Der Österreicher Helmut Berger wurde in den 1960er-Jahren vom italienischen Regisseur Luchino Visconti entdeckt und in einer produktiven künstlerischen wie privaten Partnerschaft zum Star in dessen „Deutscher Trilogie“. Diese verhalf Berger zu Weltruhm und dem Ruf des „schönsten Manns der Welt“, legte ihn aber auch auf dekadente Rollen fest. Trotz seines skandalumwitterten Privatlebens bewahrte er sich aber eine Klasse, die in Dokumentarfilmen und Gastauftritten gewürdigt wurde. Ein Nachruf.
Der Märchenkönig des großen deutschsprachigen und internationalen Kinos des späten 20. Jahrhunderts – er hat endgültig abgedankt. Helmut Berger ist nicht mehr! Eine (hoffentlich!) respektvoll erschütterte Nachwelt erreichte die Nachricht von seinem Tod zum historischen Zeitpunkt von Europa in wüst-kriegerischem Aufruhr – und diversen royalen Hochzeiten (Großbritannien, Bayern). Das erscheint nur stimmig. Aber erinnert man sich heute noch an den Menschen und Menschendarsteller Berger hinter dem dick aufgetragenen Make-up der inszenierten Skandale im (Trash-)TV? Es lohnt der Rückblick auf seine Anfänge und frühe Blüte, um Schönheit und Gefährdung dieser bunt schillernden Blume des Bösen richtig würdigen zu können…
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Österreich hatte ihn hervorgebracht, nicht, wie manche in der weiten Welt glauben mochten, Deutschland; darauf legte er Wert. Und wenn seine Wiege auch nicht mehr die altadelige Gesellschaft des k.u.k.-Glanzes war – er fühlte sich wohl zeitlebens ein bisschen als Spätling und Erbe dieser kulturellen Standards und Traditionen. Aus einer bürgerlichen Hoteliersfamilie stammend, hatte Berger sicherlich von klein auf die moderne Gesellschaft in all ihren Spielarten und deren feine Unterschiede im Umgang von Hoch und Nieder studieren können – eine späterhin unverzichtbare Voraussetzung in seinen definitiven Rollen. Wie Thomas Manns „Felix Krull“, das Sonntagskind, entwuchs er dem elterlichen Humus allerdings rasch und als Selfmademan.
Das klassisch-europäische Schönheitsideal
Die Spannung zwischen Herkunftsstolz und Spießerhass prägte Berger und seine öffentliche Attitüde fortan. Mit 18 zog es ihn bereits nach London, die Hauptstadt der Swinging Sixties. Seine künstlerischen Anfänge lagen, bezeichnenderweise, in der Arbeit als Fotomodell. Mit seinen ebenmäßigen, schmal geschnittenen Gesichtszügen, der klaren Kinnlinie und feinnervigen Lippen entsprach er klassisch-europäischem Schönheitsideal. Dazu kamen glutvolle, sprechende Augen und eine schlanke Statur in weich fließender Bewegung, sodass Berger stets etwas Androgynes besaß. In London und später im italienischen Perugia genoss er zwar auch Schauspielunterricht, bildete sich aber vor allem in den internationalen Kultursprachen und Umgangsformen aus, die er (wenn er wollte) perfekt beherrschte.
