© Archiv Stefan Moses - Münchener Stadtmuseum / Courtesy Johanna Breede (Stefan Moses: "Tilla Durieux", 1975)

Was machte das Kino? Zwei Ausstellungen zur Nachkriegs-Kinokultur

Zwei Ausstellungen in Berlin und Hannover beleuchten derzeit die Bedeutung, aber auch Widersprüche der westdeutschen Nachkriegs-Kinokultur

Veröffentlicht am
11. August 2023
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Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Kino in Westdeutschland zur beliebten Freizeitbeschäftigung, war aber auch ein Ort, an dem die Widersprüche der Nachkriegskultur aufeinanderstießen. So traf der Wunsch nach Unterhaltung, die von der Erinnerung an Schuld und Elend der NS-Zeit ablenkte, auf die Wiederbegegnung mit geflohenen Filmschaffenden, die aus dem Exil zurückkehrten. Dazu gehörte die Schauspielerin Tilla Durieux, der derzeit eine Ausstellung in Berlin gewidmet ist; hier und in einer weiteren aktuellen Ausstellung in Hannover zur Kinokultur der Nachkriegszeit ergeben sich aufschlussreiche Einblicke in eine Phase der Widersprüche.


Nicht ohne Stolz beschrieb 1963 die Schauspielerin Tilla Durieux ihre Arbeit für das Fernsehen in einem Interview: „Als Kind erledigte ich meine Schularbeiten noch bei Gaslicht, und heute arbeite ich mit den modernsten Wiedergabe-Mitteln, die es gibt.“ Durieux stand kurz vor ihrem 83. Geburtstag und blickte auf ein langes Leben am Theater, beim Film und schließlich auch beim Fernsehen zurück. Geboren 1880 in Wien, spielte sie ab 1903 auf den wichtigsten Bühnen Berlins, unter Regisseuren wie Max Reinhardt, Leopold Jeßner, Karl Heinz Martin und anderen. Im März 1933, nach der Regierungsübernahme der Nationalsozialisten, floh sie zusammen mit ihrem jüdischen Ehemann Ludwig Katzenellenbogen aus Deutschland. Dass die beiden sich in den folgenden Jahren an einem Hotel auf der Mittelmeerinsel Istrien beteiligten, vermag nicht über die schreckliche Zeit hinwegtäuschen. Nach dem Überfall auf Jugoslawien wurde Katzenellenbogen von den deutschen Besatzern verhaftet und starb später in Haft. Durieux schlug sich durch, engagierte sich nach 1946 als Kostümbildnerin beim Puppentheater in Zagreb und zog Mitte der 1950er-Jahre nach Berlin. Hier starb Tilla Durieux 1971.


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Tilla Durieux’ Faszination auf die Zeitgenossen

Das Georg Kolbe Museum in Berlin widmet Durieux eine Sonderausstellung (noch bis zum 20. August), die, statt nur auf biografische Stationen zu fokussieren, der Faszination nachgeht, die die Schauspielerin ausübte, und der Wirkung auf das zeitgenössische Theater- und Kinopublikum. Den Besucher erwarten in den ersten Räumen zunächst zahlreiche Durieux-Bildnisse, darunter Werke von Ernst Barlach, Lovis Corinth, Franz von Stuck und auch von ihrem ersten Ehemann Eugen Spiro. Die Gemälde und Skulpturen zeigen sie mal privat, mal in einer Rolle, mal eine private Rolle spielend. Nur auf wenige Titel beschränken sich Durieux’ Auftritte im Film vor 1933. Wie eindrücklich sie diese aber zu gestalten wusste, macht die Ausstellung mit einem Ausschnitt aus Fritz Langs „Frau im Mond“ deutlich. Durieux gehört hier – als einzige Frau – zu der Gruppe internationaler, steinreicher Geschäftsleute, die die Weltraummission für ihre Interessen nutzen wollen. Sichtlich verblüfft studiert sie die Raketenpläne und pafft dabei eine Zigarre. Eine ironische Selbstinszenierung, die sich von den von den Malern gewählten Darstellungen als Circe oder Kleopatra abhebt.

Zeitgenossen wie Max Slevogt ehrten Tilla Durieux mit Porträts wie hier als Kleopatra (© Privatsammlung, Foto: Leopold Museum Wien)
Zeitgenossen wie Max Slevogt ehrten Tilla Durieux mit Porträts wie hier als Kleopatra (© Privatsammlung, Foto: Leopold Museum Wien)

Leider geht die Ausstellung im letzten Abschnitt den Filmarbeiten der Remigrantin Durieux nicht weiter nach. Die Schauspielerin, die unterschiedliche Künstler inspirierte, ließ sich im Kino auf keine Rolle festlegen, wurde sowohl als greise Zarin in Falk Harnacks „Anastasia, die letzte Zarentochter“ besetzt als auch von Ulrich Schamoni für seinen Film „Es“. Und auch die Karriere im jungen Fernsehen der Bundesrepublik, über die sie Anfang der 1960er-Jahre so staunte, beschränkt sich auf einen Raum, in dem die Fred-Denger-Produktion „Langusten“ aus dem Jahr 1961 läuft.


