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Viel Raum zum Atmen - Isabel Herguera

Ein Gespräch mit der Bildenden Künstlerin und Filmemacherin Isabel Herguera über ihren Film „Sultanas Traum“

Veröffentlicht am
20. März 2024
Diskussion

Eine junge Frau begibt sich auf eine Initiationsreise durch Indien, auf der Suche nach „Ladyland“, dem utopischen Reich der Frauen. Wie die Protagonistin in „Sultanas Traum“ stammt auch die Regisseurin Isabel Herguera aus dem Baskenland und verbrachte ebenfalls mehrere Jahre in Indien. Für ihren vielschichtigen Animationsfilm wählte sie ganz unterschiedliche stilistische Techniken.


Sultanas Traum“ beruht auf einem Roman der bengalischen Schriftstellerin Rokeya Sakhawat Hussain. Wie haben sie diesen Stoff zu einem so vielschichtigen Animationsfilm entwickelt, der höchst unterschiedliche Stile umfasst.

Isabel Herguera: Als ich 2012 auf den Roman „Sultana's Dream“ stieß, war ich schon viele Jahre als Trickfilmerin unterwegs. Animation ist für mich mein eigentliches Kommunikationswerkzeug. Bei all den erzählerischen Nuancen dieses utopischen Buches von Rokeya Hussain konnte ich mir nur einen Animationsfilm vorstellen. Zuerst dachte ich an eine direkte, unmittelbare Adaption. Darin hätte die Autorin Hussain von einem utopischen Land erzählt, das von Frauen regiert wird, während die Männer keinerlei Bildung erhalten und sich um die Hausarbeit kümmern. Das wäre eine interessante Geschichte gewesen. Aber mich faszinierte zugleich das spannende Leben dieser Frau. Um nicht zwei Filme zu konzipieren, wollte ich das zunächst in eine Rahmenhandlung packen. Ich überlegte mir also die Figur dieser jungen Frau Inés. Die beginnt eine Initiationsreise durch Indien, auf der Suche nach dem Land der Frauen, einer feministischen Utopie, und auf den Spuren von Rokeya Hussain. Ihre Reise haben der Co-Autor Gianmarco Serra, mein Lebensgefährte, und ich auch selbst gemacht. Serra ist auch für die Musik und das Tondesign verantwortlich. Unsere lange Reise war sehr wichtig, denn so konnten wir die fiktive Protagonistin mit Elementen aus der Wirklichkeit anreichern und die Geschichte glaubwürdiger machen. Insgesamt haben wir zehn Jahre lang an dem Film gearbeitet. Ich wollte die Figur von Rokeya Hossain wiederentdecken. Dabei ist viel Persönliches eingeflossen, mein Aufenthalt in Indien und die Arbeit mit indischen Frauengruppen. Der Film ist wie ein wilder Busch, wo immer wieder neue Geschichten an ganz unerwarteten Stellen aufblühen. Manche Szenen und Episoden wurden zuerst gezeichnet, bevor sie in Worte gefasst wurden; manche entstanden aber auch auf der Grundlage des Materials, das Serra und ich in Indien gefilmt haben.

Isabel Herguera bei der Premiere von "Sultanas Traum" in San Sebàsitan (Jorge Fuembuena)
Isabel Herguera bei der Premiere von "Sultanas Traum" in San Sebásitan (Jorge Fuembuena)

Animationsfilme spielten auf den großen Filmfestivals viele Jahre lang keine große Rolle. Wie schätzen Sie es ein, dass Ihr Film in San Sebástian im Wettbewerb gelaufen ist?

Herguera: „Sultanas Traum“ ist ein sehr eigenwilliger und auch sehr unabhängiger Film. Als er nach San Sebástian eingeladen wurde, konnte ich es zuerst gar nicht glauben. Ich dachte, dass es ein Scherz sei. Und dann lief der Film auch noch im Wettbewerb! Generell kann man sehen, dass sich Festivals stärker dem Animationsfilm öffnen. Der Erfolg von Hayao Miyazaki oder auch der Animationsfilme von Fernando Trueba zeigen, dass sich etwas verändert hat. Man nimmt Animationsfilme heute anders wahr. Es ist kein Kinderfilmgenre mehr. Animationsfilme werden künstlerisch und grafisch ernster genommen. Sie können Geschichten erzählen, die man mit Realbildern nicht darstellen kann.

