Als Autorenteam haben die Franzosen Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière erfolgreiche Theaterstücke wie „Der Vorname“ und Drehbücher geschrieben. Nach den Skripten für die zweiteilige Neuverfilmung der „Drei Musketiere“ haben sie mit „Der Graf von Monte Christo“ einen weiteren Romanklassiker von Alexandre Dumas adaptiert und auch selbst Regie geführt. Ein Gespräch mit Matthieu Delaporte über den Film, der in Frankreich mit fast zehn Millionen Zuschauern ein riesiger Erfolg war, und den Spagat zwischen Originaltreue und Modernisierungen.
Mir fiel bereits bei den „Drei Musketieren“ auf, dass Sie als Drehbuchautoren die Figur der Milady, die Eva Green spielt, sehr viel komplexer und emotionaler anlegten als im Roman. Ähnlich ist es nun auch in „Der Graf von Monte Christo“ bei den Frauenfiguren. Wie wichtig war Ihnen, dass die weiblichen Figuren vielschichtiger geworden sind?
Matthieu Delaporte: Im Buch von Alexandre Dumas steht Milady für das absolut Böse. Er gibt ihr eine etwas diffuse Backstory, aber eigentlich ist sie der Teufel. Alexandre de la Patellière und ich wollten keine eindimensionalen Figuren. Bei Milady fanden wir dann einfach interessant, dass sie über eine große Entscheidungskraft verfügt. Sie benimmt sich dabei wie ein Mann. Bei Männern wird dieses Handeln akzeptiert. Aber wenn eine Frau sich so rücksichtlos durchsetzt, ist sie gleich eine Teufelin. Dabei agiert sie genauso wie jeder Spion.
Und wie wichtig waren die Frauenfiguren für „Der Graf von Monte Christo?
Delaporte: Nehmen
wir einmal Mercédès, an die sich jeder erinnert. Im Buch von Dumas taucht sie
auf 1400 Seiten nicht so oft auf wie in unserem Film, in dem sie mehr Szenen
hat. Im Buch bleibt sie eine Heilige, der man den Mann nahm und die dann ins
Kloster geht und sich später opfert. Wir wollten sie als eine Frau zeigen, die
sich nach einem tragischen Verlust etwas Neues aufgebaut hat. Sie hielt ja
Dantès für tot. Und es gibt etwas, dass ihr Dantès vorwirft, gegen das sie sich
nicht wehren kann. Eigentlich rächt er sich an den Männern, aber die größte Wut
und die größte Enttäuschung für ihn besteht darin, dass Mercédès ihn aufgegeben
hat. Das kann er ihr nicht verzeihen. Aber in der Szene, wo sie zu ihm sagt:
„Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben, aber was hast du erwartet?“, wird ihm
klar, wie absurd seine Rache eigentlich geworden ist. Er hat seine Liebe verloren,
und ob er nun einen Mann mehr oder weniger tötet, wird daran nichts mehr
ändern. Beide konnten ihre gemeinsame Liebe nie ausleben. Darin besteht die
große Tragik dieser Geschichte.
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Dantès/Monte Christo wird in ihrem Film sehr viel düsterer gezeichnet als gewöhnlich. Geht es Ihnen auch generell darum, es dem Zuschauer nicht immer leicht zu machen, wenn es um die Identifikation mit den Figuren geht?
Delaporte: Eine
Figur kann böse sein, ist aber interessanter, wenn es nicht bei Schwarz-Weiß-Zeichnungen
bleibt. Selbst jemand wie Kapitän Danglars, der ein Widerling ist, hält sich
zunächst an Befehle. Er will eine junge nicht Frau retten, weil für ihn die
Ware des Schiffes wichtiger ist. Als er dann seinen Job verliert, will er sich
rächen. Das ist menschlich. Er ist eben nicht nur böse. Auch Edmond Dantès ist zunächst
ein aufrechter Mann, der sich darüber freut, den Platz eines anderen einzunehmen.
