In der staatlichen Filmförderung scheint der Irrtum unausrottbar, deutsche Kinofilme würden sich in kommerziell erfolgreiche und künstlerische aufteilen. Doch geschäftlich erfolgreich war die deutsche Filmproduktion sogar in ihren besten Zeiten nicht. Angesichts der angekündigten Reform des Filmförderungsgesetzes wäre es sinnvoller, über gezielte Kunstförderung nachzudenken, statt von deutschen Kassenschlagern zu träumen.
Im Februar 2022 erklärte Kulturstaatsministerin Claudia Roth in ihrer Berlinale-Eröffnungsrede: „Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik. Deshalb brauchen wir auch eine Filmförderung, die international mithalten kann und unsere Kinokultur für die Zukunft stärkt.“
Die für 2023 anstehende Novellierung des Filmförderungsgesetzes hätte gewiss Gelegenheit zur Konkretisierung dieser Ziele geben können. Doch statt eines neuen Gesetzes vermeldete Roth im Dezember in der Fernsehsendung „Kulturzeit“ die Verlängerung des bestehenden: „Gerade weil ich ein so großes Herz habe für den Film, weil ich ein Löwinnenherz habe für den Film – für den kulturellen Film, für den Film, der sich an der Kinokasse auch auszahlt, für den Filmstandort – habe ich gesagt, dass es doch gar keinen Sinn macht, ein bisschen ein Reförmchen zu machen.“ Aktuell sei man in „unglaublich breiten Dialogen“ mit den unterschiedlichen Bereichen aus dem Film unterwegs, mit Produzent:innen, Regisseur:innen, Autor:innen.“ „Auch mit der Zustimmung aus der Branche wollen wir eine nachhaltige Reform auf den Weg bringen, die den Kultur-Film stützt, unterstützt und verstärkt, die den Filmstandort unterstützt und stärkt.“ Bis zu einem ersten Konzept solle es bis zur kommenden Berlinale dauern.
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Der Mythos vom geschäftlich erfolgreichen deutschen Film
Was an dieser kurzen Interviewantwort auffällt, ist nicht nur
die behauptete Zustimmung der Branche. Bemerkenswert ist die Gleichsetzung
zwischen dem „kulturellen Film“ und „jenem, der sich an der Kinokasse auch
auszahlt“. Das Kino hat bekanntermaßen, anders als etwa die Bildende Kunst zwei
Gesichter: den künstlerischen, geschäftlich aber bekanntermaßen fast immer
defizitären Film einerseits und den zwar populär ausgerichteten, aber ebenfalls
nur selten gewinnträchtigen Unterhaltungsfilm andererseits. Aus dieser
Dialektik begründet sich eine zweigleisige Filmförderung als Kultur- und
Wirtschaftsförderung. Allerdings verschob sich die Gewichtung über die
Jahrzehnte immer weiter von der Kultur- in Richtung Wirtschaftsförderung. Von
außen betrachtet könnte man annehmen, da Kultur ja nach dem Grundgesetz
Ländersache ist, müsste dort die kulturelle Förderung veranlagt sein, beim Bund
die Wirtschaftsförderung. Doch so einfach ist es nicht, gerade
Länderförderungen haben meist einen Schwerpunkt auf der Wirtschaft, da sie
Standort- und Strukturförderung betreiben. Tatsächlich wurde schon seit 1951,
als ein dotierter Bundesfilmpreis beim Innenministerium angesiedelt wurde, der
kulturelle Film vom Staat gefördert – nur ließen sich die in neue Filme zu
investierenden Gelder zugleich als Wirtschaftsförderung begreifen.
Den auch geschäftlich erfolgreichen Film hat es in Deutschland, ob künstlerisch oder trivial, nur selten gegeben. Selbst in den goldenen Tagen des Kinobesuchs, den 1950er-Jahren, wurde die Filmwirtschaft mit Kreditbürgschaften gefördert. Und obwohl noch bis 1965 in den Top-10-Listen der erfolgreichsten Filme deutsche Kassenschlager überwogen, spielten bereits 1961 deutsche Filme nur noch rund 75 Prozent ihrer Herstellungskosten ein.
