Schwul, jüdisch, Sexarbeiter und AfD-Politiker: Der 1987 in Kaiserslautern geborene Marcel Yaron Goldhammer, stellvertretender Vorsitzender der Bundesvereinigung Juden in der AfD (JAfD) und Pressesprecher der AHO (Alternative Homosexuelle), ist eine der kuriosesten Figuren der neuen Rechten. Die Filmemacher André Krummel und Pablo Ben Yakov haben ihm ein kontroverses Porträt gewidmet: „Goldhammer“ blickt hinter die Fassade eines Millennials auf dem Weg zum Populisten und spürt einer turbulenten Biographie nach, die kaum widersprüchlicher sein könnte, aber gerade deshalb perfekt in unsere Zeit zu passen scheint.
Hauptsache Krawall, Kamera und Öffentlichkeit: „Goldhammer“ scheint wie eine Gesellschafts- und Politiksatire aus der Feder von Sacha Baron Cohen (Borat). Worin bestand der Reiz, diese Selbstinszenierung 5 Jahre lang filmisch zu begleiten?
Tatsächlich war die Selbstinszenierung
erstmal eine Herausforderung. Denn um darin eine dokumentarische Qualität zu
finden, musste man sie vor allem sichtbar machen. Als wir Ideen fanden, damit
umzugehen, wurde sie dann tatsächlich auch reizvoll. Denn die Selbstdarstellung
ist sehr zeitgemäß, unser Protagonist hat da ja kein Monopol drauf. Im
Gegenteil, unsere sozialen Medien sind voll von Selbstdarstellungen, die uns
Authentizität vorgaukeln wollen. Dabei gewinnt im Wettbewerb der Aufmerksamkeit
natürlich eher das Schrillste als das Echteste. Das wissen wir auch alle und
nehmen dennoch massenhaft Anteil daran. Marcel hat dieses Spiel früh verstanden
und treibt es auf die Spitze. Ihm dabei zuzusehen, war anfangs allein deshalb
reizvoll, weil es bunt und ekstatisch war, eine fantasievolle Lebensgestaltung
sozusagen, die immer wieder Überraschungen garantierte. Einerseits erreichte er
augenscheinlich fast alles, was man für Freiheit und Erfolg halten kann, ohne
eigentlich die typischen Voraussetzungen dafür zu haben.
Andererseits zeigten sich auch früh deutliche Risse, die für uns eher nach Fremdbestimmtheit, Isolation und Abhängigkeit aussahen. Als Marcel begann, sich bei den neuen Rechten zu engagieren und sich selbst als Politiker neu zu entwerfen, wussten wir, dass hier die Verwandlung stattfindet, die wir beobachten können. Hätten wir es uns aussuchen können, wäre es sicher eine andere Art Verwandlung gewesen. Gleichzeitig ist dieser vermeintliche Widerspruch, dass ausgerechnet eine solche Biographie in die AfD führen kann, vermutlich Grund dafür, dass man ein satirisches Gefühl zu unserem Film bekommen kann. In diesem Sinne stehen Satiriker ja momentan vor genau demselben Problem wie wir, nur auf der anderen Seite. Viel Reales scheint schon ohne künstlerische Bearbeitung bereits satirisch. Tatsächlich gibt es gerade im modernen Politik-Betrieb viele solcher Beispiele, in denen genau mit der Diskrepanz von Verpackung und Inhalt sehr erfolgreich gearbeitet wird.
Auf dem Filmfest DOK Leipzig 2018 wurde euer Vorgängerfilm „Lord of the Toys“ mit der „Goldenen Taube“ ausgezeichnet. Es gab Tumulte im Kinosaal. Die Festivalleitung musste ein Statement verfassen, um den Film überhaupt zeigen zu dürfen. „Goldhammer“ löst gerade ähnliche Schwierigkeiten aus. Seid ihr auf Krawall gebürstet?
