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Filmliteratur: Gustaf Gründgens

Eine eingehende Untersuchung zu den filmischen Arbeiten von Gustaf Gründgens, in der auch seine umstrittene Rolle in der NS-Zeit angemessen zur Sprache kommt

Aktualisiert am
24.11.2023 - 17:07:14
Diskussion

Die Filmwissenschaftlerin Kristina Höch widmet sich in einem ausführlichen Band den filmischen Arbeiten von Gustaf Gründgens, der neben seiner florierenden Theaterkarriere bereits zur Zeit der Weimarer Republik auch für Kino als Schauspieler und Regisseur zu arbeiten begann. Dabei geht es auch um seine umstrittene Rolle in der Filmindustrie des Dritten Reichs.


Gustaf Gründgens (1899-1963) pflegte einen extravaganten Lebens-, Wohn- und Kleidungsstil als Ausdruck seines künstlerischen Selbstverständnisses. Auftreten und Ausstrahlung, Körperspannung, die Aura preußischer Disziplin und Schneidigkeit, das Monokel, seine „stählerne Frechheit“, erinnern unverkennbar an einen anderen zeitgenössischen Maverick, Erich von Stroheim. Fasziniert vom Flair der Jahrhundertwende, besessen von der Strahlkraft und dem Glamour der Schauspielerei und des Films, erlebte der Kriegsteilnehmer den Zusammenbruch der Weimarer Republik eher am Rande. Der gesellschaftliche Kontext und seine Folgen bleiben auch in der höchst lesenswerten Studie von Kristina Höch über Gustaf Gründgens’ filmische Arbeiten von 1930 bis 1960 weitgehend ausgeblendet. Dabei hätte ein Rückblick auf die Alltagsrealität der Wirtschaftskrise, den großstädtischen Rausch, den Tanz auf dem Vulkan die inhaltlich-filmanalytische Bewertung gut ergänzt.


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Nach seinem Filmdebüt als Zuhälter im Tonfilm „Ich glaub’ nie mehr an eine Frau“ (1930) perfektionierte Gründgens den Typus des zwielichtig-hinterhältigen Gauners. Etwa als Berliner Unterweltboss Schränker in Fritz Langs „M und in „Die Gräfin von Monte Christo (1932). Anschließend folgte „Die schönen Tage von Aranjuez“, ein „dämonisch-eleganter Kriminalreißer“. Gründgens’ Position zwischen Film-Karriere und Bühnen-Schauspielerlaufbahn, seine chamäleonartige Persönlichkeit und die Spannung zwischen Individuum und Gesellschaftsrahmen werden von der Autorin gut herausgearbeitet. Da ist auch von Gründgens’ Kälte (im Historienfilm „Luise, Königin von Preußen“, 1931), Unnahbarkeit und Luxusaffinität die Rede. Und von einem gewissen elitären Habitus: Der Schauspieler-Star setzte stets auf eine „standesgemäße“ Besetzung neben sich.


Gründgens’ Sonderstellung im Dritten Reich

Angemessen, nicht überinterpretiert erfährt man von der skandalumwitterten Sonderstellung des Künstlers im Dritten Reich. Die unverhohlene Protektion durch Hermann Göring und dessen Schauspieler-Gattin wird unverkrampft angesprochen. Gründgens nutzte seine Reputation bei der politischen Elite auch, um missliebige Kritik an seiner Person und seiner Arbeit zu verhindern. Seine nicht ostentative homophile Neigung tolerierte man. Dass er sich öffentlich nie dazu bekannte, entspricht dem Stand der Forschung; jedenfalls bietet Höch keine neuen Funde.

Gründgens’ Regiedebüt, die Gogol-Adaption „Eine Stadt steht Kopf (1932), zeichnete eine visuelle Dynamik durch variable Einstellungsgrößen und ausgefeilte Kamerafahrten aus. In der NS-Zeit folgte, stilistisch vergleichbar, das flotte Lustspiel „Die Finanzen des Großherzogs“, 1934. Danach standen mehr und mehr die Wahrung der nationalen Würde, die Gefühlswelt des deutschen Volkes, Propaganda und Streben nach Macht im Vordergrund der ausgewählten Sujets.




Der Film „Das Mädchen Johanna (1935) mit Gründgens als König Karl von Frankreich wird ausführlich beleuchtet: ein Drama, dessen Historienstoff oberflächlich nicht nach NS-Propaganda klingt, dessen Blick auf die „Jungfrau von Orleans“ aber doch durch die Brille der NS-Ideologie gefiltert ist. Während die Inszenierung von Gustav Ucicky später entsprechend als „Nazifilm“ eingestuft wurde, blendete Gründgens seine (Mit-)Verantwortung aus. Höch sieht darin zu Recht eine Verdrängung, wie sie nicht nur für Gründgens, sondern für viele Deutsche nach dem Ende der Diktatur bezeichnend war: die Unfähigkeit zum Bekenntnis der Mit-Täterschaft, ein Realitätsverlust als Selbstschutz.


Propaganda oder „volksechte Filmkunst“?

Zwei Welten“ (1940) ist ein „Kuriosum“ in Gründgens Oeuvre. Für den heiter-versnobten Gegenwartsstoff – eine Verwechslungskomödie um einen Werkmeistersohn und seinen adligen Freund, die die Rollen tauschen – engagierte er filmunerfahrenere Darsteller und lehnte „Avantgardismus“ dezidiert ab. Durch den Drehbuchautor Felix Lützkendorf mit deutsch-nationalem, propagandistischem Inhalt angereichert, wird das Werk von Goebbels gelobt: „Was aber die gegnerische Seite so gern als Propaganda, als geistige Beeinflussung herabzusetzen und damit zu entstellen versucht, ist ja nichts andres als nur lebens- und volksechte Filmkunst“.