Unter den 100 erfolgreichsten deutschen Filmen seit 1958, die zwischen 4,6 und 11,7 Millionen Zuschauer anzogen, entstanden nur 15 in diesem Jahrtausend. Doch die Seltenheit hochprofitabler Filmerfolge wie der Bully-Herbig-Regiearbeiten „Der Schuh des Manitu“ und „(T)raumschiff Surprise“ oder der drei „Fack ju Göhte“-Teile hat offenbar in der Politik der Vorstellung vom potenziell auch kommerziell erfolgreichen deutschen Film nichts anhaben können.
Was diese seltenen einheimischen Kassenschlager wiederum eint, ist, dass sie außerhalb Deutschlands in aller Regel erfolglos bleiben. Das wiederum unterscheidet die deutsche Filmindustrie etwa von der in den USA, in Frankreich oder Großbritannien, wo nationale Erfolge meist auch international reüssieren. Ausnahmen gelangen in Deutschland lediglich den wenigen Erfolgsfilmen, die keine Komödien sind, „Der Untergang“ oder „Das Leben der Anderen“.
Regionalität als Konkurrenz zu Hollywood
„Humour does not travel“, lautet eine wohlwollende Erklärung für die Unverkäuflichkeit deutscher Kinohits – dabei erweisen sich britische und französische Komödien als durchaus reiselustig. Historisch liegt eine andere Erklärung für die Regionalität deutscher Unterhaltungsfilme näher: In der unmittelbaren Nachkriegszeit hätte die deutsche Filmindustrie keine Möglichkeit gehabt, sich gegen die Hollywoodimporte in denselben Gattungen zu behaupten. Das Publikum bevorzugte deutsche Filme, die etwas anderes boten als Hollywood: Deutsche Schlager und ihre Stars, heimatliche Schauplätze und regional-typische Mentalitäten, ein boulevardeskes und volkstümliches Spiel oder auch verfilmtes deutsches Kulturgut wie die Werke von Karl May, aber auch Thomas Mann oder Johann Wolfgang von Goethe („Die Buddenbrooks, 1. Teil“, brachte es 1959 auf neun Millionen Zuschauer, die „Faust“-Inszenierung von Gustaf Gründgens 1960 auf 5,25 Mio.).
Auch ein aus deutscher Sicht erzählter Film über das verlustreiche Ende des Zweiten Weltkriegs wie Bernhard Wickis „Die Brücke“ fand im Kinojahr 1959 mit 9,2 Millionen mehr Zuschauer als jeder Hollywoodfilm. Nur ganz selten entstanden deutsche Großproduktionen mit Blick auf internationale Märkte – obwohl Produzent Günter Rohrbach und Regisseur Wolfgang Petersen das mit „Das Boot“ und „Die unendliche Geschichte“ noch zu einem Zeitpunkt beweisen konnten, als deutsche Fördertöpfe noch in der Regel deutlich kleiner waren.
Wer in Deutschland Filme produzierte und auf das große Publikum schaute, orientierte sich deshalb oft an Phänomenen, die ihren Massenerfolg bereits bewiesen hatten. Die erfolgreichsten deutschen Filme waren überwiegend Vehikel für Schlagerstars wie Heintje und Freddy Quinn oder Comedy-Phänomene wie Otto Waalkes, Loriot oder „Werner – Beinhart“. Auslandseinnahmen verzeichnet heute nur noch eine Filmgattung regelmäßig – der Animationsfilm. Die beiden Teile der „Häschenschule“, lose basierend auf der 1924 erschienenen Bilderbuchvorlage, wurden in rund 50 Länder verkauft. Auch wenn diese Produkte kaum mit den Produktionsstandards von amerikanischen, japanischen oder auch französischen Animationsfilmen konkurrieren können, gibt es doch genügend Verwertungsmöglichkeiten. Auf den internationalen Filmmärkten erfüllen sie klar definierte Genre-Kategorien, so wie es einen Markt für Horror- oder Actionfilme gibt, bei dem auch B-Ware verlässliche Abnehmer findet. Und da besitzen die komfortabel budgetierten deutschen Bewerber durchaus Vorteile gegenüber den frei finanzierten Filmen aus anderen Ländern. Diese Chance nutzen immer wieder auch heimische Horrorfilme. So lassen sich Auslandseinnahmen generieren, die nicht an die Förderer zurückgezahlt werden müssen.
