Seit 40 Jahren gibt es das Bonner Sommerkino, 2024 findet es zum 30. Mal als reines Stummfilm-Festival im Arkadenhof der Bonner Universität statt. Zum Jubiläum sind zwischen 8. und 18. August 21 kurze und lange Filme mit live aufgeführter Musik zu sehen, viele von ihnen werden danach auch als Stream zur Verfügung gestellt. Neben Publikumslieblingen von Chaplin und Keaton bis Douglas Fairbanks sind auch weniger bekannte Werke wie „Thora van Deken“ von John Brunius und „Eifersucht“ von Karl Grune zu entdecken.
Die Internationalen Stummfilmtage Bonn sind in Deutschland eine Institution, die einzigartig in der Förderung und Sichtbarmachung der Stummfilm-Kunst ist. Hervorgegangen aus dem 1985 begründeten Bonner Sommerkino, finden die Open-Air-Veranstaltungen 2024 bereits zum 30. Mal als reines Stummfilm-Festival statt. Bei den Aufführungen im Arkadenhof der Bonner Universität werden insgesamt 21 Filme präsentiert, darunter restaurierte Versionen, etwa von Luis Buñuels „Ein andalusischer Hund“ und Douglas Fairbanks’ „The Black Pirate“. Alle Filmvorführungen werden live von Stummfilm-Musikerinnen und -Musikern begleitet. Ein Großteil wird wie in den letzten Jahren im Anschluss an die Bonner Aufführungen im Internet auch als Stream für Publikum angeboten, das nicht vor Ort dabei sein kann.
Die Jubiläumsausgabe startet am 8. August mit dem Avantgarde-Klassiker „Ballet mécanique“, in dem Fernand Léger 1924 abstrakte Bilder von Menschen und Gegenständen mit diversen experimentellen Filmtechniken zum dadaistischen Kunstwerk verband, sowie der Komödie „Ehret eure Frauen“ von Carl Theodor Dreyer, einem der heitereren Werke des als spiritueller Melodramatiker bekannten Dänen über eine Frau, die einen tyrannischen Familienvater zum Mustergatten erzieht.
Slapstick, Scherenschnitt und Piraten
An fast allen Abenden werden zwei Filme aufgeführt, wobei das künstlerische Leitungsteam, Eva Hielscher und Oliver Hanley, zu Beginn oft populäre Werke zeigt, die sich erklärtermaßen auch an Familien-Publikum richten. Neben Buster Keatons „Sherlock Junior“ und Charlie Chaplins „Behind the Screen“ und der frühen Laurel-und-Hardy-Komödie „Slipping Wives“ gehören dazu mit „Alice auf dem Meeresgrund“ auch ein Film der „Alice“-Reihe von Walt Disney, die bereits Realaufnahmen und Zeichentrick kombinierten, sowie „Aschenputtel“ von der Scherenschnitt-Pionierin Lotte Reiniger.
Ebenfalls bis heute populär und wirkungsvoll sind stets die abenteuerlichen und von überwältigenden Stunts geprägten Filme von Douglas Fairbanks; sein Seeräuber-Film „The Black Pirate“ läuft zum Abschluss am 18. August. Gezeigt wird eine neue digitale Restaurierung des New Yorker Museum of Modern Art, in der die Farben des im damals neuen Zweifarben-Technicolor-Verfahren gedrehten Films in frischem Glanz erstrahlen.
Vom Japan-Melodram zur Buddhismus-Biografie
In ihrem Programm setzen die Stummfilmtage aber auch 2024 wieder auf Entdeckungen aus aller Welt. Japans Pionier Teinosuke Kinugasa wird mit dem Melodram „Jûjiro – Im Schatten von Yoshiwara“ gewürdigt, vom als Expressionist bekannt gewordenen Deutschen Karl Grune ist „Eifersucht“ zu sehen, in dem Werner Krauss und Lya de Putti als Ehepaar einen Absturz ihrer erst glücklichen Beziehung erleben. Dramatische Publikumslieblinge der Stummfilmzeit sind auch in „Seine Frau, die Unbekannte“ von Benjamin Christensen zu sehen, in dem Willy Fritsch als im Krieg erblindeter Künstler eine Pflegerin (Lil Dagover) heiratet, sie nach Wiederherstellung seiner Sehkraft aber zuerst wieder verliert.
Mit „Der Berg des Schicksals“ läuft bei den Stummfilmtagen zudem einer der frühen Bergfilme, die dem Genre in Deutschland zum Durchbruch verhalfen; in dem Film von Arnold Fanck gab Luis Trenker sein Schauspieldebüt. Ein früher Grenzgänger des Kinos war der Münchner Franz Osten, der ab den 1920er-Jahren vielfach auch in Indien drehte. In Bonn kommt „Prem Sanyas – Die Leuchte Asiens“ zur Aufführung, eine opulente Filmbiografie über den Buddhismus-Gründer Siddhartha Gautama, die komplett an Originalschauplätzen entstand.
Polnische Avantgarde und schwedisches Moraldrama
Zu den vertrauteren Stummfilm-Nationen wie den USA, Deutschland und Frankreich – aus letzterem werden unter anderem auch der stimmungsvolle Dokumentarfilm „La montagne infidèle“ von Jean Epstein über den Ätna und Jacques de Baroncellis „La femme et le patin“ gezeigt – kommen Länder wie die Tschechoslowakei und Polen hinzu. Als lohnende Wiederentdeckung präsentiert sich insbesondere „Europa“: Die Avantgarde-Arbeit wurde 1931 vom polnisch-jüdischen Ehepaar Franciszka und Stefan Themerson gedreht und galt lange Zeit als verschollen.
Auch die lange Tradition von schwedischen Filmen bei den Stummfilmtagen wird 2024 fortgesetzt: In „Thora van Deken“ inszenierte John Brunius 1920 seine Frau Pauline in einer anspruchsvollen Hauptrolle als Witwe, die das Testament ihres Exmannes verbrennt, um ihrer Tochter das Erbe zu sichern, aber mit moralischen Skrupeln zu ringen hat.
Spannende Musikbegleitungen
Begleitet werden die Filme wie jedes Jahr von renommierten Musik-Künstlern wie dem Aljoscha Zimmermann Ensemble, Neil Brand, Günter A. Buchwald, Richard Siedhoff, Stephen Horne und Elizabeth-Jane Baldry. Unter den jüngeren Ensembles versprechen vor allem das Klavier-Saxophon-Duo M-Cine (bei „Thora van Deken“) und das Trio Filmsirup (bei „The Black Pirate“) unkonventionelle Begleitungen ihrer Stummfilme. Wie in den letzten Jahren werden die Abend-Begleitungen zum Teil auch bei den Streaming-Videos am nächsten Tag zu hören sein.
Hinweis:
Einen Überblick über das Gesamtprogramm der Bonner Stummfilmtage findet sich hier.