Ist „Sultanas Traum“ ein politischer Film?

Herguera: Etwas wirklich Künstlerisches ist immer politisch. Jede Kunst ist politisch, wenn man damit etwas aussagt. Die Filmkunst ist von allen Künsten diejenige, mit der man am meisten ausdrücken und kommentieren kann. „Sultanas Traum“ ist aber kein plakativer Film, sondern drückt auf sehr natürliche Art aus, dass Frauen Macht haben und dass sie sich diese Macht auch nehmen können. Zum Wohle aller. Warum muss man immer noch darüber berichten, wie viele Frauen bei einem Filmfestival antreten oder wie viele Ministerinnen in der Regierung sitzen? Warum müssen wir das nach so vielen Jahren immer noch mit Zahlen übermitteln? Weil die Wirklichkeit den Ideen weiterhin hinterherhinkt. Ich hoffe, dass „Sultanas Traum“ ein kleiner Beitrag dazu ist, dass Frauen sich in der Zukunft nicht mehr mit solchen Dingen herumschlagen müssen, sondern dass ihr Platz und ihre Stärken etwas ganz Natürliches sind.

Gibt es in „Sultanas Traum“ einen besonderen weiblichen Blick?

Herguera: Wir wollten in erster Linie Frauengeschichten erzählen. Ich würde die Frage gerne einmal von der anderen Seite her betrachten. Was ist mit den Filmen von John Ford? Die mit John Wayne. Das sind ausschließlich männliche Geschichten. Damit bin ich aufgewachsen. Ich habe es genossen und keinen Moment lang gefragt, warum Frauen in diesen Filmen eigentlich keine große Rolle spielen. Denn der männliche Blick war ganz natürlich und unbefangen. Wenn wir das heute umgekehrt machen, wenn wir Frauenfilme mit weiblichen Figuren drehen, dann hoffe ich, dass die Kinder sich später nicht fragen: Warum spielen hier gar keine Männer mit? Wir müssen alles dafür tun, dass es unwichtig wird, ob es Männer oder Frauen oder diverse Personen sind, um die sich die Handlung dreht; wichtig sind die Geschichten, nicht die Geschlechter.

Brauchen wir also nicht mehr Heldinnen im Kino und weniger Helden?

Herguera: Wir werden Schritt für Schritt mehr Heldinnen haben. Aber wie ich schon sagte: Früher waren wir daran gewöhnt, dass John Wayne der Held ist, und das war uns genug. Warum kann das nicht Monica Vitti sein oder irgendeine andere Protagonistin, die uns unabhängig von ihrem Geschlecht einfach überzeugt?

Szenenbild aus "Sultanas Traum" (Luftkind Filmverleih)
Szenenbild aus "Sultanas Traum" (Luftkind Filmverleih)

Der Stil von „Sultanas Traum“ fasziniert, weil sich die Bilder überlagern und viele Einstellungen wie Gemälde wirken. Wie stark unterscheidet sich die Erzählweise des Films von konventionellen Animationstechniken?

