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Einzelgänger mit Eruptionen - Donald Sutherland

Zum Tode von Donald Sutherland (17.7.1935-20.6.2024)

Veröffentlicht am
23. Juli 2024
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Der kanadische Schauspieler Donald Sutherland besaß keine herkömmliche Attraktivität, aber eine einzigartige Ausstrahlung, der er eine lange Leinwandkarriere verdankte. Zum Star wurde er als Einzelgänger oder Außenseiter, die er linkisch, sarkastisch und eiskalt gestalten konnte, sei es als Chirurg im Koreakrieg in „M.A.S.H.“, als Casanova oder Nazi-Spion in „Die Nadel“. Seine präzise Darstellungskunst machte ihn bis ins hohe Alter gesucht für Vaterfiguren oder für Schurken wie in „Die Tribute von Panem“ und verschaffte ihm den Beifall neuer Generationen. Ein Nachruf.


Es wurde über die vielen Jahre seiner langen Karriere geradezu zu einer Generationenfrage, welchen Film, welche prägende Rolle, welchen darstellerischen Typus man mit Donald Sutherland am ehesten verband und verbindet. Mein „Erstkontakt“ zum Beispiel erfolgte in den frühen 1980er-Jahren über den packenden, manche mögen sagen: reißerischen Agententhriller „Die Nadel“ (1981) – und ich war sofort fasziniert: von Sutherlands herb-männlicher Ausstrahlung, die irgendwie zugleich etwas linkisch und sehr cool war, von der präzisen, ökonomischen Professionalität, mit der er jenen schwierigen Charakter eines deutschen Spions hinter feindlichen Linien „über die Bühne“ brachte. Später kamen Ehrfurcht vor seinem Mut und seiner sicheren Hand bei der stilbewussten Auswahl seiner Rollen dazu. Henry Faber, der eiskalte, gefühllose, stets lebensgefährliche Nazi-Krieger, der tragisch untergeht, weil er all dies eben nicht nur ist, wird mir zumindest ewig unvergesslich bleiben; und er prägte und präzisierte mit Sicherheit auch die Silhouette jenes Rollenklischees.

Donald Sutherland war Kanadier (nicht etwa Brite oder gar US-Amerikaner, wie wohl manche meinten) und entstammte großbürgerlichen Familienverhältnissen. Seine Kindheit, in welcher er öfter kränkelte, war bestimmt von zweierlei: solider allgemeiner Ausbildung in der Schule und später dem College und einer früh entdeckten und entwickelten Hinneigung zur Bühne, zum Darstellerischen. So war er in seinen Anfängen etwa auch ein begabter Puppenspieler. Auf Wunsch oder auch Druck seines Vaters, eines CEO in der Energiewirtschaft, studierte er in den 1950er-Jahren parallel zu Schauspiel und Drama auch Ingenieurwesen an der Victoria University.

Donald Sutherland als Nazi-Spion in „Die Nadel“ (© United Artists)
Donald Sutherland als Nazi-Spion in „Die Nadel“ (© United Artists)


Souverän im Auftreten

Wenngleich man derlei Früh-Biografisches bei einem nachmaligen veritablen Weltstar vielleicht nicht allzu hoch bewerten sollte, liegt es doch nahe, darin Einflüsse auf Sutherlands reifere Leinwandpersönlichkeit auszumachen: stets souverän im Auftreten, oft als intellektueller Charakter, sich persönlich nie zu wichtig nehmend oder in den Vordergrund spielend (die schwerste Übung für einen Schauspieler!) sowie geachtet für jene schon gerühmte Präzision in Anlage und Ausführung seiner Figuren. Manche talentierten Darsteller sind ein Albtraum am Set und für ihre Regisseure; mit Donald Sutherland, so stelle ich mir vor, war der Dreh sicherlich eher ein allseits anregendes Vergnügen!

Überhaupt sein Auftreten, seine Physis: Schauspieler sehen dieser Tage oft genug wie Models aus und agieren mitunter so, als wären sie das sogar lieber. Selten genug, dass ein Darsteller mit solchen charaktervollen äußerlichen Eigenheiten via Hollywood die Chance auf die ganz große Karriere bekommt. Lang und schlaksig war alles an Donald Sutherland – der Körper, die Glieder, die Zähne (!) – und Bärte trug er bereits Jahre, bevor sie zeitgeistige Mode wurden. Umso mehr spricht dies für das schiere und unanfechtbare Talent, die bezwingende Persönlichkeit Sutherlands, welche zunächst wichtige Entscheidungsträger im Filmgeschäft und dann ein weltweites Publikum überzeugten. Man könnte Donald Sutherland somit einen „Actors’ Actor“, einen Schauspieler für und nach dem Geschmack der Schauspieler nennen, und einige Kollegen haben sich dann auch in den entscheidenden Jahren seiner frühen Entwicklung nachhaltig für ihn eingesetzt – von Roger Moore am Set der britischen Fernsehserie „The Saint“ bis zu Robert Redford, der ihn in seinem Regiedebüt „Eine ganz normale Familie“ (1980) prominent besetzte.