Aber als man ihm alles nimmt, wird er grausam und sogar sadistisch. Es bereitet
ihm Freude, sich zu rächen. Es reicht ihm nicht aus, zur Polizei zu gehen oder die
Verhaftung seiner Peiniger zu fordern. Das ist etwas, was mir als Drehbuchautor
wichtig ist. Es macht mir keinen Spaß, Figuren zu erschaffen, die nicht komplex
sind.
Hinterfragen Sie nicht generell den Sinn von Rache?
Delaporte: Im Film gibt es ja vier ganz unterschiedliche Rächer und Rächerinnen: Edmond Dantès, Haydée, Angèle und André. Wir fanden es dabei interessant, dass alle sich aus ähnlichen Gründen rächen wollen, aber diese Rache ganz unterschiedlich ausüben. Edmond Dantès hat man sein Leben entrissen, und er beschließt, sich an den Männern, die dafür verantwortlich sind, genauso zu rächen. Er will demjenigen, der ihm sein Geld nahm, den Reichtum nehmen, demjenigen, der seine Ehre nahm, die Ehre nehmen, und dem Mann seine Liebe nehmen, der ihm einst seine Liebe stahl.
Angèle ist eine Kämpferin, eine
Widerstandskämpferin. Sie ist eine Anhängerin von Napoleon, wird von ihrem
Bruder gestoppt, der sie an ein Bordell verkauft. Sie will sich an ihm rächen
wie eine Kämpferin und ihn töten, aber dann entdeckt sie plötzlich dieses Baby,
das er lebendig vergraben will, und entscheidet sich für das Leben. Sie bringt
ein Opfer, das sie das Leben kostet. Haydée hat man die Eltern genommen, aus
ihr eine Sklavin gemacht. Sie will sich rächen, aber dann verliebt sie sich. Sie
entscheidet sich dann für die Liebe und gegen die Rache. Und dann ist da die
Figur von André, der als Baby von Angèle gerettet wurde. Er ist in gewisser
Weise wie ein Bruder von Haydée. Er kann nicht mehr lieben und lebt nur noch
für seine Rache.
Und wie wichtig war es Ihnen, diese ikonischen Erzählungen zurück ins Französische zu holen, nachdem es in den letzten Jahren viele englischsprachige Verfilmungen gab?
Delaporte: Wir haben sehr an der Sprache gearbeitet, aber so, wie es auch Dumas tat, der sehr frei damit umging und eine Art Kunstsprache schuf. Wir haben nicht versucht, die Sprache der damaligen Zeit zu verwenden, aber auch nicht nur mit heutiger Sprache gearbeitet. Es ging uns um eine Sprache, die schon viel mit unserer heutigen zu tun hat, aber auch runder wirkt, romantischer, irgendwie auch anders. Wichtig waren vor allem die Drehorte und die Epoche. Das musste stimmen. Daher war es wichtig, im Süden Frankreichs zu drehen, an Orten, die man mit dieser Epoche verbindet. Fast alle Außenaufnahmen entstanden in Frankreich, bis auf die Szenen im Hafen von Marseille, die wir in Malta drehten.
Worin bestand für Sie die große Herausforderung, sich an die Neuverfilmungen und Adaptionen von Dumas zu wagen, die auf mich härter wirken als andere Verfilmungen?
Delaporte: Dumas schrieb diese Romane in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Wenn ich ein Buch adaptiere, muss ich den Geist der Vorlage wahren. Der damalige Leser von Dumas wusste genau, wer Ludwig XIII. ist und wie viele Tote die Religionskriege forderten, als Katholiken und Protestanten sich gegenseitig abschlachteten. Heute wissen 95 Prozent der Franzosen nicht mehr, dass man sich aus religiösen Gründen jahrzehntelang gegenseitig umbrachte. Im Buch „Die drei Musketiere“ geht es aber genau darum und um die Duelle, die pro Jahr 3000 Tote forderten. Das muss man aber bei einer Adaption auch heute noch wissen, sonst versteht man nicht, warum die Musketiere die letzten sind, die noch mit dem Degen kämpfen, die sich aus einem Ehrbegriff heraus noch duellieren. In den meisten Verfilmungen wird das nie erklärt.