Kinoboom und engagierte Kulturpolitik

Mit dem Fernsehen endet auch die Ausstellung „Premierenfieber – Kinokultur im Hannover der 1950er Jahre“ (bis 31. Oktober) im Historischen Museum Hannover. Die Stadt war kein Zentrum der Filmproduktion, doch erlebte die niedersächsische Landeshauptstadt in der Nachkriegszeit einen Kinoboom – 52 Kinos 1958! –, der mit einer engagierten Kulturpolitik einherging. Der Rundgang führt vom Wiederaufbau Hannovers nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem viele der großen Kinos zerstört worden waren, über in Niedersachsen gedrehte und in Hannover uraufgeführte Spielfilme bis zur Ausbreitung des Fernsehens und der Konsumkultur der späten Adenauerjahre. Die Wiederentdeckung des west-deutschen Nachkriegskinos ist verschiedentlich unternommen worden, etwa in der Retrospektive „Geliebt und Verdrängt: Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland“, die 2016 im Rahmen des Filmfestivals in Locarno stattfand. Beeindruckend und staunenswert an der Ausstellung in Hannover ist hingegen die Annäherung an die Nachkriegszeit vom Kino und dem Publikum aus. Die neuen Kinofassaden hoben sich im neuen Hannover ab, mit Passagen wie vor den „Weltspielen“ in der Georgenstraße oder einer modernen Fensterfront wie das „Theater am Aegi“. Es musste sich nicht mal um einen Film drehen: Auf einer vergrößerten Fotografie ist Zarah Leander in der Menschenmasse vor dem Georgspalast kaum mehr zu erkennen. Ein Banner verspricht, dass man nicht nur den Star sehen werde, sondern auch „ihren weißen Cadillac“. Sorgfältig sind die Exponate ausgewählt worden, die von dieser Kinoepoche Zeugnis ablegen: Grundrisspläne von Kinos, ein Bauchladen für den Zigarettenverkauf, eine Kinokasse, Plakate, Werbeprospekte und Aufsteller. Sie stammen zum Großteil aus dem Besitz des Filminstituts Hannover.

Zeitgenössisches Kinoplakat der 1950er-Jahre, entworfen von Bernd Reichert (© Historisches Museum Hannover)
Zeitgenössisches Kinoplakat der 1950er-Jahre, entworfen von Bernd Reichert (© Historisches Museum Hannover)

Der erste Raum erinnert mit der grauen Wandfarbe und dem Baugerüst, an dem Exponate angebracht sind, an die Nachkriegszeit und den Wiederaufbau. Als Baumaterial dringend für die Errichtung neuer Wohnungen und Häuser gebraucht wurde, entstanden die neuen Kinopaläste in Hannover. Im zweiten Raum verdeckt roter Samt das Gerüst, dem Kino gefällt die glitzernde Fassade. Der Ausstellung gelingt etwas, was die Filmreihen zumeist nicht erreichen: Sie zeigt, wie die kommerzielle Filmkultur die Widersprüchlichkeit der Nachkriegsgesellschaft in sich aufnahm und sie zugleich verdeckte. Hier steht man zwischen einem Plakat für Falk Harnacks Antikriegs-Melodrama „Unruhige Nacht“ und einem Wahlplakat der Deutschen Partei, die sich für einen starken rechten Flügel einsetzt. Heinz Erhardt scheint beide zu sich nehmen zu wollen, wenn er den Exponaten die Arme entgegenstreckt. Bei dieser Art der Inszenierung stören die Texte nicht weiter, die zuweilen oberflächlich und vereinfacht formuliert sind.


Brüche und Widersprüche im Nachkriegskino

Etwas verloren hingegen wirkt ein 16mm-Filmprojektor, der seinerzeit sicherlich nicht im Kino zum Einsatz kam. Er verweist vielmehr auf eine andere Geschichte der 1950er-Jahre, die noch zu erzählen sein wird, auf die aber die Ausstellung klug hinzuweisen versteht: Die Arbeit der Filmclubs und der Aufbau einer alternativen Filmkultur. Zu dieser gehört auch Herbert Veselys „Nicht mehr fliehen“, produziert von der Filmaufbau Göttingen. Er steht stellvertretend für die Brüche in dem Kino dieser Epoche. Ein anderer Widerspruch wäre ein Blick auf die Remigranten gewesen – diesen unternimmt augenblicklich die Ausstellung „Ausgeblendet/Eingeblendet“ im Jüdischen Museum in Frankfurt am Main. Unwillkürlich stellt sich die Frage, wie Durieux als Remigrantin ihren Platz in dieser Welt fand, da sie am Rande des Mainstreams zum Film fand. Über ihren Auftritt in Helmut Käutners „Die letzte Brücke“ war in der in Hannover erscheinenden Norddeutschen Zeitung zu lesen: „Leider fühlen wir aber auch, wieviel wir verloren haben, wieviel gröber und direkter alle Nachfolgenden in ihrer Darstellungsart geworden sind.“ Den Verlust, dessen Gründe hier verschwiegen werden, konnten die glitzernden Premierenkinos nicht wettmachen.

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