Mit der gerade angelaufenen Komödie „Der Spitzname“ von Sönke Wortmann scheint eine momentan populäre deutsche Genrespielart, die man in Ermangelung anderer Begriffe Diskurskomödie mit Social-Engineering-Auftrag nennen könnte, an ihr Ende gekommen zu sein. Denn hinter ihren atemlosen Wortgefechten verbergen sich keine wirklichen Probleme mehr. Ein kurzer Überblick über komische Filme aus Deutschland, die sich auf aktuelle gesellschaftliche Probleme stürzen.
Wie kann man sich streiten, wenn man sich nicht mal mehr begrifflich auf das einigen kann, worum es geht? „,Beef‘ bezeichnet für mich immer noch Scheiben aus dem Fleisch eines Rindes“, nicht ein unerbittliches Wortgefecht, sagt Stephan (Christoph Maria Herbst) in Sönke Wortmanns „Der Spitzname“ zu Anna (Janina Uhse). Um sich gegenseitig besser verstehen zu können, scheint der Altersunterschied zwischen beiden schlicht zu groß. Aber auch sonst trennt sie einiges: Stefan ist oder war Professor für Neuere Deutsche Literatur, da ihn die Uni wegen unsensibler Sprache im Seminar vor Kurzem freigestellt hat. Anna hingegen feiert als Schauspielerin gerade ihren Durchbruch in einem Film namens „Leander Haußmanns House Party“.
Der Disput ist sich selbst genug
Komödien arbeiten oft mit solchen Zuspitzungen und Stereotypen. Sie erschaffen einen erzählerischen Rahmen für eskalierende Gegensätze. In „Der Spitzname“ sucht man hingegen vergeblich nach einem kohärenten Zusammenhang für die explodierenden Gesprächsdynamiken. Der Film etabliert eine Situation – eine Familie versammelt sich zur Hochzeitsfeier in einem Tiroler Hotel – und stürzt sich unter Hochdruck in eine Abfolge von Diskussionen, die trotz der Länge von knapp 90 Minuten kaum ein zeitgeistiges Buzzword auslassen. Der dabei entstehende Disput ist sich selbst genug.
Seit den 1990er-Jahren sind die Filme von Sönke Wortmann ein verlässlicher Seismograph für Trends und Genre-Erfolgswellen im deutschen Kino. Mit dem am Screwball-Comedy-Kino von Ernst Lubitsch geschulten „Allein unter Frauen“ (1991) prägte er maßgeblich die sogenannten Beziehungskomödien der Dekade und sorgte gleichzeitig mit „Der bewegte Mann“ (1994) für deren kommerziellen Höhepunkt. 2018 drehte er mit „Der Vorname“ einen der bislang exponiertesten Vertreter einer momentan populären Komödienspielart, die man in Ermangelung eines etablierten Genrebegriffs als so etwas wie eine Diskurskomödie mit Social-Engineering-Auftrag bezeichnen könnte: Filme, in denen zeitaktuelle gesellschaftliche und zwischenmenschliche Konfliktfelder anhand von sich archetypisch gebenden Figuren ausdiskutiert und letztlich auch betont begradigt werden.
Der Streit entbrennt am Esstisch
„Der Vorname“ ist dabei zwischen verdichtetem
Kammerspiel und klischeebehafteter Boulevardposse angesiedelt und basiert wie
die meisten anderen Filme dieser Art auf einer bereits etablierten Vorlage,
hier der französischen Theaterkomödie „Le prénom“ und deren gleichnamiger Filmadaption
(2012). Daraus entlehnt ist ein bildungssatter, wohlsituiert bürgerlicher
Erzählkosmos, den in zeitgemäße deutsche Lebensverhältnisse zu übersetzen
sichtlich einige Mühe gekostet hat; nicht von ungefähr wurde der Ort des
Geschehens in die Wiege der alten BRD verlegt, nach Bonn. Wie zu vordigitalen
Zeiten entbrennt hier der Streit nicht in Social-Media-Sphären, sondern noch am
Esstisch des Akademikerpaares Stephan und Elisabeth (Caroline Peters),
deren Bruder (Florian David Fitz), ein karrierebewusster
Immobilienmakler, seinem Kind den Vornamen Adolf geben will.
Während diese reichlich erzwungene Provokation noch als zweckmäßiger Reizmoment des Films dient, um im wohltemperierten Plauderton über das erodierende Selbstverständnis einer zunehmend desillusionierten bürgerlichen Mitte zu diskutieren, ist die Fortsetzung „Der Nachname“ (2022) schon rhapsodischer ausgearbeitet, eine faszinierend selbstgenügsame Fingerübung, in der Wortmann mehr Gefallen an der etüdenhaften Inszenierung von Dialoggefechten als den tatsächlich zugrundeliegenden Konflikten findet. Inmitten der Weinberge und Sandstrände von Lanzarote wird das Private im Hängemattenmodus unpolitisch. Was dem einen die Ursachenforschung einer drohenden erektilen Dysfunktion ist, ist dem anderen die bourgeoise Hingabe zur Kulinarik: „Alles, was du brauchst, ist Geduld, um die süßen Früchte des Lebens zu ernten.“
Auch in anderen Filmprojekten der letzten Jahre bleibt Sönke Wortmann dem kommerziell ertragreichen Durchspielen gesellschaftsrelevanter Reizthemen in kammerspielartiger Diskussionsform verpflichtet. Zur Hochzeit des dreiteiligen Schüler-Franchises „Fack ju Göhte“ (2013-2017), der finanziell einträglichsten Filmreihe im deutschen Kino des 21. Jahrhunderts, dreht er 2015 mit „Frau Müller muss weg!“ seine Version einer Schulkomödie, der einige Jahre später mit „Eingeschlossene Gesellschaft“ (2022) eine thematische Weiterführung folgte. Den Mikrokosmos Schule verengen beide Filme auf rein situative Rahmen: einen Elternabend beziehungsweise eine durch einen verzweifelten Vater erzwungene Lehrerkonferenz. Teenager sind darin weitgehend abwesend.