Arthouse-Filme aber werden nach anderen Kriterien gehandelt. Sie müssen durch Originalität bestechen und Festivaleinsätze vorweisen können. Doch während kleinere europäische Filmnationen wie Dänemark, Griechenland oder Rumänien international auf Festivals und im Arthouse mit künstlerischen Filmen einen festen Platz haben, bleibt diese Möglichkeit für deutsche Produzenten offenbar wenig attraktiv.
International fast unsichtbar
Trotz der Erfolge von Christian Petzolds Filmen wie „Phoenix“, die regulär in Paris oder New York im Kino liefen, und international aufgestellten Produktionsfilmen wie Pandora und Heimatfilm und einem sehr renommierten Weltvertrieb wie Match Factory im eigenen Land ist das deutsche Kino international fast unsichtbar. 2022 waren bei den Festivals von Cannes und Venedig keine deutschen Beiträge im offiziellen Programm vertreten. International ist heute nicht nur der populäre deutsche Film fast unbekannt, sondern auch der künstlerische Film kaum ein Begriff.
Selbst die von der internationalen Kritik aufgegriffene Etikettierung „Berliner Schule“ konnte das seit dem Tod Rainer Werner Fassbinders immer wieder beklagte Fehlen eines neuen „Neuen Deutschen Films“ nicht kompensieren. Warum, muss man sich fragen, verzichtet die deutsche Filmförderung, international repräsentiert durch die Exportunion „German Films“, auf eine Etablierung einer solchen Marke? Liegt es daran, dass künstlerische Filme in einer Filmbranche schlechter angesehen sind, weil Produzenten und Produzentinnen defizitärer Unterhaltungsfilme auf Filme mit geringeren Budgets herabblicken? Je kleiner die Kalkulation, desto geringer ist auch die „Producer’s Fee“.
Anders verfährt etwa die dänische Filmförderung, die sich bereits in den 1990er-Jahren deutlich an der von Lars von Trier, Thomas Vinterberg und den „Dogma95“-Autorinnen und Autoren geprägten Schule orientierte. Hierzulande verfolgen deutsche Förderinstitutionen dagegen kein ästhetisches Programm. Man wird es mit dem Gebot der Gleichbehandlung rechtfertigen.
Tatsächlich hatten schon in den 1980er-Jahren Kritiker des Neuen Deutschen Films den Fördergremien Einseitigkeit vorgeworfen. 1981 veröffentlichte der Kritiker Joe Hembus eine erweiterte Neuauflage seiner zwei Jahrzehnte zuvor erstmals erschienenen Streitschrift „Der deutsche Film kann gar nicht besser sein“, die seinerzeit den Boden für das Oberhausener Manifest bereitet hatte – nun versehen mit dem Untertitel: „Ein Pamphlet von gestern – Eine Abrechnung von heute“. In der bestehenden Förderung sah er lediglich einen Teil der Möglichkeiten verwirklicht.