Das sehen wir natürlich etwas anders.
Der heftige Gegenwind 2018 hat uns damals selbst überrascht, vor allem aus
welcher Ecke er kam. Wir hätten eher mit ein paar aufgebrachten Zeitgenossen
aus dem Dresdner Bahnhofsmilieu gerechnet, die uns hätten übelnehmen können,
wie sie im Film gezeigt wurden. Stattdessen waren es vor allem Leute, die sich selbst
als links bezeichneten, die Angst hatten, wir würden problematischen Ideologien
eine Plattform bieten, und die darin eine Gefahr sahen. Das hat uns überrascht.
Unser Film erzählte von einem Influencer, der ohne uns bereits eine Plattform
hatte, die den künstlerischen Dokumentarfilm in Zuschauerzahlen deutlich in den
Schatten stellte. Wir hielten, was wir zeigten, vor allem auch für absolut
nicht werbefähig. Die Idee, das Publikum müsse nun unserem Protagonisten
nacheifern wollen, erschien uns ziemlich weit hergeholt. Viele andere sahen das
ähnlich, und so gab es Shit- und Candystorm zugleich, was uns dann
absurderweise half, in der Aufmerksamkeitsökonomie zu bestehen, die wir mit dem
Film kritisch untersuchen wollten. Wir begannen, „Goldhammer“ zu drehen, bevor
„Lord of the Toys“ Premiere hatte. Insofern können wir
festhalten, dass wir nicht mit einem zweiten „Skandalfilm“ kalkuliert haben.
Für uns ist Film immer die Verhandlung von Konflikten, auch offenen, schwierigen Fragen gegenüber. epdFilm schrieb gerade in Bezug auf „Goldhammer“, dass ein Film kaum gelingen könne, wenn Regie und Protagonist unterschiedliche Ziele haben. Das sehen wir genau andersherum, für uns wäre ein solcher Film Werbung oder Propaganda. So gesehen ist natürlich Zündstoff in unseren Filmen, denn wir interessieren uns eher für das uns Fremde als das mit uns Gemeine.
In beiden Fällen geht es um ultrarechtes Gedankengut und dessen Verbreitung. Inwieweit ist die Welt eures Protagonisten ernst zu nehmen, oder sogar gefährlich?
Das stimmt, in beiden Fällen geht es
aber vor allem um Menschen, die sich selbst und ihre eigene Darstellung
ökonomisieren. Das Rechtssein unserer Protagonisten agiert sich ja zum Beispiel
nicht in originären, ernsthaften Positionen aus, sondern in einstudierten
rechten Phrasen und Posen, die sie dann performativ wiedergeben. Hier greift
eigentlich viel eher ein kapitalistisches Prinzip: Die Nachfrage schafft das
Angebot. Wer sie wirklich sind, werden wir nie erfahren, denn es ist in
gewisser Weise in unserer Welt auch unwichtig. Wichtig ist, wofür es Resonanz
gibt, und danach richtet sich ihr Auftritt. Marcel Goldammer wäre sicher nicht
so schnell Direktkandidat geworden, hätte er sich zum Beispiel in der SPD mit
differenzierteren Positionen oder wenigen gut gepflegten Beziehungen
hocharbeiten müssen. Nur bei einer Partei wie der AfD war für ihn die neue
Rolle „Politiker“ realisierbar.
Andersherum hat die AfD, allen voran Beatrix von Storch, natürlich direkt erkannt, was sie an Marcel haben: vor allem ein Argument, gar nicht dies oder jenes zu sein. Eine perfekte Nebelkerze. Die AfD zeigt dabei ungewollt vielleicht etwas sehr Wichtiges über unseren Politikbetrieb im Allgemeinen auf: Auch er ist ökonomisiert, auch hier geht es meist vor allem um Beschaffenheit, nicht so sehr um Inhalt. Und das ist auf Dauer sicherlich gefährlich für eine Demokratie.