1964 traf Berger auf die Liebe (und das Verhängnis) seines Lebens in Gestalt des wesentlich älteren, exzentrischen italienischen Film- und Opernregisseurs Luchino Visconti (1906-1976). Dieser erkannte rasch das gestalterische Potenzial, das der junge, stilistisch noch ungeprägte Darsteller barg, der zudem in vielfacher Weise seinem ästhetischen Ideal entsprach, und ging mit ihm eine wechselvolle, jedoch künstlerisch hochproduktive professionelle wie private Beziehung ein, die sehr bald zu einem ersten Höhepunkt des gemeinsamen Schaffens führte: 1969 besetzte Visconti Berger im ersten Teil seiner „Deutschen Trilogie“, „Die Verdammten“, um eine schuldhaft ins Dritte Reich verstrickte Industriellenfamilie als hypersensiblen, dekadenten, letzten Erben Martin von Essenbeck. In dieser komplexen Rolle, die zwischen universaler Verweigerung, ja Weltekel und jäher Aktion und Entschlossenheit schwankt, bewährt sich der junge Helmut Berger großartig und produziert gleich zwei seiner ikonischen Szenen: ganz im Fummel als fesche Lola, Bein zeigend und Marlene Dietrichs größten Hit gekonnt sich anverwandelnd, sowie, stärker, beklemmender fast noch, der Mutter-Sohn-Inzest, mit seiner Filmpartnerin Ingrid Thulin irgendwo zwischen Wagner’schem Wetterleuchten, Vergewaltigung und Wollust am Abgründig-Verbotenen aufs Eindrücklichste verkörpert!
Durchbruch und internationaler Ruhm
Das machte Aufsehen; Berger wird bekannt, berühmt, berüchtigt bei Publikum und Kritik, er erhält Nominierungen für wichtige Filmpreise und kann in schneller Folge weitere Werke erarbeiten, mit Visconti oder anderen italienischen Regisseuren. Muss „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Massimo Dallamano (1970) ehrlicherweise als Misserfolg bezeichnet werden, was nicht an Berger lag, so konnte er in Vittorio de Sicas „Der Garten der Finzi Contini“ (1970) wiederum ein feinfühliges Porträt spätbürgerlicher Kultur, bedroht von Krieg und Ungeist, gestalten. Berger erreicht internationalen Ruhm, die Gazetten überschütten den Newcomer mit (vielleicht vergiftetem) Lob: „intellektueller als Alain Delon, makelloser als Robert Redford“ sei er, wenn nicht gar „der schönste Mann der Welt“! Schnell ereilen ihn aber auch die unvermeidlichen Typ- und Rollenfestlegungen: Er ist und bleibt lange der Dekadente, der sexuelle Abweichler, der Immoralist. Dabei arbeitete Berger sehr wohl professionell; Skandal machte er, wenn überhaupt eher jenseits der Sets, darin durchaus verschieden von dem anderen Enfant terrible dieser Jahre, Klaus Kinski.
Auf dem absoluten Höhepunkt seines Könnens und seiner Popularität lässt sich Helmut Berger in der Rolle seines Lebens als „Ludwig II.“ von 1973 (wieder Visconti, wieder ein deutsches Thema) erleben: Der Grad der darstellerischen Anverwandlung sowie Bergers Anteil an der Evokation der historisch korrekten Tonalität für jenes seltsam aus der Zeit gefallene Projekt sind enorm. Jedoch: So sehr seine Fotogenität und sein stummes Spiel in lang gehaltenen Einstellungen und Kamerafahrten auf sein wechselvoll ausgeleuchtetes Gesicht zu fesseln vermögen, gewisse Beschränkungen seiner Kunst werden bei kritischer Betrachtung offenbar: Das interaktive Ensemblespiel, der große Monolog sind seine Stärken nicht. Mitunter verlässt er sich allzu sehr auf die statuarische Wirkung seiner Schönheit, und wenn er jäh in die Aktion wechselt, dann eruptiv und als Exzess, vom stummen Blick sogleich zum wilden Aufschrei.