Im selben Jahr sollte der Skandal um Innenminister Friedrich Zimmermanns Entscheidung, Herbert Achternbusch Teile der Fördermittel für „Das Gespenst“ im Nachhinein zu verweigern, die kulturelle Filmförderung nachhaltig schwächen. Zimmermann, der nach dem Kinobesuch öffentlichkeitswirksam nach einem Schnaps verlangte, hatte erkannt, dass sich aus Mäzenatentum auch ex negativo Kapital schlagen lässt – also nicht nur im Glanz eines Festivalerfolgs auf dem roten Teppich, sondern im Schulterschluss mit einer breiten Masse, die gegenüber polarisierender zeitgenössischer Kunst eine Abwehrhaltung pflegt.
Aber könnte eine Filmförderung nicht dezidiert die ästhetischen Schulen des deutschen Films unterstützen, ohne dabei andere Positionen zu vernachlässigen? Ein inhaltliches Bekenntnis zum Kulturgut Film wäre alles andere als eine einseitige Parteinahme, sondern ganz im Gegenteil im Sinne des seit 55 Jahren existierenden Gesetzes.
Nationale „Filmwunder“ entstehen aus Konzentration
In ihrer 2017 veröffentlichten Dissertation „Kulturelles Kapital. Filmförderung in Deutschland“ argumentiert Lisa Giehl für eine Pflege der kulturellen Filmförderung, die paradoxerweise zunehmend einer Legitimation durch wirtschaftliche Kriterien bedürfe. Ausgehend von der Kapitaltheorie des Kultursoziologen Pierre Bourdieu, gibt sie zu bedenken, dass Filmförderung neben ökonomischem Kapital auch mit kulturellem, sozialem und symbolischem Kapital operiere. Diese immateriellen Kapitalformen bestimmten das Mäzenatentum seit Jahrtausenden. Ebenso wie ein Mäzen durch seine Wohltat symbolisches Kapital erwerbe, könne ein Land oder Staat auf einen Zugewinn an kulturellem Kapital hinarbeiten. Dabei nennt sie auch das Beispiel einer Kunstmäzenin, die dezidiert eine bestimmte Kunstrichtung etablieren half: Marie-Laure de Noailles (1902-1970) engagierte sich speziell für die Gruppe der Surrealisten. Allerdings leitet die Autorin aus diesem Beispiel nicht die Empfehlung ab, dezidiert eine spezielle künstlerische Strömung wie etwa die „Berliner Schule“ besonders zu fördern, sondern plädiert lediglich gegen ein egalisierendes „Gießkannenprinzip“. Tatsächlich machen kleine, aber international erfolgreiche Filmländer genau das: Die international stark wahrgenommenen Phänomene der „Filmwunder“ in Rumänien und Griechenland konzentrieren sich auf Werke eng verzahnter künstlerischer Zirkel.
Dominik Graf vertritt dagegen seit Jahren die Auffassung, die Filmförderung präferiere noch immer den Autorenfilm gegenüber dem Genrefilm. 2012 beklagte er in einem Beitrag für die Wochenzeitung „Die Zeit“, der Mainstream mache nur einen Bruchteil der Förderfilme aus: „Der Mainstream, Film als Spaß, Film als herrlich künstlerischer Glanz, Film als Spannungsexplosion, als direkte, triviale Verführung, ist demgegenüber fast eine einsame Unternehmung geworden. Nur noch ein dünner Obelisk der zielgerichtet kommerziellen Filmherstellung steht in der Landschaft, umgeben von Niemandsland. Jenseits dessen blinkt das Festland des von Fördergeldern begießkannten deutschen Relevanzkinos.“
Es wird wohl eher umgekehrt ein Schuh daraus: In einer Auswertung von Filmen mit Millionenbudgets, die in den Jahren 2010/11 gefördert wurden, findet Giehl ganz überwiegend Filme populärer Genres wie Komödie, Kinderfilme, Abenteuer- und Historienfilm, Thriller und Action. Unter den 47 im Jahr 2011 geförderten Filmen befinden sich nur etwa fünf Titel, die sich wie „Barbara“ oder „Hannah Arendt“ nicht dem Unterhaltungsfilm zurechnen ließen.