Thomas Manns Felix Krull, die Romanfigur, ist mit seiner Bloßstellung der damaligen Gesellschaft – mit Hochstapelei – in gewisser Hinsicht ein Sympathieträger. Marcel Goldhammer ist Realität und schwer zu ertragen mit seinem Selbstdarstellungsdrang. Wird uns der Spiegel vorgehalten?
Tatsächlich hatte Marcel für uns anfangs etwas Felix-Krull-Haftes. Und der Roman hat zu Beginn auch etwas Marcel-Artiges, wenn er zum Beispiel die Natur des Lügens diskutiert und sie in Teilen als hohe Kunst würdigt und von der profanen unwürdigen Lüge abgrenzt. Wenn Marcel sich, wie im Film zu sehen, als Videojournalist ausgibt, sich Interviews mit hochrangigen Politikern erschleicht und sich darüber freut, dass man ihm seine Rolle abkauft, ist das eine charmante Hochstapelei. Wenn er später mit Kippa auf dem Rednerpult der AfD Parolen ins Publikum schreit, ist von diesem Hochstapler-Charme nichts mehr übrig. Falls es ein Spiel ist, hat er uns nicht eingeweiht. Sowohl die Geschichte von Felix Krull als auch die von Marcel verwickeln uns in die Beobachtung eines Spiels. Und ein Spiel ist so lange lustig, wie wir seine Regeln kennen. Kennen wir die Regeln nicht, oder wissen wir gar nicht, dass es sich überhaupt um ein Spiel handelt, wird es unheimlich. Genau diese Unheimlichkeit entsteht bei der Beobachtung von Marcel.
Videoschnipsel auf Projektionsflächen, Filmmaterial von Marcel selbst gedreht, Selfie-Perspektiven, das wiederholte Ziehen einer Line, das direkt zum Abflug in den Luxusurlaub überblendet und Musik, die an seichte Actionserien aus den 1980er-Jahren erinnert: Was steckt hinter diesem ungewöhnlichen Filmstil?
Unser Ziel war es, neben der Auseinandersetzung mit all den schweren Themen vor allem auch einen unterhaltsamen Film zu machen. Die verschiedenen stilistischen Elemente sind dabei gar nicht so ungewöhnlich, zumindest nicht im Spielfilmkino. Für einen klassischen Dokumentarfilm haben wir vielleicht die eine oder andere Grenze überschritten, aber diese Gratwanderung von Humor, Tragödie, Brutalität und filmischen Spielereien gehört für uns zu einem Kinofilm.
Die Wahrhaftigkeit und deren Befragung zieht sich als Motiv durch euren Film. Ein emanzipiertes Publikum ist aufgefordert, sich eine eigene Meinung zu bilden. Immer wieder wurde die Frage gestellt, ob man einem Populisten wie Marcel Goldhammer eine Plattform der Selbstinszenierung bieten darf. Warum polarisieren eure Filme so sehr, sodass ihr bei manchen renommierten Festivals nicht mehr gezeigt werdet?
Das müsste man natürlich eher die
renommierten Festivals fragen. Aber vermutlich hat es auch mit der Frage zu
tun, die wir anfangs diskutiert haben, inwieweit Filmemacher sich mit ihren
Protagonisten gemeinmachen müssen. Filmemacher wie Werner Herzog,
Michael Glawogger oder Klaus Stern würden diese
Frage sicher anders beantworten als einige Auswahlkommissionen heute. Und
vielleicht hängt es auch mit der Frage zusammen, welchen Plattformen wir
welches Gewicht einräumen. Unser Eindruck ist jedenfalls, dass die sozialen
Medien sehr starken Einfluss auf unsere Debattenkultur nehmen.