In „Der Graf von Monte Christo“ schreibt Dumas über Napoleon, und seine damaligen Leser wissen genau, dass er über einen Bürgerkrieg schreibt. Wir wollen als Drehbuchautoren nun keinen langweiligen Geschichtsunterricht erteilen, aber wir müssen herausarbeiten, um was es damals ging. Deshalb schickt Villefort Dantès ins Gefängnis, weil im Buch sein Vater und im Film seine Schwester dem gestürzten Kaiser Napoleon helfen wollen und damit seine Karriere als Staatsanwalt des Königs gefährden. In vielen Verfilmungen wird das aber nie wirklich erklärt.
In Frankreich erreichten die beiden „Musketiere“-Verfilmungen insgesamt etwa sechs Millionen Zuschauer, „Der Graf von Monte Christo“ sahen sogar 9,5 Millionen Franzosen im Kino. Damit haben die Filme ihr enormes Budget eingespielt und sogar Gewinn gemacht. Im Ausland sind die Filme weit weniger erfolgreich. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Delaporte: In Frankeich hat man, um sein Budget einzuspielen, die Einnahmen aus den Kinos, das Geld der französischen TV-Sender, die internationalen Einspielergebnisse und das Heimkino. Vor zwanzig Jahren brachten die Erlöse aus dem Heimkinobereich ebenso viel ein wie die verkauften Kinotickets. Und auch die Auslandsverkäufe waren wichtiger. „Cyrano de Bergerac“ sahen 1990 in Frankreich 4,5 Millionen Kinozuschauer. Auf Video spielte der Film so viel Geld ein wie im Kino. „Cyrano“ sahen jeweils über eine Million Zuschauer in Italien, Deutschland und Spanien. Heute sind die Heimkino-Einnahmen um etwa 80 Prozent eingebrochen, und wir haben mehr DVDs von „Der Vorname“ verkauft als von „Der Graf von Monte Christo“. Man hat also sehr viel weniger Einnahmen und das wirtschaftliche Risiko ist doppelt bis dreifach so hoch wie vor zwanzig Jahren.
In den USA dreht man nur noch Marvel-Filme oder Sequels. In Frankreich waren es in den letzten Jahren meist preisgünstige Komödien, die zwischen fünf und zehn Millionen Euro kosten. Das kann man in seinem Heimatmarkt einspielen. „Der Graf von Monte Christo“ kostete 40 Millionen Euro. Pathé trieb davon 20 Millionen auf und ging ein enormes finanzielles Risiko ein. Deswegen sieht man solche Filme nicht mehr. Sogar in den USA schaffen es höchstens noch Coppola, Nolan oder Tarantino, ihre Projekte zu finanzieren. Aber wo sind Regisseure wie die Brüder Coen heute? Es gibt keine mehr. „Gladiator II“ hat Ridley Scott gedreht, der über 80 Jahre alt ist und einst mit „Die Duellisten“ debütierte, den heute niemand mehr finanzieren würde.
Junge Zuschauer heute haben eine andere Kinokultur. Sie gehen nicht in ausländische Filme, nur in Hollywoodfilme. Es bleibt abzuwarten, wie „Der Graf von Monte Christo“ jetzt in Deutschland laufen wird. „Die drei Musketiere“ hat in Deutschland nicht funktioniert, aber vielleicht war der Film zu französisch. Bei „Der Graf von Monte Christo“ ist das anders. Das habe ich in Brasilien und in den USA selbst erlebt, als viele junge Zuschauer im Kino saßen. Den jungen Deutschen würde „Der Graf von Monte Christo“ bestimmt auch gefallen. Aber werden Sie auch ins Kino kommen?