Herguera: Es war entscheidend, dass Bilder die grundlegenden Bestandteile der Erzählung sind. Dass sie die Atmosphäre der Geschichte stimuliert, vergleichbar etwa mit den Filmen von Victor Erice. In denen ist das Schweigen besonders wichtig. Die Textur der Bilder erlaubt es, sich zu entspannen und die eigenen Emotionen zu beruhigen. Deswegen musste die ästhetische Dimension der Bilder klar definiert sein. Sie stützt sich mehr auf die Malerei und weniger auf die Animation. Entsprechend viel Energie haben wir in die Gestaltung der Bildhintergründe gelegt. Wir wollten diesen Teil der Erzählung über die Textur dazu nutzen, um die gesamte Atmosphäre des Films zu bestimmen. Dafür haben wir ganz unterschiedliche Stilformen eingesetzt. Am wichtigsten aber war, dass alles über das Bild erzählt wird. Ich habe verschiedene Techniken genutzt, um die drei Handlungsstränge in ihren Unterschieden herauszuarbeiten. Die Reise von Inés habe ich mit Aquarellen erzählt, eine Technik, die ich sehr häufig in meinen Heften verwende. Für das Leben von Rokeya Hossain habe ich mit ausgeschnittenen Elementen gearbeitet, um mich der Atmosphäre des Schattentheaters zu nähern, das Anfang des 20. Jahrhunderts zu den großen populären Unterhaltungsformen in Indien zählte. Und ich habe mit Henna-Tattoos gearbeitet, den Mehndi-Tattoos, um das Land der Frauen zu charakterisieren. Das ist eine alte Tradition mit Bildern und Ornamenten, die temporär auf den Körper der Frauen gemalt werden, wenn sie auf die bevorstehende Ehe vorbereitet werden. Das schien mir wegen des symbolischen Wertes besonders geeignet.

„Sultanas Traum“ ist ein femininer, ein feministischer, aber auch kosmopolitischer Film. Er führt von Madrid ins Baskenland und dann kreuz und quer durch Indien. Das erinnert manchmal die Reiseromane des 19. Jahrhunderts. Ist die Reise die Struktur des Films?

Herguera: Ja, genau, Inés Reise ist eine romantische Reise. Es ist eine große Tour, ganz wie im 19. Jahrhundert, auf der Suche nach dem Grab von Rokaya Hussain. Eine Art Wallfahrt, um es so auszudrücken. Man ist nur noch einen Meter von ihren sterblichen Überresten entfernt. Andererseits ist diese Reise aber auch ein sehr modernes Konzept. Heute bewegen sich die jungen Leute von einem Ort zum anderen, arbeitet man mal hier, mal dort; und überall passt man sich den unterschiedlichen Atmosphären und Töne an. Diese Beweglichkeit, die sich die Menschen inzwischen angeeignet haben, wollten wir auch im Film darstellen. Heute stammen wir von vielen Orten gleichzeitig ab.

In diesem Zusammenhang fand ich die Figur des Vaters sehr interessant. Ein Filmproduzent, der sich ebenfalls immer auf Reisen befindet. Der ständig unterwegs, für seine Tochter aber dennoch gegenwärtig ist. Wie ist dieser Protagonist entstanden?

Herguera: Die Figur des Vaters ist durch den Produzenten Roberto Bessi inspiriert, der „Sandokan – Der Tiger von Malaysia“ (1976) auf den Weg gebracht hat. Er ist ein guter Freund von Gianmarco Serra. Wir haben ihn mit hereingenommen, weil er ein geborener Träumer ist, der so viele unterschiedliche Filme produziert und unterstützt hat und der Erste war, der uns geholfen hat. Er ist ein so positiver Mensch, der keinen Gedanken daran verlor, dass es ein riskantes Projekt war, das leicht Schiffbruch hätte erleiden könnte. Er ist durch und durch ein Unterstützer. Das spiegelt sich im Film in der Figur von Inés Vater wider.

Aus "Sultanas Traum" (Luftkind Filmverleih)
Aus "Sultanas Traum" (Luftkind Filmverleih)

Animationsfilme sind viel teurer als Realfilme. Wie war das bei der Finanzierung des Films?

Herguera: Die Finanzierung war schwierig. Es war mein erster Langfilm. Ein Autorenfilm. Viele Probleme waren bei der Finanzierung noch nicht gelöst. Aber wir hatten die Unterstützung von Co-Produzenten, die uns zur Seite standen, obwohl sie um das Risiko des Films wussten. Nachdem die Spanier an Bord waren, kam 2023 der deutsche Co-Produzent Fabian Driehorst hinzu, was uns am Ende Raum zum Atmen gab. Dank dieser Hilfe war es möglich, den Film in Ruhe zum Abschluss zu bringen.

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