Widersprüchliches, Irritierendes, Gefährliches wird nicht mehr diskutiert,
sondern einfach „entfreundet“ oder blockiert. Statt sich generell fernzuhalten
von diesen Online-Stammtischgesprächen, grenzt man sich ein, nimmt nun nur noch
an kleineren Stammtischen teil. Ähnliches ist auch auf Filmfestivals zu
beobachten: Da, wo wir früher mit Huren aus Drittweltländern oder
betrügerischen Versicherungsmaklern konfrontiert wurden, können wir uns heute,
berauscht vom eigenen Problembewusstsein, zum Beispiel in Filmen über den
Klimawandel, von den eigenen Überzeugungen noch einmal überzeugen lassen. Das
Anliegen dieser Filme ist völlig richtig, es aber ausschließlich unter
Gleichgesinnten vorzutragen, scheint uns problematisch. Die Klimaleugner, die
diese Filme sehen müssten, finden wir auf den Festivals nicht. Und etwas zu
besprechen, das wir alle schon wissen, hat unserer Auffassung nach nicht viel
mit Kino zu tun.
Vom Direktor eines berühmten Dokumentarfilmfestivals haben wir nach der Sichtung von „Goldhammer“ gehört, dass sehr viel über den Film diskutiert wurde, was für den Film spreche. Er habe sich aber dennoch gegen die Auswahl entschieden, weil nicht klar war, wessen und welche Interessen wir mit dem Film verfolgen. Mit dieser Ansicht war er nicht der einzige. Für uns stellt das eine wirklich irritierende Entwicklung dar, wenn Gatekeeper aus der Kunst- und Kulturszene den künstlerischen Dokumentarfilm als Plattform für das Verbreiten von Interessen betrachten. Aber wir haben auch diesmal eine riesige Bandbreite an Rückmeldungen bekommen, manch einer sieht einen außergewöhnlichen Tiefgang in unseren Beobachtungen, andere halten sie für total oberflächlich. Manch einer stört sich daran, dass unser Protagonist von uns vorgeführt würde, andere stören sich an der vermeintlichen Neutralität, mit der unser Film auf ihn blickt. Man kann also eine generelle Diskrepanz in der Wahrnehmung festhalten, und daraus ergibt sich vermutlich etwas Verunsicherndes. Der Wunsch, dass ein Film klar sagt, wie es ist, und dann ein aufgeklärteres Publikum entlässt, ist nachvollziehbar. Aber vielleicht eben auch ein wenig unterkomplex in einer Welt, die uns täglich flutet mit Bildern, Tönen und Texten. Wir kommen um ein gewisses Maß an Medienkompetenz nicht herum. Unsere Filme richten sich an Erwachsene, wir müssen niemanden mehr erziehen. Und zum Erwachsensein gehört es auch, Dinge selbstständig einzuordnen und Irritationen auszuhalten, auch wenn sie aufwühlend oder verunsichernd wirken. Aber wenn das nicht mehr erwartet werden darf, wo, wenn nicht im Kino, könnte man es besser lernen?
Noch bis zum 21. Mai läuft euer Film in der Reihe „Power of Media?“ auf dem DOK.fest München als Video on Demand. Bleibt ihr dem Genre dokumentarisches Filmporträt treu, und wo werdet ihr in Zukunft filmisch zündeln?
„Goldhammer“ läuft ab dem 18. Mai auch in einigen ausgewählten Kinos. Unser Film endet damit, dass die einsame Kamera mit ihrem Freund, der Tonangel, durch ein verregnetes Hollywood in eine ungewisse Zukunft fährt. Vieles hat sich auf ihrer bisherigen Reise stark verändert. Die beiden brauchen dringend einen Tapetenwechsel. Aber vielleicht werden sie zurückkehren. Ob wir dem Dokumentarfilm treu bleiben oder zum Seitensprung ansetzen, wird der Stoff bestimmen, der uns vor die Füße rollt. Der Gedanke, die profane Realität zu verlassen, um über sie zu sprechen, wird jedenfalls attraktiver.