Der coolste Filmstar auf Erden

Der künstlerische wie populäre Durchbruchserfolg für Sutherland kam sicherlich mit Robert Altmans schwarzhumoriger „Kriegskomödie“ „M.A.S.H.“ (1970), die den Zeitgeist jener Jahre voll traf und in der Szene einer kritisch-liberalen US-amerikanischen Gegenkultur zu einem sofortigen Kultklassiker avancierte. Da hatte man es plötzlich nicht mehr mit nur gut gemeinten und häufig hilflosen Versuchen des künstlerischen Systems zu tun, „Make Love not War“ zu propagieren. Als abgebrühter Chirurg im Koreakrieg verschafft Sutherlands zu selten gewürdigte sarkastische, galgenhumorige Seite ein unmittelbar wohltuendes „Comic Relief“ eigentlich unerträglicher Zustände. Owen Gleiberman schrieb in „Variety“: „1970 war Donald Sutherland der coolste Filmstar auf Erden. In dem Moment, als ich ihn in ‚M.A.S.H.‘ sah, wusste ich: Er ist die Person, die ich sein wollte – ganz ähnlich wie ich auch Mick Jagger und Steve McQueen sein wollte …“

„Wenn die Gondeln Trauer tragen“ war einer von Sutherlands großen Erfolgen der 1970er (© Gloria)
„Wenn die Gondeln Trauer tragen“ war einer von Sutherlands großen Erfolgen der 1970er (© StudioCanal)

„M.A.S.H.“ und das Jahr 1970 markieren auch den Beginn einer losen Trilogie satirisch-komödiantischer sogenannter Antikriegsfilme, welche Sutherland damals als Vertreter engagierter Kunst beschäftigten, mit „Stoßtrupp Gold“ (1970) und vor allem „F.T.A.“ (1972). Letzterer zusammen mit der Weggefährtin Jane Fonda, mit der er kurz zuvor in einem der ungewöhnlichsten und thematisch wie stilistisch anspruchsvollsten Detektiv-Psychothriller gespielt hatte, „Klute“ (1971), für den Fonda zu Recht den „Oscar“ gewann. Damals schärfte sich auch endgültig Sutherlands klassisches Rollenprofil: komplexe Charaktere mit (dunkler) Vergangenheit, häufig Einzelgänger oder Außenseiter aus gesellschaftlicher Bedrängnis oder eigenem intellektuellen Bedürfnis. Jederzeit fähig zu jähen Eruptionen starken Gefühls und begabt mit einer Art gierigen, virilen Sexappeals, der auch gewagteste Szenen in dieser Hinsicht glaubwürdig werden ließ. „Donald war ein brillanter Schauspieler und ein vielschichtiger Mensch, der so einige Abenteuer zusammen mit mir erlebt hat“, erinnert sich Jane Fonda, nachvollziehbar wehmütig.

Die 1970er-Jahre sehen Donald Sutherland auf dem Höhepunkt seines Ruhms und seiner Popularität. Es sind seine in der Retrospektive bedeutendsten und künstlerisch anspruchsvollsten Filme, die damals entstanden: Neben den bereits genannten unbedingt hier zu erwähnen sind „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ (1973), Bertoluccis Mammutprojekt „1900“ (1976), die beide auf ihre Art und dank Sutherlands darstellerischer Präsenz ikonische und bis heute eindringlich-beklemmende Bilder und Szenen produzierten, sowie „Fellinis Casanova“ (1976), der seinem kreativen Portfolio zarte, ganz modern zwischen den Geschlechtern changierende Facetten hinzufügte.


Vom politischen Rebellen zum „Elder Statesman“

Daneben blieb Sutherland weiterhin dem Theater treu; so verkörperte er 1981 in New York Humbert Humbert in Edward Albees Adaption von Nabokovs Roman „Lolita“. Es bleibt vor dieser Folie ein ewiges Versäumnis, dass die Academy of Motion Picture Arts and Sciences sich nie entschließen konnte, Donald Sutherland mit dem „Oscar“ für eine Einzelleistung auszuzeichnen (oder auch nur zu nominieren). 2017 schließlich erhielt er – allzu spät – den Ehrenpreis für sein Lebenswerk; er hielt daraufhin eine sehr launige Rede, in der er den Komiker Jack Benny zitierte: „Ich habe diesen Preis nicht verdient, aber ich habe Arthritis, und die habe ich auch nicht verdient.“

Als Diktator in „Die Tribute von Panem“ (© StudioCanal)
Als Diktator in „Die Tribute von Panem“ (© StudioCanal)

Aus dem politischen Rebellen der frühen Jahre war allmählich so etwas wie ein „Elder Statesman“ der Zunft der Charakterschauspieler geworden. Nicht selten wurden ihm nun Rollen als Berater, graue Eminenz, Vaterfigur, Priester oder Oberschurke angetragen, und Sutherland fügte sich ins Unvermeidliche – seine Statur und seine mittlerweile schlohweißen Haare verfehlten schließlich nicht ihre Wirkung. Oft stand er jetzt darstellerisch auf der dunklen Seite der Macht, etwa in Wolfgang Petersens Pandemiestück „Outbreak“ (1995), in dem er als Major General Donald McClintock das lebensbedrohliche Virus gleich mit allem Leben selbst auslöschen möchte, oder noch viel später als Präsident Coriolanus Snow in „Die Tribute von Panem - The Hunger Games“ (2012) und den drei Fortsetzungen. Diese finale Hinwendung zum seriellen filmischen Erzählen verbürgt heute seine Popularität auch unter jüngeren und jüngsten Generationen. Dabei hatte Donald Sutherland durchaus Glück bei der Auswahl der realisierten Projekte; etwa auch seine Darstellung des süffisant-fiesen Patriarchen Tripp Darling in der Serie „Dirty Sexy Money“ (2007-09) verdiente mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung.

Nun ist Donald Sutherland, Kanadier im Herzen und von Abstammung, gewichtige Stimme in der „Industry“ gemäß seinen Verdiensten, Schauspieler der Extraklasse aufgrund von Begabung und Berufung, nach längerer Krankheit 88-jährig in Miami verstorben.

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