Andererseits: Berger besteht oftmals in ehrfurchtgebietenden Starensembles wie etwa am Set von „Unternehmen Entebbe“ (1976 inszeniert von Marvin Chomsky, an der Seite von Richard Dreyfuss, Kirk Douglas, Elizabeth Taylor, Anthony Hopkins und Burt Lancaster!). Seine dialogisch involvierendste Rolle hatte Berger vielleicht in der intimsten Zusammenarbeit mit Visconti, dem Film, der ihre persönliche Beziehung nur wenig verfremdet, aber künstlerisch geglückt verarbeitet, „Gewalt und Leidenschaft“ (1974). Sein Zusammenspiel mit dem von Visconti geschätzten Burt Lancaster ist handwerklich präzise und emotional anrührend. Visconti war es allerdings wohl auch, der durch Bergers Besetzung in den Filmen seiner „Deutschen Trilogie“ das international stets gefragte und begehrte Rollenklischee der „blonden Bestie“ der NS-Verstrickten und -täter ihm unwillentlich anheftete, das etwa in „Salon Kitty“ von Tinto Brass (1976) zu langen Szenen in SS-Uniform und mit gerecktem rechten Arm führte (wenn Berger nicht ohnehin gleich gänzlich nackt auftrat).
Die Wende nach Viscontis Tod
1976 markierte die Wende in Bergers Leben. Visconti stirbt, und Berger ist plötzlich „verwitwet“ und ohne einen wichtigen künstlerischen Mentor und Gewährsmann im Business. Gleichzeitig beginnt der Stern des europäischen, speziell des italienischen Films allmählich zu sinken, die Dominanz Hollywoods macht sich auch für Helmut Berger bemerkbar. Es ist dies der Beginn von Bergers zweiter Karriere. Relativ wahllos, so scheint es, und in wildem Genremix nimmt er nun (hierin wiederum Kinski vergleichbar) Rollen in B-Movies an, auch um seinen kostspieligen Jetset-Lifestyle mit viel Sex, Drugs & Rock’n’Roll zu finanzieren. Der erwähnenswerteste Film dieser Periode, der – von Tarantino zitiert – notorisch wurde, ist wohl „Der Tollwütige“ von Sergio Grieco (1977). Mehr Geld spülten hoffentlich die unter Fans legendären paar Auftritte als alteuropäisch-kultivierter Bösewicht in „Der Denver Clan“ (1983/84) in Bergers Kasse.
Eine dritte „Karriere“, auf die er wahrscheinlich besser verzichtet hätte, die er gleichwohl mit der ihm eigenen Grandezza absolvierte, führte Berger in die Niederungen der Talkshows und des Trash-TV. Mit Fleiß jedes strukturierte Gespräch mit Moderatoren sabotierend (darin ein letztes Mal Kinski verwandt) spricht er mit Harald Schmidt und Thomas Gottschalk, dies ein absoluter Tiefpunkt der deutschen Fernseh-„Unterhaltung“ – was jedoch einzig und allein an Gottschalk liegt (Stichwort: „Wald und Leidenschaft“)! Von seinem (gar nicht so üblen) Kurzauftritt bei „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus“ (2013) soll an dieser Stelle weiter nicht die Rede sein …
Das Leben meinte es zu dieser Zeit nicht gut mit Helmut Berger. Zweimal verlor er nach Viscontis Tod so gut wie alles, was er hatte und was ihm teuer war, in Rom durch Brand, in Salzburg, wohin er spät in die Nähe seiner Mutter zog, durch Raub. Aber „Helmut im (Un-)Glück“ ließ sich nicht unterkriegen, sein Scheitern und Stürzen war stets eines mit Stil, seinem Stil, der auch den Stinkefinger einschloss. Zum Ende seines Lebens hin konnte er noch erleben, wie junge Kunst- und Dokumentarfilmer sich seiner entsannen und kluge, gute Projekte mit ihm oder über ihn verwirklichten („Ludwig 1881“; „Blutsfreundschaft“; „Helmut Berger, Actor“). Madonna bekannte sich zu ihm und drehte mit ihm ein Musikvideo. Und in Leben und Spätwerk wurde Helmut Berger eine Ikone der Freigeister und sexuell Unverklemmten, nicht nur der schwulen Szene. Ein Mann, der sich durch Moden nicht verbiegen lässt und seine Sprache spricht.
Das Ende kam nun doch recht unerwartet und in ziemlicher Einsamkeit – gleichsam in Nachfolge Ludwigs II., der gesagt haben soll: „Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen.“ Ciao, caro Helmut, sit terra tibi levis!