2015 sprach Lars Henrik Gass, der Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage, in einem FAZ-Artikel von einer „Diktatur des Mittelmaßes“: „Ein solches System, welches eher am gesicherten Vorteil von einigen denn an einem Wettbewerb um die beste Qualität unter allen interessiert ist, neigt dazu, eine Diktatur des Mittelmaßes zu errichten. Es bestätigt sich in seinen eigenen Wertvorstellungen und Strukturen unablässig selbst und immunisiert sich gegen Risiko – gegen das Unkalkulierbare ebenso wie gegen den kalkulierten Affront. Und schlimmer noch: Ein solches System verhindert die Entwicklung neuer Produktions- und Vertriebswege von Film, die Ansprache von neuen Zuschauergruppen und vor allem die Entwicklung neuer filmischer Formen selbst. Das System zementiert im Interesse der Besitzstände von Fernsehanstalten, Förderern, wenigen Produzenten, Verleihern und Kinobesitzern eine Allianz des kleinsten gemeinsamen Nenners. Dass die meisten Filme, die dieses System hervorbringt, offenbar weder die breite Masse ins Kino bringen noch künstlerisch begeistern können, trübt die gute Laune kaum. Das System zielt auf den eigenen Erhalt, nicht auf bessere Filme. Auf den roten Teppichen und Branchentreffs gaukelt man sich vor, alles sei ein riesiger Erfolg. Von Krise wird da, wo an Förderungen und Abgaben verdient wird, nicht gesprochen, auch wenn der künstlerische Erfolg ebenso ausbleibt wie der internationale. Allenfalls dürfen sich die Geschäftsführer der deutschen Filmförderer auf den Laufstegen internationaler Filmfestivals mit jenen ausländischen Produktionen zeigen, in die sie sich hineingefördert haben. Dafür müssen diese Produktionen dann ein paar Standorteffekte auslösen.“
Gräben wie in den 1960er-Jahren
Auch wenn Claudia Roth im Jahre 2022 behauptet, „die Branche“ hinter sich zu haben, wenn sie die anstehende Fördernovelle verschiebt, klaffen in dieser doch Gräben wie schon in den 1960er-Jahren. Nur, dass in die Rolle der damals wirtschaftlich noch überwiegend erfolgreichen „Altproduzenten“ heute die Profiteure der Mainstream-Förderung getreten sind. Wer sich dagegen mit künstlerischen Filmen oder anspruchsvollen Dokumentarfilmen beschäftigt, hat kaum Chancen auf angemessene Budgets, weil das Fernsehen kaum noch an Bord ist – aber in den Gremien maßgeblich über die Mittelvergabe entscheidet.
Doch nicht nur die starke Präsenz der kaum noch an künstlerischen Filmen interessierten Fernsehsender führte zu einem Überhang an pseudo-wirtschaftlichen Unterhaltungsfilmen. Es sind mehrheitlich die Produzenten selbst, die in den Fördergremien entscheiden. Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit sind unabhängige Gutachter weitgehend aus den Entscheidungsfunktionen herausgedrängt worden. Unabhängige Juroren fehlen, die Branche selbst entscheidet über die Mittel, ebenso wie der Deutsche Filmpreis seit 2005 nicht mehr von einer unabhängigen Jury, sondern der eigens zu diesem Zweck gegründeten Deutschen Filmakademie vergeben wird. Dies führte zu einer völligen Ausgrenzung eines Teils der filmkulturellen Öffentlichkeit, die etwa in Frankreich, Österreich oder Italien weit höheres Ansehen genießt – der Filmkritik. In Deutschland ist im selben Maße, in dem sich die Filmbranche, wie sie von der Deutschen Filmakademie repräsentiert wird, dem populären Produzentenkino zugewendet hat, eine gewachsene Distanz zur Filmkritik zu beobachten.