Gründgens als Propagandaverfechter abzustempeln, widerspricht nichtsdestotrotz dem fertigen Werk, zitiert Höch diverse Zeitgenossen: Im Fokus stehen der Generationenkonflikt, Anspielungen auf Geschlechterunterschiede und die „Sublimierung homoerotischer Neigungen“. 1945 wurde der Film verboten, 1981 mit Schnitten, durch die Hitlergruß und NS-Symbole entfernt wurden, von der FSK freigegeben. Trotz vereinzelt unterschwelliger Regimekritik bleibt das Endergebnis ambivalent.

Für die Mitwirkung an dem von Goebbels aufgezwungenen, antibritischen und antisemitischen Propagandamachwerk „Ohm Krüger“ (1941) schlug Gründgens Gage und Werbung aus. Der „Vorbehaltsfilm“ gilt als eine der teuersten Filmproduktionen des Dritten Reichs, war „Film der Nation“. Gründgens übte anschießend 19 Jahre lang Filmabstinenz, auch wegen Skepsis in Bezug auf das Rollenangebot.f

Rückzug auf die Bühne

Die Autorin umreißt die Vielzahl nicht-realisierter, abgelehnter Filmprojekte knapp und bündig. „Jud Süss“ lehnte Gründgens 1939 ebenso wie die Adaption von „Der Kaufmann von Venedig“ ab. Goebbels persönlich verwarf Pläne zur Opernverfilmung „Don Juan“ („eine Schnapsidee“) und „Die schöne Melusine“.

Nach der Entnazifizierung, in den 1950er-Jahren, trug man etliche Stoffe an Gründgens heran. Der aber zierte sich; der Begriff „Kassengift“ geisterte durch die Branche. 1954 erklärte Gründgens, der deutsche (Nachkriegs-)Film habe noch nicht zu sich selbst gefunden, deshalb ziehe er das Theater dem Film vor. 1960 resümierte er: „Mir ist es eine - im Augenblick zwar nicht einmal benötigte - Bestätigung für die Unsterblichkeit des Theaters, bei der man sozusagen prähistorisch den letzten Menschen direkt bei der Ausübung seiner Kunst beobachten kann. Nur eines haben Film und Theater gemeinsam: ihre absolute Unnatürlichkeit, ihre hohe Künstlichkeit.“ Die Konsequenz: Rückzug auf die respektvollere Bastion Theater und ins Privatleben.

Sein erster BRD-Film, „Das Glas Wasser“, von Helmut Käutner 1960 inszeniert und hochdekoriert, war wieder ein historischer Stoff. Großes Schauspieler-Kino bot dann „Faust (1960): als „Bildungslückenfüller“ eingestuft, ein Hybrid aus den beiden Welten Theater und Film. Gründgens schätzte die optischen Möglichkeiten des Mediums Film, liebte und lebte den Mephisto-Stoff. Mit dem Endergebnis war er allerdings unzufrieden. Er empfand die Großaufnahme, die Nähe der Bilder, das Teuflische, die Fratze als zu dominant und eindimensional.


Hassliebe & Zweckgemeinschaft

Die Autorin stellt insgesamt 33 (auch verschollene) Filme ausführlich vor, an denen Gründgens als Schauspieler oder Regisseur mitwirkte, von der Weimarer Republik über die NS-Zeit bis in die Bundesrepublik hinein. Sie analysiert Filminhalte, Dramaturgien und technische Details, belegt ihre Thesen aus einem reichen Fundus von Primär- und Sekundärquellen, unterstützt von 34 qualitativ meist guten, textadäquaten Abbildungen. Die modische Gendersprache – Besuchende, Zuschauende, Lesende, Presse- oder Verleihvertretende - wäre verzichtbar gewesen. Eine umfangreiche Bibliografie, Artikelnachweise für alle Medien, Fundstellen in Goebbels’ Tagebucheinträgen, die Auswertung von Archivunterlagen und Nachlässen, eine Filmografie mit DVD-Tipps sowie das Personenregister sind mustergültig und hilfreich.

Treffend das Fazit der Autorin, die gegenwärtig eine Darstellung über Gründgens’ Theaterarbeit vorbereitet: „Seine filmische Existenz ist Unsicherheit und Souveränität zugleich. Gründgens und der deutsche Film – eine Hassliebe und eine Zweckgemeinschaft, die den Tausendsassa, der Herz und Hirn früh an das Theater verlor, in die Köpfe der Filmbesuchenden katapultierte. Der deutsche Film profitierte von Gründgens und Gründgens profitierte – auch aufgrund seiner Stellung im nationalsozialistischen Regime – in finanzieller und karrieretechnischer Hinsicht vom deutschen Film, wenngleich sich schon kurz nach Beginn der Kennenlernphase Ermüdungserscheinungen einstellten, die mit der Zeit in Misstrauen umschlugen.“


Literaturhinweis

Gustaf Gründgens. Filmische Arbeiten 1930-1960. Von Kristina Höch. Schüren Verlag, Marburg 2023. 366 S., 34 Abb., 38 Euro. Als E-Buch 29,99 Euro. Bezug: In jeder Buchhandlung oder hier.

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