Die deutsche Schule erscheint durch Lehrer- und Elternaugen betrachtet eher als eine kaum zu bewältigende Konfliktzone. Im Unterschied zum US-amerikanischen Coming-of-Age-Kino richten sich diese Filme in ihrer pädagogischen Ausrichtung nicht an ein jüngeres Publikum – was ein wesentliches Grundproblem deutscher Schulkomödienproduktion seit der „Lümmel von der ersten Bank“-Reihe der ausgehenden 1960er-Jahre ist, die ebenfalls schon den Weg vom kurzzeitigen Liebäugeln mit dem widerständigen Zeitgeist hin zur bemüht-versöhnlerischen Befriedung der Jugendgeneration mit ihren Lehrern ging.
Eine Form des flotten Sprechtheaters
Familienleben und Schulalltag verstehen deutsche
Komödien der letzten Jahre in erster Linie als Gemeinschaftszusammenhänge, die
ihre eigenen Arten von Machtgefälle und Abhängigkeiten erschaffen. Diese erkannte
Bora Dagtekin, der Schöpfer von „Fack ju Göhte“, auch in
Paarbeziehungen und aus der Jugendzeit ins Erwachsenenalter verlängerten
Freundschaften. In „Das perfekte Geheimnis“ (2019), einem Remake
des italienischen Komödien-Blockbusters „Perfetti Sconosciuti“
(2016), zerstreiten sich drei langjährig befreundete Paare bei einem
gemeinsamen Abendessen über einem munter-schematischen Reigen aus
Vertrauensbrüchen. Dagtekin, dessen Komödienverständnis an der jahrelangen
Drehbucharbeit für Vorabend- und Privatfernsehserien geschult ist, interessiert
sich dabei viel mehr für schnelle, wohl gesetzte Pointen und auftrumpfende
Schauspieldarbietungen als für plausibel konstruierte Figuren.
Diese Form des flotten Sprechtheaters wurde seitdem oft kopiert, zuletzt 2024 in Marco Petrys „Spieleabend“ und „Der Vierer“ von Iván Sáinz-Pardo. Mit diesen beiden Filmen scheint die deutsche Beziehungskomödie fast 40 Jahre nach ihrer Geburt mit Doris Dörries „Männer“ (1985) mittlerweile nicht nur bei dem, was sie thematisch verhandelt, in der Midlife-Crisis angekommen zu sein. Pärchenabende als Setting sind im deutschen Kino der Gegenwart eine alternative Form von Familienstrukturen geworden. Gestritten und versöhnt wird sich dabei weiterhin am gemeinsamen Essenstisch.
Kompensation für Wohlstandsüberdruss
„Deutschland an einen Tisch bringen“, nannte der Regisseur Simon Verhoeven in einem Pressestatement zu „Alter weißer Mann“ (2024) denn auch dieses Konfigurations- und Erzählprinzip. Beherzigt hat er diese Maxime bereits 2016 in „Willkommen bei den Hartmanns“, eine der wenigen zeitgenössischen deutschen Diskurskomödien, die nicht aus bereits bestehenden Stoffen abgeleitet ist. Die Bewältigung der Flüchtlingskrise in den mittleren 2010er-Jahren erzählt der Film als Kompensationsanstrengung für deutschen Wohlstandsüberdruss. Die Familie eines mit seinem Alter hadernden Chefarztes („Manchmal weiß ich nicht, was sinnloser ist: mein Blinddarm oder mein Schwanz“) nimmt darin einen Geflüchteten aus Nigeria auf. Zwischen Culture-Clash-Komödienstandards und das Publikum direkt adressierendem Bildungsauftrag verhehlt Verhoeven dabei kaum, dass das Aushandeln von Argumenten und Ansichten deren Überwindung und Lösung als Grundvoraussetzung bereits mit sich führt. Damit legt er das Social-Engineering-Ethos, dem die meisten deutschen Diskurskomödien mehr oder minder bewusst folgen, noch etwas offener als andere an.
Im Verhältnis dazu wirkt „Der Spitzname“ geradezu wie ein Schlusspunkt. Das bewährte Durchspielen sattsam bekannter diskursiver Triebkräfte erscheint wie deren eigene parodistische Farce. Reibungspunkte im Alltag und Haltungsfragen im Gesellschaftlichen wechseln einander atemlos ab, die Bandbreite der angerissenen Themen gemahnt ans launige Stöbern im Zettelkasten mit Stichwörtern wie Sensitivity-Training als neue Firmenkultur, Klima-Aktivismus als mutmaßliches Lifestyle-Argument, der Bedeutungsunterschied zwischen Ageism und Altersdiskriminierung, rhetorische Whataboutism-Strategien und Triggerwarnungen im akademischen Kontext, Cancel-Culture und Sprachverbote, nicht-binäre Geschlechtsidentität und Rollenbilder am Arbeitsplatz. Hinter den Dutzenden Gefechten des Films verbirgt sich kein wirkliches Problem mehr. „Beef“ bezeichnet in dieser Diskurswelt vielleicht wirklich nur noch Scheiben aus dem Fleisch eines Rinds.