Der 2008 verstorbene Filmkritiker Peter W. Jansen, der in den frühen 1970er-Jahren dem Gremium des „Kuratorium Junger deutscher Film“ angehörte, plädierte 2007 im FILMDIENST für ein „Kuratorenprinzip“ in der Filmförderung. Dabei sollten bestimmte Mittel für besondere Möglichkeiten der künstlerischen Förderung reserviert werden. Als Beispiel nannte er einen jungen Filmemacher, der Anfang der 1970er-Jahre lediglich den Roman, den er verfilmen wollte, zur Förderung einreichte. Auch als ihn das Gremium vorlud, habe er wenig Konkretes sagen können, verwies aber auf das Vertrauen des Romanautors Peter Handke. Das Gremium ließ sich überzeugen, und gab Wim Wenders die Möglichkeit zu seinem zweiten Spielfilm „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1972).
Aufgrund dieser Erfahrung schlägt Jansen vor, „dass überall, wo gefördert wird, eine bestimmte feste Summe einem einzelnen Kurator anvertraut wird, der dann auch für seine Entscheidung geradezustehen hätte und sich nicht hinter der zur Verschwiegenheit verpflichteten Gremienpluralität verstecken könnte. Eine solche oder ähnliche Einrichtung sollte ausdrücklich nicht-mehrheitsfähige Projekte fördern.“
Was Jansen vorschlägt, ist nichts anderes als ein in der Kunst- Musik-, Theater- oder Literaturförderung oder bei Stipendien übliches Procedere. Natürlich schließt auch das keine einseitige Begünstigung aus, doch gibt es dort – anders als meist in der Filmförderung – immerhin ein hohes Maß an Transparenz. Schließlich sind die Jurymitglieder in den meisten Fällen bekannt und vom Markt unabhängig (eine seltene Ausnahme ist die vom Filmbüro NW jurierte „Vereinfachte Förderung“ der Film- und Medienstiftung NRW; hier ist das Gremium bekannt und gibt auf Anfrage Auskunft über die Entscheidungen). In aller Regel begründen deutsche Filmförderinstitutionen ihre Entscheidungen nicht.
In der deutschen Filmbranche allerdings scheint das Wort „Gremien“ oft ein Reizwort. Unter den auf der Webseite des Kulturstaatsministeriums gelisteten Vorschlägen von Branchenvertretern werden automatische Fördersysteme präferiert, während der 2019 von Kritiker:innen, Kurator:innen und Filmemacher:innen gegründete „Hauptverband Cinephelie“ dagegen in seiner Stellungnahme erklärt: „Im Bereich der Förderung nach künstlerischen Kriterien halten wir derzeit den Einsatz demokratischer Gremien für unumgänglich.“
Zu wenig Anerkennung im eigenen Land
Wenn sich schon Förderinstitutionen der Vermittlungsarbeit ihrer Entscheidungen enthalten, liegt der Verdacht nahe, dass es an einer Kultur institutioneller Vermittlung des Mediums fehlt. Während deutsche Kunst gemeinhin als Exportartikel gilt, ist der Film international kaum präsent. Da ist es doch naheliegend, dieses Defizit auch darauf zurückzuführen, dass ihm auch im eigenen Land zu wenig kulturelle Anerkennung zuteilwird.
Lediglich viermal waren deutsche Filmemacherinnen und Filmemacher seit 2000 im Wettbewerb von Cannes vertreten: „Auf der anderen Seite“ (Fatih Akin, 2007), „Palermo Shooting“ (Wim Wenders, 2008), „Toni Erdmann“ (Maren Ade, 2016), „Aus dem Nichts“ (Fatih Akin, 2017). Hinzuzählen muss man Oskar Roehlers „Enfant Terrible“, der 2020 eine Zusage für das Pandemie-bedingt abgesagte Festival erhalten hatte und wohl im Wettbewerb gelaufen wäre. Auch die Beiträge der Österreicher Hans Weingartner („Die fetten Jahre sind vorbei“, 2004) und Michael Haneke („Das weiße Band“, 2009) können produktions- und fördertechnisch als deutsche Filme gelten. Dagegen stehen im selben Zeitraum 20 Beiträge aus Italien, 17 aus Großbritannien, zehn aus Belgien, sechs aus Dänemark – wenn man von der privilegierten Stellung des französischen (89 Beiträge) und US-amerikanischen Kinos (65 mal vertreten) einmal absieht. Kein deutscher Film befand sich zudem unter den Gewinnern der „Goldenen Palme“, sieht man von der genannten Ausnahme „Das weiße Band“ ab. Wie also konnte es zu diesem Bedeutungsverlust kommen?
