film und Gesellschaft zu stärken.

In diesem Jahr war die EKD mit ihren Räumen am Gendarmenmarkt der Ausrichter. Anne Gidion, die Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland, verwies bereits im Grußwort darauf, dass die Berlinale in schwierigen Zeiten stattfinde. Insbesondere die Gesprächskultur leide darunter, dass im Dialog mittlerweile so schnell polarisiert werde. Kultur und Kirchen stünden dabei vor denselben Herausforderungen. Gidion lobt die Arbeit von Ökumenischen Jurys deshalb als wichtiges Instrument, um verschiedene Perspektiven auf Filme einzubringen.


Müssen sich Festivals positionieren?

Thema des Abends war insbesondere auch die Frage, ob und inwieweit sich Festivals generell und insbesondere die Berlinale bei gesellschaftlichen Streitfragen positionieren müssen. Die Hoffnung darauf, Haltung zu zeigen, zog sich als sprachliche Wendung durch die Begrüßung von Anne Gidion und die Grußworte von Kerstin Heinemann und Johann Hinrich Claussen für die katholische respektive evangelische Seite. Naheliegenderweise stand die Frage nach dem Umgang der Berlinale mit Antisemitismus im Raum, nachdem die israelfeindlichen Attacken bei der Preisverleihung 2024 gerade erst durch den unrühmlichen Auftritt der Ehrenbär-Preisträgerin Tilda Swinton ein erneutes Echo gefunden hatten. Einig waren sich alle Redner:innen, dass die neue Berlinale-Leitung in ihren selbstverkündeten Anti-Diskriminierungsmaßstäben jedenfalls noch Nachbesserungsbedarf hat.

Anknüpfend daran sprach der Filmpublizist Lars Henrik Gass als Gastredner des Empfangs über Festivals als produktive Diskursräume. „Ob und wie demokratische Wirklichkeit überleben kann, wird sich an der Entwicklung von Kultur und Wissenschaft entscheiden“, stellte er seine These vor. Kino und Festivals könnten viel zur Verständigung unter den Menschen leisten, betonte Gass, der mit Verweis auf seine eigenen Erfahrungen als Leiter der Kurzfilmtage Oberhausen aber einen "Glaubensverlust" eingestand, was die segensreiche Wirkung von Kultur und Filmfestivals anginge. 

Gass und die Kurzfilmtage waren wegen einer Solidaritätsbekundung mit Israel nach den Hamas-Anschlägen vom 7. Oktober 2023 von einer Hetzkampagne betroffen gewesen. Als exemplarisch an diesem Fall benannte Gass auch das Schweigen von Unterstützern des Festivals und Kulturverbänden gegen die Anfeindungen.


Abstinenz von Politisierung

Die Folge solch digital aufgeheizter Kampagnen: „Mit der Politisierung des Kulturbetriebs, vor allem von stark internationalisierten Kulturveranstaltungen, wächst der Druck auf die Veranstalter. Gleichzeitig steht die Glaubwürdigkeit der Veranstaltungen selbst in Frage.“ Politischer Aktivismus bedrohe durch seine Übergriffe soziale Systeme wie Kultur und Wissenschaft, da sich die politische Meinungsbildung durch die digitalen Verbreitungswege mit minimalem Aufwand maximal beeinflussen lasse. „Eine Kampagne, die sich gegen die Berlinale richtete, weil man gewählte Mandatsträger der AfD zur Eröffnung eingeladen hatte, benötigte Anfang des Jahres 2024 nur rund 600 Unterschriften, um eine Kulturinstitution des Bundes zur Kapitulation zu bewegen“. Die Konsequenz daraus wäre für Kulturinstitutionen eine „Abstinenz von Politisierung“. Eine solche „Ideologieunterbrechung“, so Gass mit dem Soziologen Harry Lehmann, gefährde nicht die Meinungs- und Kunstfreiheit, sondern sei ihre Voraussetzung, lautete sein Fazit. Eine Anregung, die in den Gesprächen während des Empfangs weiter diskutiert wurde.

Bei dem Treffen wurden auch die Mitglieder der Jury vorgestellt. Ihr gehören in diesem Jahr der Filmwissenschaftler Juan Carlos Carrillo Cal y Mayor aus Mexiko, der italienische Theologe Peter Ciaccio und die Kulturmanagerin Valerie de Marnhac aus Frankreich an. Aus dem deutschsprachigen Raum stammen der katholische Theologe Christian Olding aus Geldern, die Religionshistorikerin Brigitta Rotach aus der Schweiz und Stefanie Schardien, die theologische Direktorin des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP). Die Ökumenische Jury ehrt Filmschaffende, die in ihren Werken menschliches Verhalten zum Ausdruck bringen, das mit dem Evangelium in Einklang steht oder das Publikum für spirituelle und soziale Werte sensibilisiert.

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