Bis 1933 war die deutsche Filmindustrie international erfolgreich. Nach der ideologischen Ausrichtung und Verstaatlichung in der NS-Zeit und der Zerschlagung der großen Studios in der Nachkriegszeit orientierte sie sich primär am heimischen Publikum. Die zurückgewonnene Internationalität in den 1970er- und 1980er-Jahren war eine Folge einer Qualitätssteigerung, die von verschiedenen Kräften betrieben wurde: Künstlerisch orientierten Regisseurinnen und Regisseuren, die oft selbst produzierten; Fernsehredaktionen, die sie unterstützten, und einer kulturell ausgerichteten Filmförderung. Es war nicht Fassbinders Tod am 10. Juni 1982 allein, der die internationale Erfolgsgeschichte des Neuen Deutschen Films (die nie eine kommerzielle war) an ihr Ende führte. Es war der Zerfall einer Liaison ihrer Unterstützer.
Jede große Filmnation kultiviert alle Spielarten des Kinos
Das Aufkommen des Privatfernsehens zum 1. Januar 1984 beschleunigte eine Umorientierung der Öffentlich-Rechtlichen weg vom ernsthaften Autorenfilm zu Gunsten des Genre-orientierten Unterhaltungsfilms. Eine neue Generation von Filmemacherinnen und Filmemachern füllte dabei auch ein offensichtliches Defizit: Die Regisseurinnen und Regisseure des Neuen Deutschen Films hatten sich kaum für Komödien interessiert. Doris Dörries Gesellschaftskomödie „Männer“ (1985) bewies dabei, ebenso wie Wolfgang Petersens vorausgegangene Blockbuster „Das Boot“ (1981) und „Die unendliche Geschichte“ (1984), dass auch anspruchsvolle Kassenerfolge noch immer möglich waren. Die prägende Zeit des deutschen Autorenfilms, das Weimarer Kino, kannte diese Trennung kaum; die Werke von Friedrich Wilhelm Murnau, Fritz Lang oder Georg Wilhelm Pabst fanden über ihre künstlerischen Ansätze zum breiten Publikum. Die reinen Unterhaltungsfilme, die es seinerzeit umso zahlreicher gab, sind heute fast ausschließlich vergessen. Kaum auszudenken, welche Blüte darüber hinaus der reine Avantgardefilm hätte erleben können, dessen Vertreter wie Hans Richter, Oskar Fischinger oder Walter Ruttmann von öffentlicher Filmförderung nicht einmal träumen konnten.
Fatal wäre es da, ausgerechnet den künstlerischen Film in der Förderpolitik zu marginalisieren. Jede große Filmnation kultiviert alle Spielarten des Kinos. Doch um diese Dualität zu begreifen, bedarf es einer Filmförderung, die mit beiden Augen sieht.
Quellenangaben
Lisa Giehl: Kulturelles Kapital. Filmförderung in Deutschland. Herbert von Halem Verlag, Köln 2017. 204 Seiten.
Peter W. Jansen: Setze mich in Erstaunen! Plädoyer für eine andere Filmförderung. In: film-dienst 7/2007, S. 10-11.
Staatsministerin
für Kultur und Medien: Stellungnahme zum Filmförderungsgesetz. Stand: 25.5.2022. Abrufbar
unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskanzleramt/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/medien/filmfoerderung/filmfoerderungsgesetz (Hier findet sich auch die Stellungnahme des Hauptverbands Cinephilie)